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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 11.07.1921
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- 1921-07-11
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- 11.07.1921
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Redaktioneller Teil. 159, 11. Juli 1921. Es wird gut sein, einmal festzustellen, was denn »geistig Schassende« sind. »Schassende« sind eine Errungenschaft der Neuzeit, gerade wie die »Arbeiter«. Wie es früher leine Men schenklasse gab, die den Ehrennamen »Arbeiter« für sich Mein in Anspruch nahm, so war niemand so anmaßend, als »Schaffender« durchs Leben gehen zu wollen. Es gab keine Berufsklasse »Schaffende«. Der geistig Tätige auf den verschiedenen Lebens- gebieten hatte einen bürgerlichen Berus, der ihm seinen Lebens unterhalt gab und ihn im Daseinskämpfe als Einzelpersönlich- kcit und als Glied des Volksganzen heranreifen ließ. Sein »Schaffen« ging neben diesem Berufe her. Es ist eine neu zeitliche Irrlehre, daß ein bürgerlicher Beruf die Schaffenskraft beeinträchtige, die Genialität lähme. Händel war Operndirektor, Bach Kapellmeister und Organist, Goethe hat im weimarischen Staatsdienste unendlich viel Arbeit auf den verschiedensten Ge bieten geleistet, Schiller hat als Universitätsprofessor gewirkt. Es darf bezweifelt werden, ob Gottfried Keller größere und bedeuten dere Werke geschrieben hätte ohne seine umfangreiche Berufs tätigkeit in Zürich, ob für Schubert eine Berufstätigkeit, die ihn mit der musikalischen Praxis in engste Beziehung gebracht hätte, nicht sehr erzieherisch gewesen wäre. Die wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel. Beethovens Geist ist außer Vergleich zu andern Musikern; auch hätte er gewiß ohne sein Gehörleiden in einem musikalischen Beruf noch wesent liche Anregungen für sein Schaffen gesucht und gefunden, ohne daß sein Genius darunter hätte zu leiden brauchen. Wagner gab die Berufstätigkeit, die sein Schaffen stark angeregt hatte, nur infolge äußerer Umstände auf. Richard Strauß und Gustav Mahler danken ihrer Berufstätigkeit unendlich viel Segen. Man darf unbedingt sagen, daß (abgesehen vielleicht von einem oder zwei Genies, die es in jeder Kunst — kaum in jedem Jahrhundert gibt) Berufsarbeit niemals die Schöpferkraft schä digt, daß diese im Gegenteil gerade unter dem Mangel einer ge ordneten bürgerlichen Tätigkeit leidet und verkommt. Ich per sönlich bringe die Minderwertigkeit, die das Schaffen Gcrhart Hauptmanns und Hermann Sudermanns, gemessen an den dichte rischen Leistungen früherer Zeiten, hat, auch damit in Zusam menhang, daß sie meinen, im »Schaffen« ihren Daseinszweck zu erfüllen, und daß sie infolgedessen selbst in toten Zeiten, die andere ihrem Berufe widmen, durch Produzieren ihre Impotenz beweisen. Auch die weiblichen Wesen, die »die Liebe« zum Berufe machen, haben ja nicht die lebensfähigste Nachkommenschaft! So wenig Begeisterung eine Heringsware zum Einpökeln, so wenig ist Schaffenskraft ein Artikel, den man für den Bedarfs fall jederzeit im Requisitenkasten hat. Man braucht nur an die wurzellosen Existenzen der Zeit seit etwa 1880 in der Dicht kunst und in der Musik zu denken, an die mehr oder minder ver mögenden Tagediebe, die als Kaffeehausliteraten oder »freischaf fende Musiker« aufs deutlichste bewiesen haben, daß die Halt losigkeit des äußeren Lebens im geraden Verhältnis zur Wert losigkeit der geistigen Erzeugnisse steht. Zu jeder geistigen Tätig keit gehört ein gewisses Handwerk. Wer dieses beherrscht, ist selbstverständlich imstande, jederzeit irgend etwas zu zeichnen, zu schreiben, zu komponieren. Aber »Schassen« ist das nicht! Die Zeiten der Schaffenskraft sind nur bei ganz wenigen Genies so ununterbrochen, daß diese sich wirklich daraus beschrän ken dürfen, schöpferisch tätig zu sein. Bei den meisten Künstlern ist es der größte Segen, wenn sie durch eine berufliche Tätig keit daran gehindert werden, fortwährend zu »produzieren«, und wenn nur das wirklich ans Licht der Welt kommt, was in Zeilen starker Inspiration mit innerer Notwendigkeit zur Nieder schrift zwingt. Übrigens ist kein Künstler beruflich so angestrengt, daß er nicht seine Einfälle als Skizzen festhalten und in der Stille reifen lassen könnte, bis der rechte Zeitpunkt zur Aus führung gekommen ist. Man darf ruhig sagen, daß durch das Kunstproletariat unserer hastigen Zeit viel zu rasch und bielzu- viel »geschaffen« <?!) wird. Es wäre ein Segen für das gesamte Geistesleben, wenn das Horazische »nonum piemaiur w »nnum < noch zu den Lebensregeln der »Schaffenden» gehörte. i VS9 Es kommt also bei der Förderung der »Schassenden« nicht darauf an, ihnen als »Schaffenden« ein sorgenfreies Leben zu er- möglichen. In den meisten Fällen würde das eine »Erwerbs losenunterstützung für verkannte Genies« werden, die daraufhin noch vollends verbummelten! Notwendig ist vielmehr, daß alle Berufe, in denen geistig Schaffende tätig sind, ihnen eine gesicherte äußere Lebensstellung geben, in der unerträgliche Überlastung mit Berufsarbeit verhindert wird. Man stelle alle Lehrenden von den Universitäten bis herab zu den Volksschulen so, daß sie ein sor genfreies Dasein und die nötige Bewegungsfreiheit zu eigener geistiger Arbeit haben; dann werden die »Schaffenden« unter ihnen die Aufgaben, die ihnen ihr Geist stellt, lösen, ohne daß man sic, von verschwindend wenigen Ausnahmen abgesehen, besonders zu sördern braucht. Man sorge dafür, daß Kantoren und Orga nisten, aus deren Kreisen stets eine Menge tüchtiger Koinponisten hervorgegangen sind, nicht infolge schlechter Bezahlung zum Proletarierstande herabsinken oder alle freie Zeit mit Musik unterricht hinbringen müssen. Man beschäftige sich endlich von Staats wegen mit den Fragen des Musikunterrichts und bringe an staatlichen und privaten Musiklehranstalten die Gehälter aus eine solche Höhe, daß den schöpferisch begabten Köpfen auch dieser Berufsklasse Stunden der Muße für ihre Schaffenstätigkeit blei ben. Auch die Presse bezahle olle geistige Arbeit, die für sie ge leistet wird, so, daß der Schriftsteller nicht ausschließlich für sic fronen muß, sondern auch für freie Arbeit Zeit und Kraft behält. ES gibt keine Notlage der Schaffenden, sondern eine Notlage der geistigen Arbeiter. Diese muß behoben werden, wenn Deutschlands Geistes- und Kunstleben nicht völlig zugrunde gehen soll. Es ist eine Verschleierung der Tatsachen und ein aus per sönlichen Gründen unternommenes, völlig verfehltes Verfahren, wenn man den »Schaffenden» durch eine Kulturabgabe helfen will. Der größte und wichtigste Teil der geistigen Arbeit eines Volkes besteht nicht im -Schaffen, sondern im Bearbeiten des GcistcsbodenS des ganzen Volkes. Von allen diesen Kultur arbeiten! muß die jetzige Notlage abgewendct werden. Da min destens 99^:, der »Schaffenden gleichzeitig Kulturarbciter sein können, so ist damit, daß man jeden geistigen Arbeiter entsprechend entlohnt und für Arbeitsmöglichkcit sorgt, auch die Frage im wesentlichen gelöst, wie man den »Schaffenden« helfen soll. Der riesige und kostspielige Apparat der »Kulturabgabe würde Unsummen verschlingen, die niemandem zugute kämen als einem Heer neuer Rechnungsbeamter, die voni volkswirtschaft lichen Standpunkt aus Drohnen sind, weil cs sich um überflüssige Bureaukratie handelt. Man muß den Mut haben, die Ansprüche der »Schassenden auf das Recht zur Berufslosigkeit glatt abzulchncn. " Und man muß für jedes einzelne Gebiet der geistigen Arbeit die Hilfe- leistung finden, die gerade diesem Gebiete angemessen ist. Eine schematische Abfindung aller Guten und Bösen mit 10"/« ist ein äußerst bequemer Dilettantismus, der sich auf dem Papier gut ausnimmt und als Agitationsphrase treffliche Dienste tut, aber, in die Wirklichkeit umgesctzt, zu einer Vernichtung des ganzen deutschen Geisteslebens führen müßte. Man erziehe auch die geistigen Arbeiter zu der Einsicht, daß keine ehrliche Arbeit schändet, daß eine geregelte Berufstätigkeit, eine bürgerliche Ar beitsleistung im Dienste des ganzen Volkes die Grundlage der äußeren Lebenshaltung bilden muß, und räume mit der Ansicht auf, daß der »Schaffende« ein besonderer Mensch sei, der das Recht habe, eine Ausnahmestellung cinzunchmen und auf Kosten der Gesamtheit zu leben. Es ist bezeichnend genug, daß diesen Anspruch niemals ein Großer im Reiche des Geistes und der Kunst stellt, sondern daß die ganze Schreierei um die Notlage der »Schaffenden« von den Mittelmäßigkeiten ausgeht, die ihre und ihrer guten Freunde Durchschnittsware für Meisterwerke halten. Sie alle sollten zunächst einmal in einem bürgerlichen Berufe ihre Pflicht tun. Was einem Goethe, Schiller, Mörike, Storni und Keller nicht geschadet hat, wird Wohl auch den Jünglingen und Männern von heutzutage keine Perlen aus der Krone brechen!
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