M ö, 11. Januar 192l. Fertige Biichcr. VSrI-nblall s. d. DNchn. »„»d-nd-I. 237 Wolfram von Eschenbach: Willehalm A Die Dresdner Nachrichten vom 30. Dezember 1923: ^ Wolfram von Eschenbachs letzte Dichtung Willehalm von Orange, in epischer Form erzählt von vr. Wuttig, ist ein echtes deutsches Buch, wie solche namentlich in unserer Zeit, wo man den Niedergang des Deutschtums allerorten mit den Länden greifen kann, nicht oft und eingehend genug von alt und jung gelesen werden können. Was nützt alles Reden und Debattieren in der Lohen Politik, aller Opfergeist des Volkes, alles Rufen nach dem „starken Mann" — wenn das deutsche Volk (leider selbst in weiten Kreisen der Intelligenz teils geflissentlich, teils unbewußt) die „starken" Männer seiner Vorzeit übersieht, ja kaum kennt, jene glänzenden Recken mit dem Mute und der Kraft des Löwen, mit dem Gemüte des Kindes und dem prächtigen, wie aus Gold und Stahl zusammengeschmiedeten Lerzen? Zst es schon beschämend genug, daß ein großer Teil unseres Volkes den Parfifal erst durch Wagners Vertonung kennen gelernt hat — so ist es geradezu verblüffend armselig, wenn selbst gebildete Männer den gottbegnadeten Wolfram von Eschenbach eben nur dem Namen nach kennen und nicht einmal eine Ahnung haben von seinem Titurel oder Willehalm. Ganz zu schweigen von den Werken anderer Minnesänger usw., an denen doch die Llrliteratur des deutschen Volkes wahrlich nicht arm ist. Da ist es denn freudig zu begrüßen, daß es der Verlag Alexander Köhler, Dresden-A., Weiße Gasse 5, trotz der riesigen Kosten einer Neuerscheinung in heutiger Zeit unternommen hat, der deutschen Leserwelt in der erzählenden Übersetzung Or. Wuttigs Wolframs glänzen des Heldengedicht „Willehalm" auf den Weihnachtstisch zu legen. Wenn man die reine Größe dieser wunderbaren Gabe einer gottbegnadeten Dichterseele vor seinem geistigen Auge gigantisch emporwachsen sieht und dann seine Blicke schweifen läßt über das Elend der Epigonen, jener leuchtenden Reckengestalten aus großer Zeit — dann empfindet man es als Freund heißersehnten vaterländischen Aufstiegs sehr tief, daß es vor allem die sittliche Erneuerung unseres Volkes sein muß, auf der wir im- sere Zukunft aufbauen sollen. Wo blieben im vergangenen Jahrzehnt unsere hoch gerühmten Stammestugenden, wo blieb trotz der gebrachten Niesenopfer vieler Tausender die echte deutsche Treue und Seelengröße, die Tapferkeit und Selbstbeherrschung, die Reinheit der Gesinnung, die tiefe Frömmigkeit? Die Größten unseres Volkes schreiben es sich gegenwärtig in geistvollen Briefwechseln, daß allein aus der moralischen Er neuerung des Volkes neues Leil erblühen kann — nun wohl, lest alle, die ihr eure Führer willig hören wollt, solche Bücher wie Or. Wuttigs „Willehalm von Orange"! Wie durch ein Stahlbad gestärkt werdet ihr aus der Lektüre dieses prächtigen Weih nachtsbuches hervorgehen. Namentlich ist eS auch unsere Jugend, die das Büchlein oft und gern zur Land nehmen sollte. Sie könnte, was Vaterlandsliebe, Charakter stärke und Gemütstiefe angeht, so gut wie alles aus ihm lernen. Schon aus diesem Grunde allein kann man dem Buche nur weiteste Verbreitung wünschen. Ein echt deutsches Buch 31'