Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 19.02.1923
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- 1923-02-19
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42, IS. Februar >S23. Redaktioneller Teil. »örs«,«I°lt s. d. Dtsch». »Lchhanba. nach Leipzig in die Lehre gesteckt, damit ich, so wie er in jungen Jahren, den Buchhandel ganz richtig aus , -m Fundament erlerne. Die Jahre waren nicht ganz leicht, denn damals maß der Arbeits tag nicht nach acht Stunden, sondern nach dem, was ein Mensch mü gestrafftem Pflichtgefühl schaffen konnte. Er setzte für uns Lehrlinge mit dem Besuch der alten Handelsschule auf dem Königsplatze Schlag sieben Uhr morgens ein und war, wenn's gut ging, abends um acht Uhr zu Ende. Dazwischen dann zwei Mittagsstunden, von denen reichlich eine auf den Weg zu meiner Futterkrippe, bei dem noch heute rüstigen Verleger und damals ersten Mitarbeiter Liebeskinds, dem vortrefflichen Otto Borggold, daraufging. Poststraße—Auen- straße, das ging durch die ganze innere Stadt, dann quer durch »Leh manns Garten--, der sich bei Regenwettcr in Morast auflöste, durch Viertel, deren altes Angesicht längst schon verschwunden ist. — Ein paar schwerwiegende Empfehlungen nahm ich von Wien nach Leipzig mit: eine an Hermann Haesiel, den Verleger Conrad Ferdinand Meyers, der, so wie Liebeskind, i» seiner Mischung aus Starrköpfig keit, ulkigster Eigenart und verschämter Güte auch eins von den numerierten Exemplaren für Menschensammler war, «ine an Hedwig v. Holstein, die seinsinnige Witwe des Komponisten, und eine dritte an Hans Heinrich Reclam, der meinem Vater durch langjährige Freundschaft eng verbunden war. In all diesen drei Häusern, bei dem alten Junggesellen Haessel, dem seine gleichfalls nicht mehr junge Nicht«, das Fräulein Clara Sorgensrey, die Wirtschaft führte, bei Krau v. Holstein, deren Haus nicht stille wurde von Musik, und bei Hans Heinrich Reclam wurde ich voll Wärme ausgenommen. — Ob es so starke Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft heute noch gibt?! Denn bas war nirgends nur so ein: Nun, guten Tag — und lassen Sic sich nur bald wieder sehen! — bas war von Anfang an der Wunsch und Bille, dem jungen Men schen in der fremden Stadt etwas von dem entfernten Elteruhause zu ersetzen — war Anteilnahme, die bei werktätiger Sorge um mein körperliches Wohl begann und meine geistige Entwicklung mit Be wußtsein anregtc und förderte. Zunächst hieß es: einmal die Woche essen Sie bei uns — das war bei Reclams so, und so bei Haessel. Und das galt auch nicht mir allein. Tenn an den »Jugend-Tagen» war im Gartenhaus! in der Kreuzstraße auch der junge Musiker Carl Barth ein regelmäßiger Gast, und in der Lindenstraße bei Haessel traf ich, mit anderen, mit Wilhelm Langewiesche und Julius N. Haarhaus zusammen, die mir in jenen Jahren Freunde wurden und die mir heute noch Freunde sind. Damals bei Reclams —. Dienstags war für uns gedeckt; deutlich sehe ich noch das hübsche Speisezimmer, von dessen Wänden rings alte Familienbildnisse niederbückten. Kluge, durchgeistigte Männer- löpse, daneben wohlgepflcgte Frauen in Rokokogewändern, Empire- und Biedermeiertracht. Eins der Bilder galt als Werk des Antoine Pesne und war der Stolz des Hausherrn. Und deutlich sehe ich ihn, den Hausherrn mit dem damals noch rotblonden Barte, der früh ge lichteten Stirn und mit den dunklen, lebhaften Augen, in denen im Gespräch über der leisen Farbe des Dialekts etwas vom blanken Feuer des alten savoyischen Geschlechts lebhaft werden konnte. Bei ihm die Hausfrau, schlank, gehalten; mit ebenmäßig-edlen Zügen — unsächsisch, mehr als ob sie von der See herkäme und noch etwas von ihrem herben Wesen in sich trüge. Die Jungens — jünger alle als ich selbst — famose kleine Partner zum gelegentlichen Turnen, Spielen, Balgen im Garten draußen. Leipzig war damals noch weit mehr als jetzt Theaterstadt. Der Geist von Heinrich Laubes Wirke,« schien noch uachzudämmern, Rudolf v. Gottscholl war noch Papst und Staegemann der unbestrittene Alleinherrscher in drei Theatern über einen Stab gut eingespielter Mimen und erlesener Sänger. In der Literatur begannen Björnson und Ibsen ihren Zug nach Deutschland — Sudermanns »Ehre» war ei» Ereignis und wurde heiß umstritten. Um Nietzsche stellten sich die ersten jugendlichen Jünger — ich selbst ging mit fliegenden Fahne» direkt aus dem romantischen Lager Eichendorffs und Heines zu dem geheimnisvollen Scher über. So zog sich bas Tischgespräch bei Reclams mcist um Kragen der Literatur, des Theaters und der Musik, blieb stets auf einer kultivierten Höhe, auch, wenn di« gute Laune des voll Witz und Ironie erzählenden Hans Heinrich Reclam allen Heiter keiten die Türen aufgestoßen hatte. Nach Tisch gab es in dem »Arabischen Zimmer», einem mit Tep pichen und Kelims, mit Sofas, Taburctts und einer vielbestaunten Wasserpfeife ausgestatteten kleinen Raume, eine Zigarette. Da plauderte man noch sah Umrisse von Retzsch oder Corneliussche Zeich nungen zu Goethes Faust, sah SchwindS Bilder zur Schönen Melusine, die Arbeiten Genellis und Ludwig Richters durch — und dann ries bald genug wieder die Pflicht: bei A. G. Liebeskind in der Post straße stand zwischen zwei alten und wackeligen Pullen ein bei jeder Bewegung aufkreischendcr Drehschemel leer. Ich kann nicht, sagen. daß ich wich jemals aus anderen Gründen als aus dem Wunsche, dem Pultnachbar in der Besitzergreifung an dieser gemeinsamen Ge legenheit zuvorzukommen, nach diesem Drehschemel und seiner Umwelt wesentlich gesehnt hätte. Aber nicht nur romantisch oder modern, auch klassisch waren wir manchmal bei Reclams! Ein Abend, an dem wir, jeder einen Reclam- band vor sich, um den Familientisch sahen und »Julius Cäsar» mit verteilten Rollen lasen, steht in der Erinnerung vor mir. Die alte »Frau Professor» hatte die Regie, und sie hatte auch all die Bände sorgsam durchgesehen und jene Stellen, an denen sich, Shakespeare wieder einmal allzu sehr gehen ließ und allzu frei benahm, mit dicken Strichen ausgemerzt. Zum Beispiel jene Mahnung an Antonius »wenn er zur Wette läuft», oder allerlei intime Zeilen aus den Szenen zwischen Krau Portia und Brutus. Die alte Dame selbst war Julius Cäsar und hielt voll Würde durch, bis sie im dritten Aufzug wirkungsvoll »am Fußgestell Pompejus'» hingemeuchelt wurde. Im Nachlaß meines lieben Vaters fand ich nach feinem Tode daS Päckchen meiner Briese, die ich i» jenen Leipziger Lehrlingsjahren nach Hause geschrieben hatte. Brave Berichte über alles, was ich damals in dem bescheidenen Kreise meiner Tage erlebte. Bescheiden — denn man glaubt es heute kaum, mit wie geringe» Mitteln ein junger Mensch von geistiger Einstellung sich damals glück lich slihlcn konnte! Ganze fünf Mark erhielt ich monatlich als Taschen geld — und hin und wieder lag da zwischen einem Briese meiner lieben Mutter ein Gulden bei — aber das war dann schon ein Fest! Und mit diesem Budget habe ich während meiner Lehrlingsjahre den besten Teil der Ausgaben für meinen geistigen Bedarf bestritten. Ich ging in jedem Monat zwei- bis dreimal ins Theater, ich kaufte Bücher, hörte Vorlesungen, Aber es war ja auch viel Geld — in einer Zeit, in der ein blanker Taler noch beinahe ein Schatz gewesen ist. Einmal in jenen alten Lchrlingsbriefen erzählte ich den Elter» auch von meinem Reichtum, der mir durch Reclams zugefalleu war: Weihnachten — und Hans Heinrich Reclam hatte mir und dem Freunde Carl Barth am »Dienstag» vor dem Feste je eins seiner gebundene» Unipersal-Bibliothekbändchen geschenkt. Als wir die Büchlein öffneten, fand jeder zwei Fünfmarkscheine zwischen den Blät tern. — Nicht lachen! — der Betrag, mit dem man heute nicht einen Bissen Brot bezahlen kann, war damals ein stattliches Geschenk, mit dem ein junger Mensch wohl übermütig werden konnte. Im »Naben- Haus» der Frau v. Holstein, wo Barth als Stipendiat und als einer der sieben Raben hauste, habe» wir noch am Abend des ereignis- vollen Tages mit heißen Köpfen hin und her beraten, was wir uns «für das viele Geld» wohl leisten könnten? Und heute noch, nach so viel über einem Menschenaiter, freue ich mich, wenn ich an das Er gebnis jener Stunde denke: Wir wollten Goethe anssuchen — nach Weimar fahren! Wir haben es geschafft! Ein jeder mit den zwei Fünfmarkscheinen Hans Heinrich Reclams in der Tasche, sind wir am frühen Morgen des ersten Feiertages losgesahren. Und wir waren in Goethes Haus, und waren vor seinem Gartenhäuschcn. Wir standen vor Ernst Nietscheis Denkmal aus den, Theaterplatz und saßen abends andächtig und hingenommcn im alten Haus«, in dem noch alles war wie einst: die beiden ausgepichten Kammerhusare» unten im Vestibül, die Ein teilung der Plätze für den Hof — und für die anderen, — Wir haben übernachtet und die Nacht durch keinen Schlaf gesunde» und immer wieder von diesen Eindrücken geredet. Wir sind am nächsten Tage !m Dchiiicrhause gewesen, waren im Park und in Tiefuri draußen — ja — und wir haben, als der Reichtum unserer Kasse sich bei alledem nicht erschöpfen wollte, zum Schluß, ehe wir wiederum nach Leipzig fuhren, in Weimar sogar noch Spickaal gegessen! Oftmals seitdem war ich i» Weimar — aber so schön wie da mals, als ich cs für die zehn Mark Hans -Heinrich Reclams zum erste» Male sah, war's doch nie wieder! Woran das liegen mag? Vielleicht daran, daß Sie mich henke als Beinahe-schon-Jubiiar betrachten, und daß ich in der Zeit damals bei Reclams — so blutjung gewesen bin! .... Kleine Mitteilungen. Erhöhte Druckpreife. — Da in der Sitzung der Tariftommission der deutschen Buchdrucker vom 12. d. M. eine Einiguirg nicht erzielt wor-den war, trat das in § 28 des neuen Tarifvertrags vorgesehene Z e u t ra l--Sch l i ch t u n g s a m t zusammen, das am 13. d. M. in später Nachtstunde folgenden Schiedsspruch fällte: 1. Vom 19. Februar bis 3. März beträgt der Spitzcnlohn 5 7 9 0 9 M k. 211
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