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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 12.09.1924
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1924-09-12
- Erscheinungsdatum
- 12.09.1924
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1924
- Monat1924-09
- Tag1924-09-12
- Monat1924-09
- Jahr1924
- Titel
- Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 12.09.1924
- Autor
- No.
- [6] - 11906
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Redaktioneller TeU. X» 215, 12. September 1924. Eßwcinschen »Modernen Illustratoren« flüchtig besucht, aber dabei doch einen ganz bestimmten Eindruck von ihm als Menschen empfangen. Ich hatte den Eindruck, das; sich nicht mehr allzu viele Menscheu um ihn kümmerten und daß er infolgedessen meinen Brief, schon als nicht zu häufiges Zeichen des Interesses für seine Kunst, freundlich aus- nehmcn werde. Sein Name ist ja auch heute noch jedem geläufig; wer aber nimmt noch seine zwölf Albums mit ihrer Fülle von Er findung zu stillem Sichrer senken in die Hand? Vor zwanzig Jahren lagen sie zur Erheiterung in den Sprechzimmern der Zahnärzte. An Oberländer, dem großen Psychologen, aber sah man vorbei, und der ist auch heute noch kaum entdeckt. Tie Gestalt Oberläuders inmitten unserer heutigen Zeit hat überhaupt etwas Wunderliches, Unwahr scheinliches. Er erscheint wie eine stille, vergessene Insel, auf der cs keine Zeit gibt, inmitten eines unaufhaltsamen Rasens und Tobens. Blättert man dann einen Band Oberländer auf, so findet man Bilder, die fast verschollene Kindheitserinnerungen sind, wie den »Jahrmarkt von' Timbuktu«, den »Konzertbildhauer« und anderes. Aber plötzlich, wenn wir näher Hinsehen, scheinen sich die Zeichnungen zu ver ändern, eine unheimliche, früher nie geahnte Modernität zitiert in ihnen, und wir merken: diese Blätter sind nicht Vergangenheit, sie sind Zukunft unserer Kunst. Der Geist der größten Deutschen lebt in ihnen — ein Geist, der nie altern kann. Doch ich will ja von meinem Besuch erzählen. Ich hatte mich nicht getäuscht. Nach einiger Zeit erhielt ich von Oberländer einen Brief, daß er einige seiner ersten Entwürfe, wie sie auch mehrere meiner Kollegen zum Austausch gern wählten, für mich zurechtgelegt habe. Zur Gegengabe wählte er zugleich als Bücher, die ihn »sehr anregen würden«, die Dürerzeichnungen, den Bauernbruegel und Meier-Graefes Delacroix: gewiß auch eine Art Glaubensbekenntnis. Als ich mich an einem der nächsten Vormittage bei Oberländer in dem altmodischen stillen Hause an der Brienncrstraße einfand, trat er mir in der Tür seines kleinen Zimmers entgegen, die Brille auf halber Nasenhöhe und über diese hinweg mich mit seinen klugen, ein wenig ängstlich blickenden braunen Augen ansehend, in leichtem Nock, die Weste bequem geöffnet. Das Zimmer machte einen seit Jahr zehnten bis in den letzten Winkel durchwohnten Eindruck. Viele kleine Bilder bedeckten die Wände: Landschaften, während des Somm'r- aufenthalts gemalt, alte Studien aus der Akademiezeit oder auch Arbeiten von einstigen Studiengenossen, ein brvuwerartiges Trinker bild in rötlichen und bräunlichen Tönen von ihm selbst, und anderes. Auf einem Tischchen hatte er schon sorgsam etwa zehn Blätter für mich zur Ansicht zurechtgelegt. Da diese ersten Entwürfe mit Blei stift auf gelbliches dünnes Pauspapier gezeichnet waren, hatte er zugleich auch ein weißes Kartoublatt danebengelegt, damit ich die sonst durchscheinenden Zeichnungen der Reihe nach beim Betrachten auf dieses Papier legen könne. Ja sogar einige Jahrgänge »Fliegende Blätter« hielt er bereit, um mir dort die definitive Zeichnung zeigen zu können. Offenbar war das Ganze eine Angelegenheit, die ihn nicht weniger beschäftigt hatte als mich. Obenauf lag die Zeichnung zur »Heuernte mit Musik«: eine Parodie auf die moderne Musikmacherei um jeden Preis — ein Laster, das inzwischen ja nur noch mehr überhandgenommen hat. Ein reizendes Ticrstück war der »satte Löwe«, der einen ängstlichen Esel zum großen Erstaunen desselben ungeschoren passieren läßt. Auch ein abgestürzter, an einer Tanne hängengebliebener Bergkraxler zeigte mehr die bloß spaßhafte Seite, die dem Künstler seine Popularität eingetragen hat. Ich ging aber aus ein Blatt des Psychologen Oberländer aus und fand auch bald ein solches, wie ich mir es nicht besser hätte wünschen können: den berühmten Klavier-Virtuosen, der erschöpft vor seinem Flügel lehnt, mährend ein Tutzeird junger Mädchen das Podium er klimmt und mit dem verschieden temperierten Ausdruck von Entzücken, Hingabe, erschauernder Ergriffenheit und Vergötterung von dem Ge feierten eine Locke erbettelt. Die Glückliche, die gerade die kleine Schere gezückt hat, um die kostbare Reliquie abzutrcnnen, hat die Augen niedergeschlagen wie bei einer Opferfeier. Mit ganz sparsamen, ja fast spröden Mitteln hat Oderländer hier ein 'Seelengemälde gegeben, wie es eindringlicher nicht geschehen kann. Ter Humor dieser Zeich nung ist der Humor der wenigen ganz großen Seclenkünder. Auch die »Flucht des Romanhelden« mar da. Von der Polizei, von wechselschwingcnden Juden, kleinen Kläffern und mehreren ver lassenen Mädchen verfolgt, flieht der traumhaft elegante Lebemann in heroischer Pose. Oberländer bemerkte erläuternd: »Die eine hat noch a Kind am Arm g'habt, denn a Kind hat er ihr natürlich aa g'macht. Des hat aber die Redaktion net erlaubt, da Hab i's wieder wegg'macht. - Heutzutag ham's nix wie Hurerei in den Zeitschriften«, schloß er resigniert. Es fand sich auch noch eine Vorstudie zu dem reizenden Bild mit den Frühlingsdichtern in mehr als doppelter Größe der späteren definitiven Fassung. Ich blieb aber doch bei meinem Pianisten. Wäh rend ich die Blätter ansah, erklärte mir Oberländer, weshalb schon auch diese Vorarbeiten so präzis gefaßt seien. Er hätte sie danach für die definitive Federzeichnung durchgepaust, und diese hätte ja fast gar keine Retuschen oder Korrekturen mehr ertragen. Mit Teck- iveiß hätte er nicht gern gearbeitet. Jeder Strich hätte dann aufs erstemal stimmen müssen. Dabei kamen wir auf die Holz schnitt-Reproduktionen seiner Zeichnungen. Jetzt werde kaum mehr etwas in Holz geschnitten, alles seien Atzungen. »Seit dem Jahr 76< die Jahreszahl schien ihm sehr geläufig zu sein, man sah daraus, wie wichtig ihm diese Wendung gewesen war —, »seit dem Jahr 7(! ist immer gut in Holz geschnitten worden. Damals fing man an, die Zeichnungen photographisch auf den Stock zu übertragen. Früher aber wurden sic auf den Holzstock ausgeklebt und vom Holzschneider weggeschnitten. Wenn dann die Hälfte fehlte, konnte man ihm nichts mehr Nachweisen. Er konnte einem ruhig antworten: ,ja, da war halt nix da!' Seitdem aber konnte man ihm auf die Finger sehen Als ich mein Blatt gewählt, bczeichnete er mit einem Punkt genau die Stelle, wie weit der Passepartout gehen müsse. Zur Sicherheit holte er selbst ein Winkeldreieck aus Messing, das ihm gewiß Jahr zehnte gedient hatte, und zog links und rechts die Grenzlinie. Dabei meinte er: »Ja, so einen ersten Einsall Hab i oft acht bis vierzehn Tag' mit mir 'rum g'tragen und könnt' absolut nix damit anfangen. Und viel später kam mir dann erst die Idee dazu«. Der »erste Ein fall« war das künstlerische Erlebnis, das ihm plötzlich irgendwo, beim Spazierengehen oder auf der Straße, gekommen war: ein Erlebnis sozusagen ohne Text. Erst später fand er dann die »Idee« dazu, das heißt die praktische Formulierung, die Verwendbarkeit. Er meinte: »Das dümmste Zeug will durchdacht sei«, man glaubt's oft gar nicht, wie man sich daber quälen muß«. In dem Ausdruck »Vas dümmste Zeug« schien mir eine gewisse Kritik seines Publikums zu liegen, das in ihm eben doch nur den Spaßmacher gesehen hatte. Ich fragte, ob zu seinem siebzigsten Geburtstag, der ja in den Oktober des Jahres falle, der Verlag Braun L Schneider irgend etwas vorbereite: »Da von weiß i nix«. Ich fragte, ob inzwischen ein weiteres Oberländer- Album erschienen sei. Es seien bisher ja wohl dreizehn vorhanden. »Nein, zwölf«, und etwas melancholisch fügte er hinzu: »es hat halt alles seine Zeit. Da war ja erst das fünfzigjährige Jubiläum meiner Mitarbeit an den ,Fliegenden'. Das ist jetzt auch schon wieder zwei Jahre her! zwei Jahre! — Man sollt' nit glauben, daß man solang arbeiten kann«. Dies setzte er hinzu mit der Befriedigung eines so liden, bis zum letzten Atemzuge pflichttreuen Handwerkers alten Schlages. Ich meinte, man werde ihn noch einmal ganz neu entdecken. Die junge Generation werde erst voll zu schätzen wissen, was er ge leistet. »Ja, wann i amal g'storb'n bin.« An einer Wand seines Zimmers hing ein altes Bild: eine Schäferin, nackt, mit rotem Tuch um die Hüften, daneben ein weißer Zicgenbock, in bergiger Landschaft, die im Hintergrund blaugrünlich verläuft. Ich hielt es für möglich, daß es eine frühe Arbeit von ihm selber sei. »Nein, das ist ein altes Original. Scheu Sie, das ist so liebenswürdig gemacht, da ist nichts geflunkert« — und mit dem Daumen fuhr er den Konturen des Ziegenbocks uach. »Der Maler, der das g'macht hat, hat vielleicht den Rubens noch persönlich ge kannt!« Aus dem Ausdruck, mit dem er das sagte, hörte ich deutlich, wieviel es ihm bedeutete, ein Bild, von dem solche zarten geistigen Fäden ausgehen, bei sich in seinem Zimmer zu haben. Ich erinnerte mich, wie er damals, als die Monographie von Hermann Eßwein er scheinen sollte, zu mir sagte, es möchten doch in den Text ja keine Mißverständnisse kommen. Jemand hätte einmal von ihm geschrieben, daß er sich aus Rubens nichts mache, während er Rubens doch gerade über alles verehre. Diese Monographie muß trotz den Mängeln, die ihr immerhin wohl anhasten, doch von großem Wert für ihn gewesen sein. Ist sie doch die einzige, die über den nun Siebzigjährigen erschienen war, und stellte sich doch Eßwein als erster die Aufgabe, die Tiefen des Ober- länderischen Humors aufzuweisen. Jedenfalls lag sie griffbereit quer in seinem Bücherbord, als er sie jetzt herbeiholte. Es tat ihm leid, daß die Auflage noch nicht verkauft sei. Man könne ein zweites Mal manches besser machen, auch in der Mswahl. Von dem Druck der Abbildungen sagte er mit gelindem Tadel, »sie seien gar zu schwarz, sie hätten fast etwas von Stiefelwichse«. Ich erwiderte, auf dem rosa Papier der »Fließenden Blätter« stünden allerdings die Zeichnung.,'» etwas toniger als auf unserem weißen. Doch war er vor allem froh, daß wir kein mit Kreidegrund gestrichenes Papier genommen hatten.
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