X- 277, 29. November 1926. Fertige Bücher. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 12043 Verehrter Verlag! Sie bestehen mit den freundlichsten Worten hartnäckig darauf, daß ich selbst etwas über meinen neuen Roman „Der Stern von Saragossa" sage, der jetzt in den „Lustigen Blättern" erscheinen soll. Ja, das ist mir, ehrlich gesagt, ein wenig unbehaglich. Ich komme mir plötzlich vor, wie ein Schaubuden besitzer — der ich nie gewesen bin —, der nun in Stulpenstiefeln und Zylinder, den Deutestock in der weißbeschuhten Hand, forsch vor sein buntbemaltes Bretterreich treten und ausrufen soll: „Immer nur hereinspaziert, meine ge ehrten Herrschaften! Bei mir ist zu sehen Carola, die unerhörte Kanonenkönigin, die vier Zentner schwere Eisen kugeln auf dem Busen balanciert und dazu singt: ,Stell auf den Tisch die duftenden Reseden^ .... Na, und so. Aber nun müssen Sie wissen, verehrter Verlag, in meinem Roman kommt wirklich keine Kanonenkönigin vor; bloß — neben robusteren Gestalten — ein paar zarte moderne Damen und Dämchen. Wenn ich denn schon „ausrufen" müßte, so würde ich, ohne mich zu überschreien, einfach und wahrheitsgetreu etwa so sagen: Dieser Roman heißt „Der Stern von Saragossa". Er spielt aber nicht am Firmament unter Sternen; und nach dem Sirius wird nirgends darin gefunkt. Saragossa aber, die alte Stadt am Ebro, über deren finsteren Gassen die Inquisition thronte, kommt in seinen Kapiteln überhaupt nicht vor. Nachdem ich so diesen doppelten Betrug bis zur Selbstver nichtung aufgedeckt habe, bekenne ich weiter: Ich habe ein Stückchen modernen Lebens zu schildern versucht; die verwirrenden Wirkungen der Weltstadt von heute auf einen jungen Menschen, der, klug, lebensfroh und heimlich ver lobt, aus seiner rheinischen Heimat kommt, blud zwar in einer mehrfachen, für seine jungen Jahre nicht leichten Mission. Einmal soll er seine hübsche, kunstbegeisterte, lebenslustige Schwester überwachen, die es bei der verwit weten, begüterten Mutter durchgesetzt hat und sich in Berlin in einer wunderlichen Theaterschule zur Schauspielerin auobildet. Dann aber soll er den Versuch machen, einen spät vom Johannistrieb befallenen Onkel, den seit zwanzig Jahren im Frieden kinderloser Ehe lebenden einzigen Bruder seiner Mutter, vor den Katastrophen zu bewahren, in die eine törichte Leidenschaft für eine junge Kabarettistin den Verzückten stürzen will. Bald ist der junge, temperament volle Rheinländer selbst von dem tollen Berliner Strudel erfaßt. Seine stürmischen Erlebnisse in Fremden-Pensionen und Theaterschulen, bei Boxkämpfen und in amourösen Spritztouren, im Umgang mit deutschen Verwandten und leidenschaftlichen Exoten wirbeln ihn in einer Weise herum in den Straßen und Stimmungen Berlins, daß er bei nah' den Boden unter den einst so sicheren Füßen verliert. Bis ihn das gute Blut, die gesunde Veranlagung und der Humor im Vereine lehren, sich, wie weiland der Freiherr von Münchhausen, selbst am eigenen Zopfe zu fassen und aus dem gefährlich aufquirlenden Sumpfe auf festen Boden zu ziehen. Das Ganze, das eine Menge von Typen aus Kunst, Sport und Weltstadtleben aufmarschieren läßt, oder besser gesagt: durcheinanderwirbelt, ist humoristisch gesehen und behandelt. Wobei ich anmerken darf, daß ich den eigentlichen Humor, den immanenten Humor der Welt, ihrer Menschen und Geschehnisse niemals in Späßen, Lustigkeiten, Witzworten gesehen und gesucht habe. Wenn es mir gelungen ist, die Brille, durch die i ch nun einmal nach Schicksalsbeschluß sehe (jeder trägt sein Leben lang eine unsichtbare Brille auf der Nase, und nur Stärke und Färbung der Gläser sind verschieden), auch zwanglos für die Dauer der Lektüre dieses Buches meinen lieben Lesern aufzufetzen und sie ein Stück quirlenden modernen Groß stadtlebens schauen und miterleben zu lassen, wie i ch es miterlebte, so ist meine und dieses Buches Aufgabe restlos erfüllt. Denn dieser Roman soll ja, wenn auch ein Prinz von Siam darin eine Rolle spielt, nicht zum Buddhismus bekehren. So wenig, wie er Paralipomena zur Kritik der reinen Vernunft liefert oder einen Leitfaden zum Mensen- diecken darstellt. Rudolf P'esber. Berlin, November 1926.