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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 25.11.1926
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- 1926-11-25
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- 25.11.1926
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II8I8 W 274, 25, November 1928. Fertig« Bücher. Börsenblatts, d. Dtschn. Buchhandel. Bergstadtverlag / Breslau I »Mavre Sernvith^, - vaul Detlevs neuev Roman Von Kr, Er ist kein Verbrecher alter Tafeln, wie etwa Zola oder Ibsen, kein Dämon mit der Fackel wie Dostojewski. Der Generalnenner, auf den sich sein Lebenswerk bringen Iaht, ist das, worauf alles ankommt: die Güte. Nicht jene kraftlos- sentimentale, nicht jene intellektuell-romantische, sondern Güte, die verwurzelt ist im Erkennen des Wesentlichen, im Wissen um das Entscheidende, im Erbarmen um den Bruder Mensch. Sonnenähnlich spendet er Kraft und Ermunterung den Guten wie den Bösen, geleitet von dem Wort des grossen Renaissance heiligen Franz von Assisi, den er, außer Christus und Moses, für den größten Menschen aller Zeiten hält: »Das größte Laster, das die Menschheit kennt, i st die Mut losigkeit.« Seine Werke gruppieren sich nicht um die von B üchne r verspotteten »Paradegäule und Ecksteine der Ge schichte«, sondern aus dem Volke traten sie hervor und im Geiste des Volkes. Wie der Ehristuskopf im Abendmahl Leo nardos bewahren die Schöpfungen Paul Kellers mitten im Kampfe der überschäumenden Leidenschaften, der heiß zuckenden Liebesnot, des herb drückenden Leids jene grund gütige Haltung, die alles versteht und daher alles verzeiht. Wie einfach, wie innig, wie tief, wenn wir im »Zigeunerkinde« lesen: »Aber das weiß ich, daß Gott barmherziger ist als ich und alle Menschen«. Der Grundzug seines Wesens ist wohl auch eine Folge der glücklichen Säftemischung: der Vater ein Sproß schlesischer Erde, die Mutter aus dem kaiserlichen Öster reich. Südliches und Nordisches, Herz und Gehirn sind in ihm zu einem Rhythmus in Moll abgestimmt. Wie die Ebner- Eschenbach, mit der er, wie überhaupt mit dem poetischen Realismus, viel Verwandtes hat, sieht Keller seinen »Beruf darin, die Erscheinungen des wirklichen Lebens zu beobachten und durch seine Phantasie gehen zu lassen, sich aber ans die Phantasie allein nicht zu stützen«. Mit dieser Litcraturrichtnng teilt er das Mitleiden mit den Kleinen im Meere der Mensch heit und die Verantwortlichkeit in der erzieherischen Tendenz. Letzte Einsichten mit ihren ethischen Postulaten, die andere mit scharfsinnigen Denkmethoden errechnen, gewinnt er mit musika lischer Feinhörigkeit. Die Art, wie Paul Keller erzählt, weist manchmal hinab in den tiefsten Abgrund der Geheimnisse und Probleme und hinüber zu den Sternen, woher regenerierende Zugluft und wegweisendes Licht kommen. Bisweilen tiefsinnig und einfach, erhebend und tröstend, als lese man in der Bibel. Wer das Beste noch nicht in der Valencia-Schmach unserer Zeit verloren hat, dem wird es nicht anders gehen als Peter Nos egg er, der, nachdem er den »Sohn der H a g a r« gelesen hatte, an Keller schrieb: »Ich habe Ihr Buch gelesen. Ich möchte zu Ihnen kommen, Ihnen in die Augen schauen und beide Hände reichen . . .« Eine Heimat der Menschenseele sind dieses großen Schlesiers Werke. Kein Raritätenkabinett von scharmanten, psychologischen Problemen, von bläßlich-süßen Ge- fühlchen, von hoffnungsloser Skepsis und Resignation. Paul Keller, der immer wieder in die Kindheit zurückslüchtet, »denn damals war ich ans meiner Bahn dem Himmel und der Natur am nächsten«, hat sich auch die kindlich-staunende, genial symbolisierende Freude an der ganzen Schöpfung bewahrt. Er öffnet auch dem Gequältesten einen Himmel, der aus festen Säulen der Hoffnung ruht. In der bunten Mannigfaltigkeit seiner Bücher, in der »Heimat«, dem »Sohn der Hagar«, dem »letzten Märchen«, der »alten Krone«, den »Stillen Straßen« usw. begegnen wir einer farbenreichen Fülle aus dem Volke, wie es ist, überall und immer. Es sind Menschen schlesischer Heimaterde, aber auch Brahmanen, Inder, Wenden — Men schen, die immer wieder bekennen: »Ach, Mutter Erde, ach, altes heiliges Land, du bist doch schön und wunderbar.« Menschen — die in allen Lagen im Widerschein eines höheren Lebens leiden, arbeiten, jauchzen, weinen. »Bete, arbeite und sei lustig!« hat er ihnen als Wahlspruch eingehaucht. Er selbst sagt von ihnen: »Kleine, simple Pienschcn sind es, die ich ans diesen Wegen finde, aber was um sie und was über ihnen ist, das sind große Dinge: der Himmel und die lebendige Natur. An diese zwei reicht kein Firlefanz moderner Welt, gegen sie ist alles von der Kultur Erzeugte klein und blaß . . .« Wo wir daher seinen Leid- und Schuldbeladenen begegnen, immer sind sie begleitet von der Kraft der Bejahung und des Trostes. Und eben deshalb hat Paul Keller in der deutschen Schicksalswende, die Tausende am Levtlg. Abgrund der Verzweiflung irren läßt, eine nenc Berufung: denn ein gutes Wort in der Stunde der Heimsuchung steigert sich zur guten Tat . . . Weil die Paul Kellerschen Menschen verwurzelt sind der erdfrischen Scholle, weil sie Herkommen von der ewigen, überall gleichen Wahrheit der Natur und der leid- und freudvollen, oft schrul lenhaften Vielheit des Lebens, deshalb verschafften sie ihm im gestreckten Galopp den Ruhm eines Volksdichters, deshalb werden sie in allen Zungen verstanden, wie im Norden und Süden Deutschlands, so in Frankreich, Spanien, Japan .... O wie selig die Zeit der ersten Bekanntschaft mit ihm! Vor nahezu zwei Jahrzehnten. Seine »H e i m a t« kam in ein herrlich gelegenes Schwarzwaldstädtchen und brachte unsere Herzen in jugendlich-entzückte Aufregung. Wo ein Hans- jakob, Alban Stolz, Viktor Scheffel als Lieblinge in der entferntesten Banernhütte willkommene Einkehr fanden: wo ein Hans T h o m a, dem Paul Keller wesensver wandt ist, mit den Mitteln des genialen Malers den Geschmack des Volkes bildete, dort mußte der gemtttstiese, humorbegnadete schlesische Dichter der »Heimat« aufgeschlossene Herzen finden.. O wie froh dann nach Jahren die Zeit in Wien! Gott fried Keller, W i l h e l m N a a b e, Storm, C. F. M eyer entflammten das Gemüt. Wo aber diese versammelt sind, ist Paul Kell er mitten unter ihnen. In die rhyth mische Klangwonne, in den beringenden Stimmnngsreiz der Johann Strauß scheu Walzerperlen paßte des schlesischen Dichters Welt, paßte »Das letzte Märchen«, das mir in freu diger Begeisterung eine Stubienfreundin gab. Wir lasen darin in den Arkaden der alma mater, in den Alleen des Schön brunner Parks, auf dem weinumsäumten Kahlenberg. Wir lasen und lachten über dieses herrlich närrisch-gescheite, von Poesie und Humor übersprudelnde Werk. . . Und jetzt, wiederum nach Jahren, sein neuester R o - in an: Marie Heinrich! Seit Tagen lag er auf dem Schreibtisch neben dem »Zauberbcrg«. Ich behandelte ihn wie einen geheimen Vorrat während des Krieges. Genuß schon in dem Bewußtsein: dort quillt neuer Mut, wenn Müdigkeit das Gemüt bedrückt. An einem düsteren Novembersonntag schlug ich ihn auf und begann zu lesen: »Die Oder ist unter den deutschen Flüssen wie ein Bauernweib unter Großen und Edlen . . .« Stunden verrannen. Immer wärmer wurde der Anteil, immer stärker die gespannte Neugierde. Ich litt, ich lachte, ich hielt manchmal nachdenklich inue. So etwa, wenn ich vernahm: »Herrgott, was liegt an allem, was liegt selbst am Leben und Sterben? Wer sich nicht fürchtet, dem kann nichts passieren . . .« Klingt das nicht wie Anzengrubers Stein- klopferhans: »Es kann dir nix g'schehn«? Als dann der Schluß kam, als der alte Kantor seinen Trinksprnch schloß: »Ich bin alt. Aber es ist das Glück meines Alters, daß ich mit euch, meine lieben Freunde, am Ausgang meiner Tage sagen kann: Marie Heinrich hat ihren Krieg gewonnen«, da hätte auch ich dem Dichter gerne geschrieben wie Rosegger: »Ich habe Ihr Buch gelesen. Ich möchte zu Ihnen kommen, Ihnen in die Augen schauen und beide Hände reichen . « Alle Vorzüge, die Paul Kellers Name bis in das entfernte Japan trugen, sind in diesem N o m a u wirksa in. Man ist beglückt über die wunderbare Poesie, die auf einem kleinen Nanme aus tiefster Lebensweis heit und zartestem Hauch gewoben ist. Was an Schicksalsschwere über den Hcinrichshof, über das Schul- und Pfarrhaus hin wegzieht, ist überschimmert von unvergänglichem Humor, ist durchklungen von einer ergreifenden Kantilene menschlicher Sehnsucht. Wenn man von Hans Castorp im »Zauberberg« sagt, er sei der deutsche Mensch, so gilt von Marie Heinrich: sie ist das deutsche, aufrechte Mädel, zwar schwer wie Bachsche Musik, aber unerschütterlich beseelt von dem hingebungsvollen Glauben, daß die deutschen Gehirne und die gut bebaute Acker furche dem schwer gezüchtigten entwaffnet«.'!, Volke eine neue Zukunft verbürgen. Von diesem Buche geht eine neue Welle von Volkskraft und Volksgesundheit aus, die überall hineinfluten müßte, wo die neue Generation heranwächst und gebildet wird. Es ist ein Trost im Schicksalsdunkel, eine treffliche Gabe unter den Weihnachtsbaum. Wie Christoph Columbus steuert cs zielsicher, mutig, eine neue Welt erschließend der Insel San Salvador zu . . .
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