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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 31.07.1926
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- 1926-07-31
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- 31.07.1926
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x° 176. 31. Juli 1926. Redaktioneller Teil. Entschließung befürwortet das Bestreben, die Jugend vor Schund- und Schinutzschriften zu schützen, gibt jedoch der Überzeugung Ausdruck, das; dies durch ein Zensurgesetz nicht erreicht werden könne. Das vor liegende Gesetz sei abzulehnen wegen seiner Auslegungsmöglichkeiten, der Einseitigkeit der Zusammensetzung der Prüfungsstellen und der Verbindlichkeit der Entscheidung für das ganze Reich. Der Vortrag des Herrn Justizrats vr. Seidenberger hatte folgenden Wortlaut: Gegenstand der Aussprache dieses Abends ist der Entwurf eines Gesetzes zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und S ch m u tz s ch r i f t c n. Sie sind zum Protest eingeladen. Voraus setzung sachlicher Kritik ist Kenntnis des Gegenstandes. Diese Kenntnis Ihnen zu vermitteln, will ich versuchen. Wenn in der Ihnen zugegangenen Einladung von einem Zcnsur- gesetz die Rede ist, so trifft das nicht ganz die Sache. Die Weimarer Verfassung hat bekanntlich die Zensur abgeschasft. Doch der gleiche Vcrfassuugsartikel, der dieses ausspricht, macht den Vorbehalt, das; zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur gesetzliche Maß nahmen zulässig sind. Dieser Vorbehalt ist die Mutter des Gesetzes, das im Begriff ist, geboren zu werden; seine Väter sind zahlreich, und es steht nach alter Erfahrung zu erwarten, ist das Zind erst da, erweist es sich lebensfähig, dann wird die Vaterschaft abgc- lcugnet: keiner will es gewesen sein. Einstweilen liegt ein Entwurf vor, der einen Ausschuß des Reichstags passiert hat und der nun an das Plenum geht; dort stehen durchgreifende Änderungen kaum zu er warte». Der Ausdruck »Schund- und Schmutzliteratur« ist kein Rechts begriff, obwohl er in die Verfassung und in das neue Gesetz Eingang gefunden hat. Er ist, genau besehen, nichts als ein Schlagwort. Um so bedauerlicher, das; er, gesetzgeberisch ausgerechnet in Weimar erst mals geprägt, die begriffliche Grundlage, gleichzeitig aber auch Gegen stand eines Gesetzes werden soll. Die Worte Schund und Schmutz enthalten immer ein Werturteil, es gibt keine objektiven Begriffsmerk male für sie, sie sind als Nechtsbegriff nicht begrenzbar. Das Gesetz verzichtet denn auch auf eine Begriffsbestimmung: dieser Verzicht ist das Eingeständnis einer tatsächlichen Unmöglichkeit, und die Negierung begründet ihn mit den »Schwierigkeiten, welche einer allgemein be friedigenden und den praktischen Bedürfnissen gerecht werdenden Be griffsbestimmung entgegenstehen«. Der Neichsministcr des Innern gab persönlich bei der Beratung zu, das; zahlreiche subjektive Momente mit spielen, die sich in gesetzgeberisch feste Form nicht fassen lassen. Was herauskommt, wenn man eine Umgrenzung trotzdem wagt, sehen Sie an einem Versuch einer Definition aus einem früheren Entwurf; der umschreibt das siamesische Zwillingspaar Schund und Schmutz in der Literatur als »für Massenverbreitung bestimmte Schriften ohne künstlerischen oder wissenschaftlichen Wert, die nach Form und Inhalt verrohend und entsittlichend wirken oder von denen eine schädliche Ein wirkung ans die sittliche, geistige oder gesundheitliche Entwicklung oder- eine Überreizung der Phantasie der Jugend zn besorgen ist«. Sie sehen auf den ersten Blick, wie unbrauchbar eine solche Umschreibung ist, wie sie. statt objektiv zu fixieren, genötigt ist, auf den inneren Wert der Schrift, auf die Wirkung abzustellen und alles dem subjektiven Urteil zu überlassen. Ehe ich in die Besprechung des Gesetzes selbst eintretc, noch eine Vorbemerkung: Die Prinzipielle Frage, ob es überhaupt möglich, dien lich und erwünscht ist, daß der Gesetzgeber sich mit der Aufgabe befaßt, die Jugend vor Schund und Schmutz zu bewahren, ob polizeiliche Ein griffe zu wirken vermögen und ob der ganze Fragenkomplex nicht auf dem Gebiete der Erziehung, der Soziologie usw. auszutragen ist, diese Frage scheide ich bewußt aus. Der Gesetzgeber hat die Lösung einmal in die Hand genommen, sie wird ihm nicht mehr entwunden, auch wenn man ihm den Beruf dazu bestreitet: er wird nicht darauf hören. Man wird mit ihm die Verpflichtung, die Jugend vor Schund und Schmutz zu bewahren, als ein sittliches Gebot anerkennen müssen, man wird ihm aber an Hand einer eigenen Leistung vorstellen müssen, daß diese Verpflichtung nicht eingelöst werden kann dadurch, das; gleich zeitig Kulturgüter eines anderen Volkskrk'M gerührt werden, der neben der Jugend eine mindestens gleiche Dä^einsberechtigung hat, nämlich des immerhin erheblichen Kreises der Erwachsenen. Das aber tut das Gesetz, das tut cs bewußt, weil sonst der Vorgesetzte Zweck sich angeblich nicht erreichen läßt, und dagegen muß sich die Kritik wenden. Das aus nur sieben Paragraphen bestehende Gesetz kann ich Ihnen hier nicht ins Einzelne und in die Tiefe gehend erläutern. Gäbe cs unter uns Juristen so etwas wie pathologische Anatomen, dieses Gesetz märe für sie ein höchst geeignetes nnd ertragsreiches Objekt. Ich muß mich mit der Feststellung begnügen, daß der Entwurf in seiner jetzigen Fassung gesetztechnisch und juristisch-konstruktiv mir verfehlt erscheint. Das Gesetz trägt das Aushängeschild: »Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriftcn«. Sein erster Satz bestimmt: »Zum Schutze der Heranwachsenden Jugend werden Schund^ und Schmntz- schriften in eine Liste ansgenommen«. Das ist das Fundament, das alle anderen Bestimmungen trägt, der Nest besteht nur aus Ableitun gen und Ausführungen dieses einen, eigentlich recht alten Gedankens. Wir kennen ihn aus der Geistesgeschichtc, der Index erwacht zu neuem Leben, nur heißt er jetzt bescheiden »Liste« oder genauer und bezeichnend: »N e i ch s s ch u n d I i st e«. Nun wäre vielleicht nichts dagegen zu sagen, wenn in einer solchen Liste nur wirklicher Schund und Schmutz gebrandmarkt würde. Irgend welche Garantie dafür gibt das Gesetz aber nicht. Es ist ein sogenanntes Polizeigcsetz, d. h. sein Vollzug ist den Verwaltungsbehörden über tragen unter Ausschluß der Verwaltuugsrechtspflcge und der ordent lichen Gerichte. Darüber täuscht auch die merkwürdige neue Behörde nicht, die es schafft. Die Entscheidung darüber nämlich, ob eine Schrift auf die Liste gesetzt werden soll, erfolgt durch P r ü f st c l l e n de r Länder. Diese Prüfstellen bildeten bisher den umstrittensten Teil des Gesetzes. Der Protest müßte jedoch meiner Meinung nach schon früher einsetzen; es muß heißen: ^rinoipiis obsta! Ich unterstreiche dieses Wort, denn schon ist im Reichstag Ausdehnung des Gesetzes auf Erwachsene ernsthaft verlangt worden, so ernsthaft, daß die Ne gierung sich veranlaßt gesehen hat, zu erklären, sie nehme den ganzen Entwurf zurück, weun auf dieser Ausdehnung bestanden wird. Die Gefahr, das; eine anders zusammengesetzte Negierung weniger stand haft ist, besteht immerhin. Sie werden ohnedies noch hören, das; das Gesetz in seiner jetzigen Fassung auf Erwachsene stark hinüber- greift. Im Augenblick beschäftigen uns noch die Prüfstellen. Sie sind Einrichtungen der Länder; es gibt also preußische, bayerische, sächsische usw., weun sich nicht, was möglich ist, mehrere Länder eine gemein same Prüfstelle errichten. Die Gefahr, daß etwa Bayern und Preußen hiervon Gebrauch machen, besteht sicher nicht. Bestimmt nnr eine solche Prüfstelle, daß ein Buch auf die Liste kommt, so hat das Wirkung für das ganze Deutsche Reich. Was München sagt, gilt also für Berlin und umgekehrt. Aber: lehnt Berlin die Aufnahme ab, so hindert das nicht, daß München die Ausnahme beschließt. Es gilt dann ein Buch in Berlin und in ganz Deutschland als verfemt, obwohl die Berliner für Preußen anderer Meinung gewesen sind. Ja, wenn sämtliche übrigen deutschen Prüfstellen etwa die Ausnahme eines Buches in die Liste abgelehnt hätten, könnte die zuletzt entscheidende doch noch das Buch auf die Liste setzen. Wie arbeiten die Prüfstellen? Das weiß noch niemand. Wir er fahren aus dem Gesetz nur die Zusammensetzung der Prüfstellen und ihre 84efugnis, die Liste zu füllen. Das Verfahren vor ihnen zu bestimmen, ist dem Neichsministcr des Innern überlassen, der er mächtigt ist, Ausführungsbcstimmungen zu geben. Wir wissen also nicht bas Allernotwendigste: Wird der Betroffene überhaupt von der Prüfstelle gehört, kann er sich vor ihr vertreten lassen, erhält er überhaupt Kenntnis, wenn ein Verfahren anhängig gemacht wird, u. a. Nur eins steht im Gesetz, daß die Entscheidungen dem Verfasser und Verleger zugestellt loerden müssen, denn sie haben eine Art Beschwerde recht, das an eine Frist von zwei Wochen seit der Zustellung geknüpft ist. Das hindert aber nicht, daß inzwischen die Aufnahme des Buches in die Liste öffentlich bekanntgcmacht wird, es sei denn, die Oberprüfstellc ordnet an, daß die Veröffentlichung einstweilen unterbleibe. Es kann also passieren, daß ohikb Kenntnis der Beteiligten, unter Ausschluß der Öffentlichkeit, ohne Vcrant- wortnngsmöglichkeit des Verfassers und Verlegers, also ohne rechtliches Gehör, von unbekannten, möglicherweise in der Sache selbst interes sierten Richtern über ein Werk abgeurteilt wird, bei dem nicht einmal die Garantie besteht, daß es wirklich gelesen worden ist. Denn eine Verpflichtung hierzu oder, entsprechend dem Prinzip der mündlichen Verhandlung bei den Gerichten, ein Zwang zur Verlesung des Inhalts ist nicht statuiert. Ebensowenig die Verpflichtung, die Entscheidung mit Gründen zu versehen. Es besteht auch nicht die Möglichkeit, durch den ordentlichen Richter, etwa den Strafrichter, den Schund- oder Schmutzcharakter einer Schrift nachprüsen zu lassen; der Richter muß eine Schrift als Schund-oder Schmutzschrift gelten lassen, sobald sie einmal auf der Liste steht. Bei diesem Stand der Dinge wird cs Sie nicht wnndern, daß der Reichsministcr des Innern, dem nach dem ursprüng lichen Entwurf oblag, die ihm mitgeteilten Entscheidungen der Prüf stellen bekanntzugeben, dies abgelehnt hat mit der Begründung, er wolle nicht Entscheidungen bekanntgcben, auf die er — wie er zart fühlend sich ausörückt — keinen Einfluß habe. 955
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