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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 31.07.1926
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- 1926-07-31
- Erscheinungsdatum
- 31.07.1926
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- Deutsch
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176, 31. Juli 1926. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Um so wichtiger werden die Persönlichkeiten, aus denen die Prüfstellen sich zusammensetzcn und in denen die Negierung, wie bereits erwähnt, die einzige Garantie dafür sieht, daß nicht einseitige Begriffsbestimmungen von Schund und Schmutz sich herausbilden, wobei die Gefahr der Einseitigkeit in gewissem Sinne von vornherein gar nicht auszuschalten ist, weil ja bestimmungsgemäß alles unter dem Ge sichtswinkel der Bewahrung der Jugend vor Schund und Schmutz ge sehen werden muß. Die Prüfstelle besteht aus einem beamteten Vor sitzenden und sechs Sachverständigen. Der Vorsitzende: Er braucht keine andere Eignung mitzubringen, als daß er beamtet ist. Er braucht — an sich kein Nachteil — kein Jurist zu sein, er wird be stimmt kein Richter sein, er kann ein Lehrer, ein Geistlicher sein, ja, er kann erst a<1 koe beamtet werden. Voraussichtlich wird man einen Verwaltungsbeamten bestimmen; daß der sich je mit Literatur und Kunst befaßt habe, ist nicht vorausgesetzt, auch nicht, daß er Schund und Schmutz kennt. Die sechs Sachverständigen werden entnommen: einer aus den Kreisen der Kunst und Literatur, einer aus den Kreisen des Buch- und Kunsthandcls, dagegen je zwei aus den Kreisen der Jugendmohlfahrt und Jugendorganisationen sowie der Lehrerschaft und Volksbildungsorganisationen; also wohlgemerkt im ganzen nur zwei ans den betroffenen Kreisen, dagegen vier aus den Hütern der Jugend. Wer sucht sie ans? Die Ministerien der Länder auf Grund von Vorschlägen der Verbände, wobei sie jedoch gezwungen sind, »die Ver treter der Körperschaften des öffentlichen Rechts nach Art. 137 der Reichsverfassung« besonders zu berücksichtigen, und zwar in allen Gruppen. Das ist etwas schamhaft ausgedrückt und fällt darum geradezu auf. Denn nichts hinderte, diese Körperschaften beim Namen zu nennen; es sind die staatlich anerkannten Neligionsgesellschaften, und ihre Vertreter sind die Geistlichen, die also in sämtlichen Sach- verständigengruppcn vertreten sein und demgemäß möglicher weise das Übergewicht in den Prüfstellen auch zahlenmäßig haben können. Wenn nun fünf dieser sieben Herren oder Damen — es können auch Damen sein — dafür sind, dann kommt die Schrift auf den Index. Die beiden Vertreter derjenigen Kreise, die materiell be troffen werden, der Verfasser- und Verlegervertreter, können mit ihrer Meinung allein bleiben. Nicht uninteressant ist, daß die Regierungs vorlage nur vier Sachverständige vorgesehen hatte, nämlich aus allen den genannten Gruppen je einen; der Reichstag hat jedoch den beiden Gruppen der Jugendpflege die Zahl ihrer Vertreter verdoppelt. Au die Prüfstelle kommt ein Buch auf jedem beliebigen Wege. Als besonders antragsberechtigt sind die Landeszentralbehörden und die Landesjugendäiuter genannt; cs besteht aber kein Zweifel, daß jeder einen Antrag bei der Prüfstelle einreichen kann, unmittelbar oder aus dem Umwege über eine Behörde; anonyme Übersendung eines Buches kann genügen, um das Verfahren zu veranlassen. Uber den Prüfstellen steht die beim Neichsministerium des Innern zu bildende Oberprüfstelle. An sie gelangt die Sache dann, wenn das Reich, ein Land, der Verleger oder Verfasser gegen Aufnahme eines Werkes in die Liste oder auf Streichung von der Liste antragen. Die ersteren können das unbeschränkt, Verfasser oder Verleger nur innerhalb einer vierzehntägigcn Frist. Das Beschwerderecht des Reichs und der Länder ist das einzige Korrektiv dafür, daß die Prüfstellen mit Wirkung für das ganze Reichsgebiet entscheiden. Lehnt die Prüfstelle einen Antrag auf Aufnahme in die Liste ab, so können die Antragsbercchtigten, weiter aber auch der Vorsitzende oder zwei Beisitzer, die an der Entscheidung beteiligt waren, Beschwerde bei der Obcrprüfstelle einlegcn. Wir haben hier die gesetzgeberische Überraschung, daß Richter, die bei der Entscheidung überstimmt wurden und sich in allen sonstigen Fällen der Majorität fügen müßten, selb ständig das Recht haben, zu appellieren, n. b. aber nur, wenn die Auf nahme in die Liste abgelehnt ist, nicht etwa auch daun, wenn die Auf nahme ausgesprochen ist. Hier wird eine Tendenz sichtbar, die den objektiven Beurteiler verstimmen muß. Die Oberprüfstelle besteht aus einem Vertreter des Ministeriums als Vorsitzendem, zwei vom Neichsrat gewählten Beisitzern und je einem Sachverständigen der gleichen Gruppen, die bei der Prüfstelle vertreten sind, also im ganzen aus sieben Mitgliedern. Sie entscheidet mit einfacher Stimmenmehrheit, fünf Stimmen sind aber erforderlich, wenn der Antrag auf Streichung aus der Liste abgelchnt oder der Be schwerde wegen Nichtaufnahme in die Liste stattgegeben werden soll. Auch für die Oberprttfstelle erfahren wir nichts über den Verfahrens gang. Wir sind darauf angewiesen, was der Innenminister in seinen Ausführungsbestimmungen bringen wird. Ein Urteil über die Prüf stellen wird man natürlich erst abgeben können, wenn man sie in 956 Tätigkeit gesehen hat. Es besteht die Möglichkeit, daß sie allen An forderungen gerecht werden. Es besteht jedoch eher die Befürchtung, daß ihre Zusammensetzung, der unkontrollierbare und von keinerlei Nechtsgarantie umgebene Verfahrcnsgang sie verleiten, ihre Befugnis möglichst weit auszudehnen und auszunutzen, sicher mit dem Willen, der Sache der Jugend zu dienen, aber ebenso sicher ohne Rücksicht auf die weitgreifenden Interessen ganzer Volkskreise. Die Gefahren, die hier greifbar drohen, auszumalen, ist indessen nicht Sache meines Referats. Was Sie noch wissen müssen, sind die Wirkungen, die eintrcten, wenn ein Buch als Schund- oder Schmutzschrift in die Liste ausge nommen ist. Zunächst einmal wirkt selbstverständlich die Tatsache der Aufnahme diffamierend für Verfasser und Verleger, zumal da bis jetzt keine Bestimmung darüber besteht, ob die Liste selbst zwischen Schund und Schmutz eine Unterscheidung treffen wird. Neben diesen morali schen Auswirkungen stehen aber die materiellen: Ausgenommene Schriften sind Beschränkungen unterworfen, die in Wahrheit eine Mundkotmachung, ein Verschwinden vom Büchermarkt bedeuten. Sie dürfen im stehenden Gewerbe, im Umherziehen, öffentlich nicht feil- gehalten und nicht angekündigt werden, es dürfen auf sie keine Bestellungen gesucht werden, sie dürfen innerhalb der Ver kaufsräume, im Schaufenster oder, au anderen von der Straße aus sichtbaren Orten nicht zur Schau gestellt werden, sie dürfen Personen unter 18 Jahren weder zum Kauf angeboten, noch gewerblich ent geltlich oder unentgeltlich überlassen werden, sic dürfen auch nicht von Mund zu Mund oder schriftlich angcpriesen werden mit dem Hinweis, daß ein Verfahren wegen Aufnahme in die Liste anhängig ist oder anhängig gewesen ist. Wer dagegen verfehlt, wird bestraft. -Hier sehen Sie die früher schon gestreifte Hinauswirkung des Gesetzes über den Kreis der Jugendlichen. Kein erivachsener Mensch bekommt ein solches Buch beim Buchhändler zu Gesicht, cs sei denn, der Buchhändler zieht es aus seinem Kasten hervor und zeigt es ihm, wobei er jedoch beileibe nicht sagen darf, daß das Buch auf der Liste steht. Mit andere« Worten: der reguläre Vertrieb des Buches ist unterbunden. Man kann die Entscheidungen der Prüf stellen nur nachprüfen, wenn man sich an der Hand der Liste die Bücher beschafft. Die Schund- oder Schmutzschrift kann aber auch eine Zeitung oder eine Zeitschrift sein. Erfahren zwei Nummern innerhalb Jahres frist das Schicksal der Aufnahme in die Liste, so kann die Zeitung oder Zeitschrift selbst als Ganzes auf 3—12 Monate auf die Liste gesetzt werden, mit all den oben umschriebenen Folgen. Nur politische Tageszeitungen sind ausgenommen. Noch eine Ausnahme prangt im Gesetz, ein Schönheitspflaster phne weitgehende praktische Tragweite: Wegen ihrer politischen, so zialen, religiösen, ethischen oder weltanschaulichen Tendenz als solcher kann eine Schrift nicht auf die Liste gesetzt werden! Diese vom Ncichstagsausschuß in den Entwurf cingefügte Bestimmung ist eine billige Konzession politischer Parteien an die andere Seite. Wenn die Prüfstelle eine Schrift auf die Liste setzen will, wird, wenn über haupt ein Begründungszwang bestehen sollte, leicht eine Begründung zu finden sein, die dieser Bestimmung gerecht wird. Damit ist der Inhalt des Gesetzes erschöpft. Beachten Sie, daß die Prüfstellen, diese neuen Organe für Schmutz und Schund, eine Machtbefugnis haben, die weit über die richterliche Befugnis hinaus geht, ja Laß sie Urteile der ordentlichen Gerichte geradezu sabotieren können. Das neue Gesetz überschneidet teilweise die Bestimmungen unseres Strafgesetzbuches, das die Verbreitung unzüchtiger Schriften oder solcher, die das Schamgefühl gröblich verletzen, verbietet. Wir wissen aus mancherlei Erfahrungen gerade der letzten Jahre, daß Namen und Werke wie Boccaccio, Bandello, Goethes Venetianische Epigramme, von manchen Neueren zu schweigen, die Beurteilung des Strafrichters auf ihre angebliche Unzüchtigkeit hin zu bestehen hatten. Gelang es auch meiste be.'; ordentlichen Richter davon zu überzeugen, daß es sich hier um reine Kunstwerke handle, nichts hindert die Prüf stellen, solche und andere gleichwertige Bücher ihrerseits auf die Liste zu setzen und dies damit zu begründen, daß vom Standpunkt des Schutzes der Jugend aus betrachtet es sich um Schmutz und Schund handle. Hat ein Verleger und Autor die Scylla strafrechtlicher Ver antwortung glücklich umschifft, nichts bewahrt ihn davor, von der Cha- rybdis einer Prüfstelle verschlungen zu werden. Vor allem der dehn bare Begriff des Schundes, betrachtet aus dem Gesichtswinkel des Jugendschutzes, bedeutet eine sichtbare Gefahr für alles Werdende in Literatur und Kunst.
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