214,14. September 192S, Wnsttg erscheinende Bücher. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 8098 s ist etwas Erstaunen darüber gewesen, daß mehrere bekannt« Schriftsteller zur selben Zeit große RIllv Erzählungen erscheinen ließen. Nun komme auch ich mit einer solchen. Ich denke, es hat seinen inneren Grund darin, daß nach den Jahren der großen Unruh und des Unglücks die Herzen sich wieder beruhigt haben, die Wogen im Innern wieder lang geworden sind und nun wieder zu einer weitern, geruhigern Fahrt die Segel gebreitet wurden. Ich hatte das Holz für dieses Fahrzeug schon seit langem, wohl schon fast zehn Jahren, anzusammeln angefangen. Ich wollte breit und doch beweglich, in Ichform, mein Leben darstellen, wie es gewesen ist oder hätte sein können oder vielleicht hätte sein sollen. Ich freute mich sehr auf diese Arbeit; sie sollte vom Anfang bis zum Ende nichts als heiteres Spiel des Erzählens sein. Ich wollte alles Grübeln um Volk und Staat, alles Mühen um Welt und Weltanschauung bei seite lassen; nur was der Tag einem ernsten Menschen vor die Füße legt, sollte bewältigt, geklärt, dar gestellt werden. Aber der Krieg und was folgte, zwang zu anderm Arbeiten, „Die Brüder" mußten an die Front und nach Skagerrak. „Der Pastor von Poggsee" mußte Krieg und Revolution, so tapfer wie er konnte, bestehn. „Lütte Witt" mußte in diesen Wogen untergehn. Und nun, da die so lange geplante Lebensgeschichte endlich zustandegekommen ist, ist auch sie noch nicht frei von der Not, die wir alle durch gemacht haben, und hat nicht die heitern Augen, die sie haben sollte. Das Schiff hat bunte Wimpel, darunter aber auch schwarze. Wozu ist der Schriftsteller da, als neben dem Zug seines Volkes einher zustapfen und zu stolpern, und ihm Weg und Willen zu murmeln? * Es ist in der Erzählung viel von meinem wirklichen Leben. Alle einzelnen Begebenheiten sind mir gescheht» oder lagen in der Möglichkeit und streiften mich mit ihren Flügeln oder geschahen nahe neben mir. Auch der Tod der Eltern ist geistig wahrhaftig; denn er war wohl nahe, und ich habe ihn als Kind oft mit Entsetzen geahnt. Auch die beiden Fluchten sind wirklich. Und alle Figuren sind wirkliche Menschen, d. h. in ihrer Anlage. Auch sind die Stufen meines Lebens richtig wiedergegeben. Nur die KriegSerlebnisie sind die eines andern. Aber es ist alles anders geschoben und steht nun anders, als es in Wirklichkeit gewesen ist, auch die Charaktere sind anders geworden, weil die Schicksale dieser Menschen, indem sie auf andere Menschen und Zufälle trafen, andere sind als die der Wirklichkeit. Diejenigen, welche mein Leben zu kennen glauben, werden darin irren, daß sie meinen, es wäre zu wenig von meinem wirklichen Leben darin, und die, welche mein Leben nicht kennen, werden irren, wenn sie meinen, daß es wirklich so ge wesen ist. Indem ich Menschen meiner Jugend bis in ältere Tage hinein mir begegnen lasse, Bekannten älterer Tage schon in der Jugend begegne, Wendungen des Lebensweges, Verweilungen, Abwege, Fluchten deutlicher zeichne, als sie sich in Wirklichkeit begaben, ist die Erzählung immer in jener Schwebe zwischen Wahrheit und Dichtung, welche allen ähnlichen Werken eigen ist, weil sie damit dem ästhetischen Bedürfnis des Autors genügen, der nicht berichten, sondern bilden will. * Die Jahre um Sechzig sind gefährlich für Männerleben; ich war in Sorge, ich Teppichweber wie Paulus, ob ich die so großangelegte Arbeit, dreißig lebensgroße Figuren und alle Farben, in denen Menschenherzen gemalt sind, zu Ende bringen würde. Es war ein großer Tag, da sie beendet war. Es gab einen langen, einsamen Weg übers menschenleere, stille Feld; im Herzen war es nicht still. „Schlag' eS nieder, wenn es nichts wert ist, wenn es der Menschheit nicht dient. Gib ihm Leben und Segen — seltsam sind die Geschicke von Büchern! —, wenn es Leben und Wahrheit hat; denn Leben und Wahrheit schafft ihm selber Leben." Damit nahm ich Abschied von ihm. Dxnn was Hab' ich noch damit zu schaffen? Es gehört nun andern und allen. Der Schreibtisch ist leer. Gustav Frenssen G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung / Berlin