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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 11.10.1880
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1880-10-11
- Erscheinungsdatum
- 11.10.1880
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- Deutsch
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zeugte sich bald, daß die von der Mehrheit der Conferenz vor- geschlagene Behandlung des Dehnungs-h und des S-lautes aus ^Widerstand im Volke stoßen würde. So beschloß denn das preußische Ministerium Falk, unter Zurückgreisen auf die ur sprüngliche Raumer'sche Vorlage mit Berücksichtigung der Con- fspenzbeschlüsse ein neues Regelbuch ausarbeiten zu lassen, uijd legte diese Aufgabe in die Hände des Professor Wilmanns in j Greifswald, welcher als tüchtiger Germanist und Verfasser einhr deutschen Grammatik bekannt ist und an den Arbeiten derj Orthographie-Conserenz hervorragenden Antheil genommen hatje. ) Dies ist die Entstehungsgeschichte der unter dem Ministerium Pustkammer für die Schulen verordneten Rechtschreibung. Ob man hiernach das Recht hat, von Ueberstürzung, von Mangel an Sachverständniß zu sprechen, kann sich Jeder selbst sagen. Wenn man freilich manche Zeitungsstiinmen hört, möchte man glauben, der Orthographie-Erlaß sei ein Ausfluß brutalster Willkür. Man hat ihn einen Faustschlag ins Gesicht der Nation, ein Attentat gegen unsere Muttersprache genannt. Namentlich hat man sich höchst wunderliche Vorstellungen gemacht von der Tragweite der Abweichungen der neuen Schreibweise gegenüber dem bisherigen Schreibgebrauche. Ein Reichstagsredner rust jammernd aus, sämmtliche Bibeln und Gesangbücher, diese Heilig- thnmer für viele Familien, müßten vernichtet werden; und noch weiter geht der Verfasser eines blumenreichen Aufsatzes in einer der letzten Nummern von Lindau's „Gegenwart", welcher in naiver Sachunkenntniß geradezu Unglaubliches leistet. Der Artikel ist zu interessant, als daß ich mir versagen könnte, Einiges daraus mitzutheilen. Er ist überschrieben: Apotheose des Putt- kamer'schen Rechtschreibungsdecrets. Der Aufsatz beginnt mit einer Anzahl von Citaten über das Tragische der Weltge schichte. „Die immense Monotonie dieser Tragik" — so fährt der Verfasser fort — „wird zuweilen durchbrochen, und es blickt so etwas wie die ewige Heiterkeit breitgrinsend vom Firmament auf uns herab. Es kommt uns dann vor, als schallte das ho merische Göttergelächter vom Olymp zum Tartarus herab (ist der Verfasser schon so weit hinabgekommen?) und als hätte Zeus die Narrenkappe aufgesetzt. Ein solcher Moment war gekommen"—, als das orthographische Regelbuch für die preußischen Schulen erschien! Und nun höre man die Begründung dieses erschütternden Verdammungsurtheiles: „Die Werke von Lessing, Schiller, Goethe, Bibel, Fibel, Katechismus, die schönen Novellen von X, As be strickende Verse re. — alle diese Werke, in denen die Erfah rungen der Menschheit sich verdichten (vgl. Fibel), die als bin- trimsntuin sxirttns unseren Vätern und Brüdern und uns selbst in Fleisch und Blut übergegangen, selbst wenn wir selbst nie einen Blick in ihre Tiefen gethan (— so?! —), sind vernichtet, sind nun wirkliche Spirituspräparate geworden." Aber noch nicht genug damit, das unselige Orthographiebüchlein richtet noch viel schlimmeres Unheil an; es regelt nicht nur die Schrift, sondern nach der Ausfassung des Herrn B. auch die Sprache. Wie dies freilich möglich sein soll, wie durch orthographische Regeln dem gesprochenen Worte Gewalt angethan werden kann, darüber erfahren wir nichts Näheres; wir hören nur die pathe tischen Worte: „Man könnte so gut der Fluth besehlen: ,Kusch dich!" wie einer wachsenden Nation mit einem beschränkten Wörterkreis sich anszuhelfen befehlen. Eines Mannes Sprache — und wäre sie die eines preußischen Ministers — ist keines Mannes Sprache (!). Schließlich geht die scheinbare Will kür des ewigen Fallgesetzes über die so errichtete Wehre hinweg, und der preußische Beamte und Lehrer würde nach kurzer Zeit eine todte Sprache sprechen, der gezwungen würde, sich an die neupreußische Orthographie zu binden." Ob sich wohl der Verfasser bei diesen Worten etwas gedacht hat?*) Die Abweichungen der neuen Rechtschreibung von der bis herigen sind in Wirklichkeit gar nicht bedeutend. Ich kann hier nicht aus Einzelheiten eingehen, will aber nur nochmals betonen, daß es sich nicht um eine Neuordnung unseres Schreibgebrauchs handelt, sondern nur um eine Fixirung desselben, daß Aende- rungen nur da vorgenommen sind, wo der jetzige Schreibgebrauch ins Schwanken gekommen ist, und daß auch hier durchaus maßvoll vorgegangen worden ist. . . . Ich habe bisher im Wesentlichen nur von der preußischen Orthographie gesprochen. Bekanntlich ist aber Bayern mit der Regelung der Rechtschreibung für die Schulen vorangegangen, auch Württemberg hat vor einiger Zeit seine Schulorthographie geregelt, und ebenso gibt es seit 1879 eine neue oesterreichische Rechtschreibung. Von den kleineren deutschen Staaten haben sich einige sofort der preußischen Orthographie angeschlossen, in Sachsen ist noch keine Entscheidung getrosten, doch steht sicher zu erwarten, daß in kurzem auch hier von Seiten der obersten Schulbehörde eine Regelung erfolgen wird. Diese Zersplitterung ist mit Recht lebhaft beklagt worden. Man hat sich gefragt, warum diese Angelegenheit, die aus der Initiative der verbün deten deutschen Regierungen hervorgegangen ist, nicht von Reichs wegen ihren Abschluß gesunden hat. Allerdings sind von Seiten der Klerikalen und Conservativen Competenz-Bedenken im Reichs tage erhoben worden, aber mit gutem Grunde hat diese der Staatsminister Hofmann im Namen der Reichsregierung zurück- gcwieseu. Warum trotzdem von Seiten des Reiches nichts ge schehen ist, entzieht sich unserer Kenntniß. Sicherlich hätte eine Regelung der -Orthographie von dieser Seite in der öffentlichen Meinung keine solche Anfeindung gefunden. Aber trotzdem, daß wir dies schon um der Einheitsidee willen lebhaft beklagen, ist der Schade nicht so groß. Denn wenn wir jetzt auch eine Reihe verschiedener Orthographien haben, so stehen doch diese alle auf demselben Boden, sie alle fußen mehr oder weniger auf dem Raumer'schen Entwürfe und den Beschlüssen der Orthographie-Conserenz. Daher sind auch die Unterschiede, na mentlich zwischen der preußischen und der bayerischen, sehr gering, so gering, daß der preußische Kultusminister ebenso wie sein Amts genosse in Bayern dem Vorstände des Börsenvereins Deutscher Buchhändler in Leipzig die Zusicherung geben konnte, daß es für die Zulässigkeit von Schulbüchern zum Gebrauche in preußischen und bayerischen Schulen einerlei sei, nach welcher Orthographie sie gedruckt würden. Nichtsdestoweniger bleibt es ein dringender Wunsch aller Vaterlandssreunde, daß auch über die wenigen verbleibenden *) Noch eine Probe seiner Klarheit über sprachliche Dinge. Er ist empört über das ie, welches jetzt in den Fremdwörtern auf —ieren nach dem Vorgänge von spazieren, regieren im Anschluß an die historisch begründete alte Schreibweise verlangt wird: „Uns wird bei diesen Dehnungen eines Lautes, der begrifflich wie etymologisch schon als bloßer Ballast sich störend bemerklich macht, und den andere lebendiger im Kampf ums Dasein stehende Sprachen längst abgestoßen und abge schliffen haben (das deutsche Dehnungs-e?), der überdies auch phone tisch in gleichem Maße unangenehm ist, uns wird dabei, sagen wir, zu Muthe, als ob ei» angehender Violinvirtuose vor unseren Ohren aus der Quinte seine ersten Uebnngen machte." Ein solches Gefühl empfindet man allerdings beim Lesen dieses Mustersatzes, den ich dem geistvollen Herausgeber der „Gegenwart" zur Behandlung in belannter Lindan'scher Wanier empfehlen möchte: man denke sich die Dehnungen eines Lautes — soll heißen einen Dehnungslant —, welcher begrisslich wie ety mologisch als Ballast stört und phonetisch in gleichem Maße unangenehm ist! Das ist doch der blühendste Unsinn.
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