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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 19.04.1927
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- 1927-04-19
- Erscheinungsdatum
- 19.04.1927
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dann Stellung nehmen soll, wenn man wahrhaft unterrichtet ist, und daß man nicht aus gewiß ehrenwertem, aber unklarem Gefühl heraus Behauptungen aufstellen und unterzeichnen soll, die tendenziös, ja falsch und irreführend sind. Dies haben Sie und mit Ihnen alle, die Ihren Aufruf Unterzeichneten, getan. Sie alle sind der geschickten Suggestion einer gewissen Gruppe von Verlegern unterlegen, die nicht erst seit heute — zum großen Teil gewiß auch in ehrlicher Überzeugung — ihre Verlagsinteressen mit -enen der deutschen Nation verwechseln. Sic geben in Ihrem Aufruf zunächst zu, daß es wünschenswert wäre, internationale Rechtsgleichheit in der Frage der Schutzfrist zu erreichen, versuchen aber zugleich, die 50jährige Frist dadurch zu miß- kreditieren, daß Sie sie in einer Nebenbemerkung als besondere Eigen schaft der romanischen Staaten hinzustellen versuchen. Gewiß haben Frankreich, Belgien und Italien mit dieser Schutzfrist — Spanien sogar mit einer 80jährigen — keine schlechten Erfahrungen gemacht, aber es ist doch wohl auch Ihnen bekannt, daß England mit Dominions, die Vereinigten Staaten von Nordamerika, die Niederlande, Norwegen und Dänemark, also die Mehrzahl der germanischen Staaten, ebenso fast alle slawischen, die 50jährige Schutzfrist haben, daß es also gänz lich irreführend ist, hier nationalistische Fähnchen zu schwingen und, zur Verwirrung Unkundiger, die ganze Frage zu einer Rasscnfrage zu machen. Ferner ist es meines Erachtens kein zwingender Schluß, wenn Sie sagen, die 30jährigc Schutzfrist habe früher segensreiche Wirkungen ge habt, also müsse sie bestehen bleiben. Sie wissen, daß auch die besten Gesetze mit dem Wandel der Zeiten einem notwendigen Wandel unter worfen sind, wenn die Voraussetzungen, auf denen sie sich gründen, sich ändern. Dies ist nun gerade in unserer Frage der Fall. Eben durch das immer fortschreitende Freiwerden aller Dichtung durch den immer wachsenden Schatz freier deutscher Dichtung wird eine immer wachsende Konkurrenz für die Werke der Lebenden geschaffen, die schließlich die Werke der Lebenden einem Drucke aussetzt, der ihr ganzes Dasein be droht. An diesem Punkte stehen wir heute, und deshalb ist es eine historisch gewachsene Notwendigkeit, die Lebenden durch die 50jährige Schutzfrist stärker zu schützen. * Nun behauptet Ihr Aufruf allerdings, daß einen materiellen Vor teil von der 50jährigen Schutzfrist ja nur eine ganz kleine Zahl von Erben haben würde. Dies ist wieder, mit Verlaub, die allerschlimmste Irreführung und Sand, den Ihnen die interessierten Verleger in die Augen geworfen. Man muß denn doch erwarten, daß Sie und die Unterzeichner diesen wichtigen Punkt etwas weitsichtiger und einsich tiger betrachten. Es gibt heute, im großen und ganzen deutlich ge trennt, zwei Verlcgergruppen. Die einen verlegen in der Hauptsache nur freigewordene Literatur, dienen damit gewiß dem deutschen Volk, aber als Kaufleute selbstverständlich doch auch ihrem Geldschrank — ohne allzu großes Risiko. Die zweite Gruppe von Verlegern verlegt in der Hauptsache Lebende, der größere Teil davon wieder nur Tages- warc und Unterhaltungsliteratur, und nur ein ganz kleiner Teil wirk liche Dichtung. Diese letzte Art von Verlag verlangt, wie jeder be greifen wird, sehr viel Idealismus, Mut, Instinkt für das Wesentliche und Bleibende, Ausdauer und Risiko. Diesen Verlegern allein ist das Schicksal der zeitgenössischen und der künftigen deutschen Dichtung an vertraut. Diese Verleger sind es, die jungen Talenten, und heute vielfach auch den älteren Schriftstellern, in sehr vielen Fällen über haupt erst die Arbeit ermöglichen, sie erhalten und propagieren. Und diese Verleger sind es, die, van der Masse der freien Literatur erdrückt, ihre hohe Aufgabe kaum noch erfüllen können. Sie sind es, denen die 50jährige Schutzfrist in erster Linie zugute kommt, und durch sie dann indirekt den wirtschaftlich schwächsten unter den Dichtern. Der in allen Verlagen dieser Art zu beobachtende Verlauf ist fol gender: Ein Verleger mit Instinkt, Mut und Geld setzt, gewissermaßen wie in einer geistigen Lotterie, auf eine ganze Anzahl jüngerer Dichter, ermöglicht ihnen Arbeit und Leben und kämpft für ihre Werke. Wenn er Glück und Nase hat, bringt er einen oder zwei von diesen zu zeit lichem und, bei ganz besonderem Glück, auch einen, den bedeutendsten, zu dauerndem Erfolg. Dieser wird frühestens in den letzten Lebens jahren des Dichters, oft erst nach seinem Tode erreicht. Nun erntet der Verleger, was er gesät, aber er muß ja auch irgendwo ernten, da er, um für die Zukunft zu sorgen, sogleich wieder junge Talente auf- nimmt und durchkämpft. Dies ist seine große Kulturaufgabe. Bei der ständig wachsenden Konkurrenz der freigewordenen und der Tages- und Scnsationsliteratur erweist sich nun heute gerade für die wirkliche Dich tung die 30jährige Schutzfrist als zu kurz. Die einzige Gewinnmöglich keit wird den Verlegern, die für die Lebenden kämpfen, zu früh ent rissen und den Verlegern überantwortet, die nie etwas für die Leben den getan. Die anderen Verleger sind dann nicht mehr in der Lage, lebende junge Autoren genügend zu stützen und durchzuhalten. Auch sie werden also gezwungen, auf möglichst schnellen Erfolg zu sehen, wenn sie bestehen wollen, und daß sie den nicht bei den wirklichen Dichtern finden, ist nur allzu klar. Eine Verlängerung der Schutzfrist aber würde eine Stärkung des Interesses an den wahren Talenten von Zukunftsbedcutung Hervorrufen und dadurch die besten schöpferischen Köpfe unseres Volkes stärken. Die 50jährige Schutzfrist kommt also keineswegs nur fernen Erben, über die sich niemand aufregen würde, zugute, sondern gerade den ringenden Talenten der Gegenwart. Diejenigen Verleger, die gewöhnt lind, von honorarfreien Toten zu leben, haben fast ohne Ausnahme kein Interesse an den Lebenden, oder bieten ihnen, nur zur gelegentlichen Ausschmückung ihrer billigen Sammlungen, Bettelhonorare. Wer nun eine kleine Ahnung hat von der bitteren Not und Hoffnungslosigkeit, mit der wir lebenden Dichter heute, mit ganz geringen Ausnahmen, zu kämpfen haben, der wird zum mindesten nicht in so leichtfertiger Weise, wie es geschieht, uns vorwerfen, baß wir uns auf Kosten der Nation bereichern wollen, wenn wir die Verleger ein wenig gestärkt sehen möchten, die uns Leben und Arbeit ermöglichen. Seit zwanzig Jahren arbeite ich als Schriftsteller; ernähren konnte ich mich und meine Kinder nur durch Herausgeberarbeiten, in dem ich mich gewissermaßen auch von den Toten ernähren ließ wie der größte Teil der deutschen Verleger. Aber man möchte sich nun endlich ganz seiner eigenen Arbeit widmen dürfen, und sie verdiente vielleicht, daß ich wenigstens ohne Not und Sorge leben und etwa das Einkommen eines Volksschullehrers erwarten dürfte. Dank meinen beiden Verlegern habe ich dies Einkommen vielleicht im Durchschnitt, aber ohne jede Sicherheit, ob ich es morgen noch haben werde. Ständig mit der Feder in der Hand um das tägliche Brot zu kämpfen, sind wir ja gewöhnt, und ich will nicht klagen. Aber ich bin auch einer der be kanntesten Schriftsteller, wie man so sagt. Wie es weniger geschickten, weniger vom Glück begünstigten und vielfach weit bedeutenderen Schriftstellern heute geht, wie aussichtslos vor allem die Lage junger noch unbekannter Talente ist, das hier darzulegen würde zu weit führen. Schuld daran ist vor allem die systematische Erziehung des deut schen Volkes dazu, möglichst nur Fretgewordene zu lesen, erstens weil man erst dreißig Jahre nach dem Tode eines Dichters gewissermaßen amtlich bestätigt bekommt, daß er ein wirklicher Dichter war und also zur »Bildung« gehört. Dann kauft man ihn in Massen zum Nutzen der Verleger, die bet seinen Lebzeiten nie etwas für ihn getan haben, dann errichtet man ihm Denkmäler, nennt ihn »unseren« Mörike, Hebbel, Keller usw. Schon Goethe sagte ja das bittere Wort: Was räucherst du nun einem Toten? Hätt'st du's dem Lebenden geboten. Aber der Tote, so geht die Sage, ist billig. Das behauptet ja auch Ihr Aufruf. »Vor allem die Schulen aller Grade«, sagt er, »sind auf die Benutzung freier Werke angewiesen.« Nun steht ja erstens die ganze freie deutsche und freie Weltliteratur den Schulen zur Verfügung, und diese hätten wahrhaftig genug zu tun, wenn sie erst diese der Jugend beibrächten. Aber auch die geschützte Literatur ist — was Ihr Ausruf scheu verschweigt — nach § IS des Urheberrechts für »Kirchen-, Schul- und Unterrichtsgebrauch« in großem Umfang völlig frei gegeben: Alle Gedichte, kleinere Aufsätze und Erzählungen usw. und Teile größerer Dichtungen — was alles ja allein für die Schulen in Frage kommt — dürfen kostenlos und ungefragt in die Lesebücher usw. ausgenommen werden. * Es ist überhaupt eine aus früheren Zeiten geflissentlich fortgeführte Legende, als bestände zwischen freier und nichtfreier Literatur ein so wesentlicher Preisunterschied. Der Druck, der von der Masse der freien Literatur ausgeht, zwingt heute auch die Verleger geschützter Werke, sich im Preise so nahe wie möglich an die Preise der freien Literatur zu halten, und gerade von wesentlichen und erfolgreichen Büchern erscheinen heute fast ohne Ausnahme nach kürzester Zeit billige Volksausgaben, die bei gleicher Qualität, auch nach Frei werden kaum unterboten werden können. Die scheinbare größere Bil ligkeit freier Literatur wird gewöhnlich nur durch miserable unwürdige Ausstattung und schamlose Kürzungen erreicht. Teure Luxusausgaben aber erscheinen fast nur von freigewordenen Dichtern, und wenn man den Durchschnittspreis freier und geschützter Literatur errechnen könnte, so würde, trotz Reclam, ein wesentlicher Unterschieb nicht mehr ge funden werden. Darum ist es wiederum nichts als Sand in die Augen, wenn man soziale Gründe für die dreißigjährige Schutzfrist anführt. Erstens steht den »bildungshungrigen Massen« eine solche Fülle von freier deutscher und fremder Literatur zur Verfügung, daß niemand zu hungern braucht. Zweitens sind die Verleger der Lebenden heute alle im eigensten Interesse bemüht, den bildungshungrigen Massen die Werke der Lebenden so billig wie möglich zugänglich zu machen. Im gleichen Sinn arbeiten Volksbibliotheken, Leihbibliotheken, Bücher-
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