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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 21.06.1927
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- 1927-06-21
- Erscheinungsdatum
- 21.06.1927
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142. 21. Juni 1927. Redaktioneller Toll. kennen, das Wissen kam mir immer erst nach dem Tun und dnrch das Tun. Ich habe immer aus dem Verhältnis zum Irrationalen meines Wesens verlegt. Es klingt paradox, stand man in den ver gangenen dreißig Jahren gegen die herrschende Zeitströmung, so half einem das Leben. Diederichs betont, die Universalität des Verlages sei einfach ohne jedes Programm aus der Absicht, dem Leben zu dienen und Geburtshelfer am schöpferisch Neuen zu sein, gekommen. Denn es regte sich zur Zeit seines Auftretens bereits seit der naturali stisch-literarischen Revolution um 1890 allerlei Neues in Deutsch land, dem sich dann die Revolution aus dem Gebiet des Kunst gewerbes um 1895 augeschloissen hatte. Er sei nicht hinter im voraus gangbaren Tagesgrößen hergezogen, sondern betreute die noch Unbekannten. Aber er sei auch manch eigenen Weg durch Aufträge gegangen, denn ein Verleger, der keine Bücher anzuregen wisse, sei von vornherein nicht zum Verlegen geboren. Er be zeichnet zunächst seinen Verlag, wie gesagt, als -den führenden der Neuromantik, die nach seiner Meinung damals auf dem Wege gewesen sei, an die Natürlichkeit, Ursprünglichkeit, Kunst und Da seinsfreude der Menschen aus -dein Zeitalter des Paracelsus und Dürer anzuknüpsen. Sie wird, so zitiert er unter anderm aus einem 1900 herausgegebeuen Rundschreiben, »den von Nietzsche mit Recht gebrandmarkten Bil-dungsphilister, der sich nur mit den Lappen der Kultur behängt hat, überwinden und zur künstlerischen Kultur «des 20. Jahrhunderts erziehen. Die Sehnsucht der Seele nach etwas, das dem Leben Sinn und Inhalt gibt, führt zuerst zur innerlichen Vertiefung. Aus dieser heraus entwickelt sich der Mensch nach Goethes Beispiel zum Einklang mit der Umgebung; denn das Mit-Bewusttseiu-lebeu führt zur Ausbildung vorhan dener Kräfte und Anlagen, zu dem gesunden fröhlichen Menschen, dessen eigenes Leben ein unbewußtes Kunstwerk ist. Kein totes Wissen mehr, sondern es soll sich mit der Kunst vereinen, um den Menschen zu formen und ihn zur praktischen Betätigung zu führen. Nur dadurch hat Ruskin der englischen Kultur ihre jetzige einflußreiche Stellung gegeben«. Das Stichwort »Ruskin« aber gibt Diederichs zu folgender Zwischenbemerkung Anlaß: Was ist uns heute Ruskin! Nur wer damals in und mit der Zell gelebt hat, weiß, daß niemand ihn recht kannte, ader sein Name den Rnf eines alttestamentischen Propheten hatte, der hell hörig genug war, tun das Reden der Steine von den gotischen Palästen in Venedig zu verstehen. Sein Denken wgr sozusagen der mystisch-religiöse Untergrund der neuen künstlerischen Bewegung. Ich muß heute über meinen derartig formulierten Glauben an eine kommende künstlerische Kultur, die zwölf Jahre vorher der Nembrandtdeutsche prophezeit hatte, ein wenig lächeln. Der Name Paracelsus hat für mich in dem Augenblick, wo ich mich anschicke, ihn in der Linie Gott—Natur zum zweitenmal herauszubringen und ihn weiter auch noch für die heutige Medizin dnrch praktische Anmerkungen zum fruchtbaren Anstoß werden zu lassen, eine andere Note. Sie bedeutet: Nicht den Individualismus des Humanismus, sondern das Allcinhcits- und breite Gemeinschastsempsinden der Gotik. Sehr treffend bringt dann Diederichs eine Charakteristik seines gelegentlich der Übersiedlung nach Jena 1904 hcrnusgegebenen Katalogs, bie wohl geeignet ist, -dokumentarischen Wert für die Beleuchtung der Geschichte unserer geistigen Entwicklung um 'die Jahrhundertwende zu erlangen. Er bemerkt dazu: Daß ich an dieser Stelle sozusagen eine Bestandsübersicht mei nes Verlages bei Beginn meiner Jenaer Tätigkeit gebe, hat den Zweck, klarzulcgen, was in einer ganz bestimmten kulturellen Zeil epoche in Deutschland seitens meines Verlages geschah. Der Lite- ' rarhistoriker von heute und mit ihm der Zcitungskritiker sieht in der Regel auf ein paar literarische Namen, wenn er die Zeit um die Jahrhundertwende schildert, und weiß nur oberflächlich um die an deren geistigen Strömungen um die Jahrhundertwende Bescheid. Denn in der Regel hat er sic noch nicht miterlebt, und dann fehlt anch noch das Werk, das die geistigen Tendenzen jener Zeit zu- sammenfaßt. So kommt cs auch, daß der dreißig oder vierzig Üahre alte Buchhändler von heute oft zu glauben pflegt, die Ent wicklung modernen Denkens setze mit seinen Erinnerungen ein. Je jünger aber er ist, desto inehr glaubt er, vor der Existenz seines Jchs fei einfach ein Vakuum. Die älteren Buchhändler werden sich aber noch gut erinnern, welches gewaltige Aufsehen mein im Herbst 1897 erschienenes Vcr- 762 lagswerk H ans Blu m, Die deutsche Revolution, machte oder der so seltsam ausgcstattetc »Schatz der Armen« von Maeterlinck. »Gut frisierte« statt autorisierte Ausgabe hatte ein Kritiker gelesen. Wilhelm Bölsches »Liebeslebcn«, Maeterlincks »Leben der Bienen«, Jens Peter Jacob sen und Tolstoi waren in meiner Leipziger Zeit die Bücher eines ausgesprochenen Er- — folges. Weniger gut giug es verlegcrisch mit deu Monographien zur deutschen Kulturgeschichte, die fast mein ganzes, nicht allzu gro ßes Barvermögen schon im zweiten Vcrlagsjahr verschlungen hatten. Hatte ich doch etwa 4000 Klischees für 24 Bände im voraus ange fertigt. Es war ein mühseliges persönliches Sammeln, an alle deutschen Kupferstichkabinette war ich herangegangen. Ich kam erst bei ihnen nach fünfzehn Jahren aus meine Kosten. Dadurch war ich genötigt, meinen Verlag fast nur auf Kredit aufzubauen, was nur dadurch möglich war, daß man erst nach einem Jahr zur Oster messe seine Rechnungen an die Lieferanten zu bezahlen branchte. O gute, alte Zeit! Diederichs bespricht dann ausführlicher seine Leistungen auf dem Gebiet der Buchausstattung. Über den Ausbau des Verlags in den Jahren bis zum Kriegsausbruch aber und die damalige geistige Lage Deutschlan-ds sagt er: Von spekulativen Neudrucken älterer, honorarsreier Werke habe ich mich stets zurückgehalten, ich brachte aus vergangener Zeit nur heraus, was bestimmteu, neu auftretenden geistigen Strömungen als Rückhalt dienen sollte. Übrigens fingen meine Bücher erst vom Jahre 1906 an, zugleich mit einer Fark einsetzenden Tätigkeit des Verlags Georg Müller und der Insel in Neuausgaben älterer Werke in größerem Maße gekauft zu werden. Das Jahr 1906 ist überhaupt ein Wendepunkt im Buchabsatz gewesen. Es war, als wenn Deutschland aus einmal reich geworden sei, die sprichwörtliche Knauserigkeit im Bücherkaufen hörte auf. Einerseits hob sich nach zehnjähriger Pioniertätigkeit einiger weniger mit einemmal das Niveau der allgemeinen Ausstattung, der Begriff vom »schönen Buch« entstand und lockte zum Sammeln. Es begannen nun aber auch viel wesentliche Bücher, nicht bloß aus dem Gebiet der schönen Literatur, in einer Reihe deutscher Verlage zu erscheinen. Die sozialen und künstlerischen Anschauungen vertieften sich, schon fand die Mystik Boden. Der rationale Glaube an eine stetige Höherentwicklung der Menschheit fing mit Eindringen der Philoso phie Bergsons in Deutschland an, in eine irrationale Auffassung hin- überzngleiten, und man sprach nunmehr von schöpferischer Entwick- Ümg, vorher aber war »Monismus« das Losungswort. Ein von der Erdkraft ausgehendes Denken und ein verstärktes Interesse für okkulte Probleme waren die Parole. Schon um die Jahrhundert wende war an Stelle des bis dahin zugkräftigen Schlagwortes »Weltanschauung« das Wort »Kultur« getreten. In der liberalen Theologie begann die Konzentration des religiösen Denkens auf die menschlich vorbildliche Persönlichkeit zu wanken. Albert Kalthosf lind Arthur Dreivs liefen gegen deu Historizismus in dem Pro testantismus Sturm. Hegelsche Ideenwelten wurden wieder wach, auch Schelling gewann wieder Boden (Joel, Welt und Seele). Dilthey stand aus der Höhe seines Einflusses, man glaubte, ein Neu humanismus, der sich auf wirkliches Ins-Volk-dringen unserer Klassiker aufbauen würde, würde heraufkommen. Ja, der Name Fichte diente in Wickersdorf und anderen modernen Tchnlheimcn direkt als Programm. Auch das Bild des Dichterfürsten Goethe begann sich bereits mehr in das Menschliche umzuwandeln. Kurz, es lag wie eine Vorfrühlingsstimmung über Deutschland, und etwa 1910 brach die Wiedererweckung des deutschen Volksliedes durch den Wandervogel durch. Ich weiß noch ganz genau, wie schwer ich cs zu Anfang hatte, meinen studentischen Serakreis, der sich zuerst aus der frcistudentischcn Bewegung entwickelte, die um 1908 an der Jenaer Universität aufkam, zum Singen von Volksliedern zu be wegen; mit einemmal war im neuen Semester alle Bereitschaft dazu da, und das Gedichtevorlcscn trat zurück. Gewiß sind später auch bei Beginn der Revolution manch äußere Hemmungen, die von verkalkter Tradition ausgingen, beseitigt wor den, das Schöpferisch-Fruchtbare, das heraufzukommen schien, war aber nichts anderes als der Widerschein des vergangenen Vorfrüh lings vor dein Kriege. Um diesen Widerschein aber gab es reichlich Geschrei zumal von jenen, die früher von dem Neuen in der Zeit nichts gemerkt hatten, denn neue Bewegungen sind nie Massenbe wegungen. Zu den neuen Bewegungen vor dem Kriege gehörte aber auch schon die Besinnung auf das Wesen unseres Volkstums und die Sehnsucht nach Gemeinschaft gegenüber dem nur das eigene Selbst genießenden Individualismus.
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