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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 28.09.1922
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- 1922-09-28
- Erscheinungsdatum
- 28.09.1922
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- Deutsch
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Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. 227, 28, September 1922, begnadeten Menschen in dem sich »amüsierenden« Deutschland von heute gab, Hofrat in einer kleinen Residenz, Rechtsanwalt, Theaterleiter, Bürgergardenkommandant, mundartlicher Dichter, Verehrer des schönen Geschlechts, Heimchenvater, Vizeburgherr und zuletzt Ehrenmeister der Stoßtruppgesellen, Auch »Onkel Waldemar« hieß er bei den Arbeitern, denen er im vergangenen Jahre 8 Tage lang, zumeist auf den Wiesen des Tiefurter Parkes gelagert, Goethe nahegcbracht hatte. Dieser Mensch, ein pracht volles großes Kind und zugleich ein vom Leben geklärter OSjäh- rtger Alter, war das erste große Erlebnis der Tagung, Das zweite große Erlebnis dankten wir dem Burgherrn, zu dessen Funktionen übrigens auch manchmal der »Meister« avan cierte, denn er hatte Schlüsselgewalt zu allen Räumen der Burg mit Ausnahme des Weinkellers, Sogar ins »Freudenhaus« führte er seine Spießgesellen, doch davon später. Dieses zweite Erlebnis geschah am Abend des zweiten Tages, Wir hatten den ganzen Tag über gearbeitet, um uns nach Möglichkeit über die Frage klar zu werden: In welcher wirtschaftlichen Situation sind wir jetzt und welche Wege können uns darüber hinwegführen? Es waren aber zu wenige »große Kanonen« aus dem Buchhandel unter uns, die es jedenfalls besser wußten, darum tasteten wir uns mühsam durch das Gestrüpp der Valutaverschlechterung, Da hatte der Burgherr uns eine Überraschung bereitet, die den gor- bischen Knoten löste oder besser gesagt »beinahe« löste. Er lud uns nach dem Abendbrot zu dem Vortrag eines seiner Gäste: »über den Ausgang der Papiergeldentwertung im Ver gleich zur französischen Revolutionszeit« ein. Wieder ein behag lich wärmender Kachelofen, überall seltene Kunstwerke an den Wänden, doch die Situation gegenüber dem vorhergehenden Abend verschönt durch einen Kranz festlich gekleideter Frauen und durch einen herrlichen Allasch-Schnaps, der Hinterlassenschaft eines internationalen Kongresses, der vier Wochen vorher auf der Burg 14 Tage lang getagt hatte. Zuerst phantasierte ein Zunft geselle am Flügel, Es klang sehr elegisch, fast wie «ine Toten klage, war es doch das Vorspiel zu einer Betrachtung über das »Papiergeld«, Wie gerne hätten wir gewußt, wann stirbt es endlich, wann kommen bessere Zeiten? Den Vortrag, den wir nun hörten, in seiner unakademischen, parteipolitisch fernen und aus freiem Blick geborenen Art, emp fanden wir alle als große innere Klärung gegenüber dem Zeit geschehen, Der Redner ging von der Fragestellung aus: Kann der Staat an sich den Arbeitern, Beamten usw, bessere ökono mische Bedingungen schaffen oder tut das ausschließlich die wirt schaftliche Produktion? Er zeigte an der Hand der geschichtlichen Beispiele, daß nach jedem Krieg« eine Inflation naturgesetzlicher weise erfolgen muß. Jede Inflation hat zuerst eine wohltätige, aufsteigende Kurve, die dann, wenn sie sinkt, schnell abwärts gleitet. Wir stehen jetzt auf dem Abwärtsgleiten, und welch« Konsequenzen hat nun dieses für unsere wirtschaftliche Lage? Diese Folgerungen wurden nicht ln allen Einzelheiten ausge- führt, aber für uns Buchhändler ergaben sich überraschend viel nützliche Erkenntnisse für die tagsüber behandelten Fragen, Vor allen Dingen ergab sich die Erkenntnis, daß kein wirklich Arbei- tender seinen Vcrmögcnsstand aufrecht erhalten kann und daß es unser aller Schicksal ist, zu verarmen. Weder Verlag noch Sorti ment kann das durch irgendwelche Maßnahmen verhindern. Es muß über beide ein großes Sterben kommen. Unser National vermögen stand in diesem Sommer im Verhältnis zur Vorkriegs zeit wie l,2 :8 (nach den Feststellungen von Kehnes), also lvgi- scherweise ist es das Normale, daß jeder von uns um ärmer ist wie früher. Man täusche sich nicht durch die Menge des auf gehäuften Papiergeldes, Es klingt paradox, jeder schreit jetzt über die Teuerung, aber im Grunde genommen wird nnsere Le bensweise von Tag zu Tag billiger, natürlich von der Gold- mark aus gemessen. Als in Frankreich die Papiergeldinslation vorbei war, kostete beispielsweise ein Haus oder Landgut, das vorher 100 OVO Goldfranks wert gewesen war, nur etwa 20 000 infolge der eingetretenen Verarmung, Es wäre nun falsch für den Buchhändler, Neues mittels Bankkrediten zu gründen, leben bleiben tut innerhalb des kommenden wirt schaftlichen Zusammenbruches nur das, was 1182 fest verankert in eigener wirtschaftlicher Kraft beruht und vor allen Dingen, dessen leitende Persönlichkeit fähig ist, sich auf neue Formen umzustellen. Die anschließende Aussprache arbeitete die einzelnen praktischen Gesichtspunkte für den Buchhandel noch klarer heraus, und sie übersah auch dabet die Weite nicht, da der eine der Zunstgesellen China und ein zweiter Nordamerika durch lang jährigen Aufenthalt kannte. Wer war nun die Persönlichkeit, die so zwischen uns hinein schneite? Sie stand in Reitgamaschen da, biegsam wie eine Gerte, lebendig nicht nur in ihrer Gestalt, sondern auch im Ausdruck des Wortes. Bereit, auf jede Gegeneinwendung einzugehen und allen Pessimismus abzuschwächen durch den Glauben, daß «in Volk, welches Charakter hat, nie untergehen kann. Es war einer der »Führer« des Kapp-Putsches, der praktische Arzt vr, Georg Schiele, Fürwahr ein seltsames Zusammentreffen. Die Bol schewisten des Buchhandels Arm in Arm mit den Kappisten, Welch Anlaß zu suspekten Bemerkungen der »Mitte«! Aber sei es wie es sei, vor uns stand eine Persönlichkeit, ganz anders geartet wie unser gutherziger »Silberlöwe«. Wir haben sie beide dank bar in uns ausgenommen. Das dritte, wertvolle Menschenerlebnis war die Persönlich keit des Burgherrn vr. Meßmer selbst, eines ehemaligen Juristen, der Kunstfreund und Künstler in einer Person ist. Die Berüh rung mit ihm war mannigfacher Art, denn er lebt so ganz in und mit seiner Burg, am nächsten kamen wir ihm am dritten Abend, Er hatte uns in den Rittersaal zu einer Stunde am Kaminfeuer eingeladen. Man soll das Wort »Rittersaal« in diesem Falle nicht leichthin aussprechen, denn er ist kein kalter Prunkraum, und manche Menschen, deren Namen für Deutschland etwas bedeutet, haben in ihm frohe Stunden gefeiert. Mit wem hat der Chronist nicht schon dort zusammengesessen, fröhlich pokulierend oder auch in ernster Arbeit um Deutschlands Zukunft während des Krieges! Ich nenne nur einige Namen als Spannweite: Max Weber, Som- bart, Tönnies, Gertrud Bäumer, Marianne Weber, Crusius — bis Maurenbrecher, Paul Lensch und Ernst Toller. Hat doch letz terer vor Gericht auf die Frage, wie er zu seiner politischen Be tätigung gekommen sei, geantwortet: »Durch die Tagungen auf Lauenstein«. Dann dazwischen die Künstler aus Worpswede, die Arbeiterdichter Bröger, Barthel und Lersch, di« Werkleute von Haus Nyland und an ihrer Spitze Allvater Dehmel, Wieviel kühler stand da Paul Ernst dem Treiben der genialen rheinischen Poeten mit ihrer Mordlust an Weinflaschen gegenüber! Dazu tanzten dann die Geschwister Falke, oder Haaß-Berkow spielte den Theophilus und Totentanz, Ich hätte «in »Variete aus einer Tagung gemacht«, klagten einmal die Professoren und an ihrer Spitze der Nationalökonom Sombart, Di« Künstler waren umso zufriedener. Fürwahr manches bunte Leben hat schon der Rittersaal und mit ihm der Burgherr erlebt. Er saß heute abend oben in den gotischen Gewölberippen und erzählte dem, der sich mit ihm ver bunden wußte. Wir saßen im dunklen, weiten Saal, nur das Feuer flackerte, und außerdem erwärmte uns noch der »Silber- löwc» mit Schnaderhllpfeln und Versen von Friederike Kempner, Der eigentliche Inhalt des Abends aber war, daß uns der Burg herr selbst am Kaminseuer eigene Kompositionen zur Laute vor sang, zum Teil begleitete ihn die Burgfrau und die Tochter Lukardis, Wie schon dieser Name klingt, der durch die Sage mit der Burg verbunden ist! Fürwahr, der Burgherr ist immer bereit, sich in Güte und Verstehen seinen Gästen zu schenken. Es sei ihm auch an dieser Stelle herzlichst gedankt. Was wäre nun von unserer Arbeit stimmungsgemäß zu be richten? Sie stand unter dem Zeichen der Diktatur, Geschäfts ordnung gab es nicht, dafür gab es »schöpferische Pausen-, Die Gesellen wurden zuerst gelockert, (Man stelle sich vor, daß der Sprachausdruck »lockerer Geselle» oder »loses Mädchen« nie lang weilige Stumpfbolde voraussetzt,) Di« Zusammenkünfte wurden auch kultisch eingeleitet. Es ist ferner eine alte Erfahrungstat sache, daß immer der erste Punkt einer Tagesordnung Anlaß gibt, daß sich jeder sozusagen ausquatscht. Man kommt nicht weiter. Darum wurden am ersten Tag, damit jeder auf seinem
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