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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 21.08.1926
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- 1926-08-21
- Erscheinungsdatum
- 21.08.1926
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194, 21, August 1926, Redaktioneller Teil. Börsenblatts, d. Dlschn. Buchhandel. meiner Ansicht sonst niemals erhalten hätte. Vor allen Dingen er kannte ich damals deutlich den Unterschied zwischen dem bisher ge lesenen Schund und guter Literatur und bekam unmittelbar die erste geistige Anregung für meine Kurse, die ich später besuchte. Einslcchtend darf ich bemerken, daß ich mich durch Kurse an der Volkshochschule, unterstützt und angeregt durch gute Bücher, soweit emporarbeitete, daß ich voriges Jahr an einer Münchner Realschule die Einjährtgen-Prüfung mit Note gut ablegte. Eine besondere Vorliebe besitze ich für russische Literatur, die, durchdrungen von einer wahren, wenn auch oft herben Lebensphilo sophie, mir manchen Fingerzeig für mein späteres Leben gab. Mag sein, daß ich mein eigenes Lebensschicksal teilweise in den Novellen von Gorki und Tolstoi verkörpert sah. Besonders Gorki versteht es meisterhaft, wohl aus eigenem Erleben, darzustellen, daß selbst in der ärmsten Hütte die Sehnsucht nach Geist und Schönheit wohnt, daß aber diese Sehnsucht nach Bildung schon im Auskeimen durch die schlechten sozialen Verhältnisse, durch die Umgebung, in der der junge Mensch lebt, vor allen Dingen aber durch die grundsätzlich falsche, eben wieder durch die Verhältnisse bedingte Erziehung erstickt wird. Tau sende von jungen Menschen werden dadurch in den Strudel der Groß stadt gezogen, wo sie meistens mit abgearbeitetem Körper und be täubten Nerven ihr Leben fristen, das sie sich so schön ausgestalten könnten. G. R. III. Es war im Oktober 1916. In der Stellung vor Reims. Der Bat.-Stab eines vorzüglichen schlesischen Regiments lag Licht hinter der Beobachtungsstelle meiner Batterie. Beim »Stab« befand sich eine Kiste mit Büchern — das mar die Feldbuchhandlung eines Musketiers. Ihm verdanke ich mein erstes Jnselbuch: N. M. R i l k e, D i e W e i s e von Liebe unL Tod des Cornets Christoph Rilke. Der Dichter war mir bis dahin völlig fremd gewesen. Aber wenn je irgend ein Mensch mein Leben in bestimmte Bahnen gelenkt, mein Dasein mit höherem Schwung, mit einer Hoffnung, mit geistigem Streben erfüllt hat, dann ist er es gewesen durch dieses Buch. Als ich damals — es war spät am Abend geworden — mit dem neuen Besitz in meinem dunkelfeuchten Unterstand angelangt war, vergaß ich Hunger und Durst — und verschlang die zwanzig oder dreißig Seiten des Bändchens. Einmal und dann noch mal, und dann ließ ich alle Leute der Batterie, bei denen ich auch nur einen Funken von Geistigkeit vermutete, zu mir kommen und trug ihnen den »Cornet« vor. Ob ich ihnen meinen Eindruck auch nur annähernd vermitteln konnte? Wohl nicht, aber alle staunten über ihren jungen Leutnant, der wegen eines mageren Buches ganz außer Rand und Band geraten mar. So etwas hatte noch keiner erlebt. Mich hat die Dichtung je länger je mehr gebannt und begeistert. Ständig trug ich sie bei mir. Bald konnte ich sie auswendig — fast wie ein Gebet. Heute bergen meine Schränke und Regale gegen 2^ Tausend Bücher — manch köstliches Stück ist darunter —; der »Cornet« ist mir dennoch gleich wertvoll geblieben. Nur ganz gute Freunde dürfen den abgegriffenen Band sehen. Die Frage, warum dieses Werk viel Anklang gefunden und im Kriege viel gelesen wurde, wird verschieden beantwortet werden. Sie gehört nicht hierher. Mir erschien der Held der Dichtung als bas unerreichbare Ideal des Soldatentums, dem ich von jeher — vielleicht and erblicher Belastung — innig ergeben war. Aus der ersten Blütezeit des modernen Militärs, aus dem 17. Jahrhundert, hat Rilke seinen Fähnrich erstehen lassen. Der 30jährigc Krieg war schon Ge schichte geworden. Das soldatische Zeitalter eines Prinz Eugen v. Savoyen dämmerte langsam herauf. Wie waren jene Krieger doch so ganz andere Menschen als die Feldgrauen unserer Tage! Je länger der Krieg dauerte, desto mehr entfernten sich unsere Kämpfer von jenem Jdealtyp, den der Dichter geschaffen. Ich möchte sagen, der »Cornet« verkörpert in sich ein absolutes Soldatentum, so wie es jenen Zeiten wirklich eigen war. Sein Wesen bestand in der Freiheit schlechthin, in der Unabhängigkeit von Haus und Hof, von Heim und Familie, ja selbst von Volk und Nation. Seine Heimat war - das Heer: sein Ziel — der Sieg oder ruhmvoller Untergang: sein Los — Kampf; sein Lohn — die Liebe einer schönen fremden Frau. Fürwahr — den Kriegern unserer Tage war kein Soldatenlos in diesem Sinne beschicken. Ihr Schicksal war tragisch und deshalb auf die Dauer nicht erträglich. Es ging vom Unpersönlichen, vom Geist losen, von der Materie aus. Unsere Kämpfer erlagen nicht gleicher oder überstarker Heldcnkraft: sie wurden von mechanischen Energien »erledigt«. Für sie galt das Lied des Wallenstcinischen Jägers: »Des Lebens Ängsten, er wirft sie weg, Hat nicht mehr zu fürchten, zu sorgen« längst nimmer. Feldpost und Zeitungen »versorgten« unsere heutigen .Kriegslager täglich aufs neue mit den kümmerlichen Sorgen der be schränkten bürgerlichen Welt. So ergab sich zwangsläufig für die aller-, allermeisten unserer Krieger eine zentnerschwere Gebundenheit, die den einzelnen der geistigen Spannkraft beraubte, die nötig ist, um sich einem großen Ziel auf Gedeih und Verderb hingeben zu können. Die Heldentaten einzelner vermochten die innerlich unfreien Massen auf die Dauer nicht mehr mitzureißen. So erstarb das Heldentum — von jeher immer nur persönlich bestimmbar — in der Geistlosigkeit der großen Masse. Vor diesem moralischen Zusammenbruch — dem Schicksal unseres Zeitalters — hat mich der Dichter bewahrt. Sein in der Dichtung Leben gewordenes Schicksal des »Cornets« wurde mein Ziel. Ich hatte erkannt, daß wirkliches Heldentum höher belohnt wird als mit irgendwelchen Orden und Medaillen. In ihm wußte ich eine Lebens hoffnung begründet. So erst wurde ich frei und Soldat. Und als ich die Batterie über das flandrische Schlachtfeld zu erfrischenden Taten führte, ritt mein »Cornet« neben mir. Wie ihn, so schützte auch mich das Rosenblatt einer fremden Frau. Was konnte passieren? Da gab's kein Schwachwerden! Kodiere obliFs — hierin liegt Leben und Streben eines Helden, eines Kavaliers. Ihn hat der Dichter in sei nem »Cornet« neu erstehen lassen. Er ist mein Vorbild geworden. Nicht nur als Soldat. Längst ist das Schwert mit der Feder vertauscht. Meine Hoffnung hat mich nicht betrogen. So ist jenes Buch mein Schicksal geworden. B. IV. Im Sommer 1016 lag ich im Lazarett in Zwickau in Sachsen. Befund: Amputation des linken Oberarmes infolge Granatsplitter verletzung im Sperrfeuer vor Douaumont. Durch großen Blutverlust und langes Fieber aufs äußerste geschwächt, typhusverdächtig. Die Aussichten waren für mich trübe; man kannte damals noch keine, nur einigermaßen brauchbaren Kunstarme und hatte mit der beruflichen Beschäftigung Einarmiger fast keine Erfahrung. Für meinen Berus als Schaufensterdekorateur war ich auf jeden Fall unbrauchbar, mußte also umlernen, was wieder mit Zeit- und Einkommenverlust ver bunden war. Die anfängliche Unbeholfenheit des Einarmigen wurde noch durch die Fieberschwäche erhöht und drückte meine Stimmung noch mehr herab. Ich war, wenn ich es auch zu verbergen suchte, ziemlich hoffnungslos; es schien mir, ich würde ständig auf fremde Hilfe angewiesen sein. Um Mittag, wenn das Fieber meist sank, ließ ich mir immer etwas zum Lesen zurechtlegen. Da fand ich in dem Zeitungsblatt eines Kameraden die Kritik eines Konzerts des einarmigen Pianisten Graf Geza Zichy und einen Hinweis auf sein Buch »Das Buch des Einarmigen«. Am gleichen Tage noch mußte es mir ein Wärter von seinem Ausgang in die Stadt mitbringen. Ein dünner blauer Band mit einer Anzahl Bilder am Schluß. Bei meinem Zustand brauchte ich fast eine Woche, ihn durchzulesen. In diesen Tagen jedoch trat eine Besserung ein, das Fieber ließ nach, sodaß eine dringend not wendige Nachoperation ausgeführt werden konnte. Und vor allem: meine Sorgen ließen nach. Die Möglichkeit, mit nur einem Arm alle notwendigen Tätigkeiten verrichten zu können, war mir zum erstenmal gezeigt, ich war nun überzeugt, daß ich nicht auf fremde Hilfe angewiesen sei. Der Zweck des Buches war erreicht. Was weiter kam, war nur mit Fortschritten und Rückschlägen der Kampf um das gezeigte Ziel, die Selbständigkeit. Religiöse Bücher konnten mir in meiner Lage Trost geben, in philosophischen Schriften konnte ich Ruhe finden, die Gewißheit, daß die körperliche Selbständig keit des Einarmigen möglich sei, konnte mir nur dieses Buch geben. Seit dieser Zeit habe ich dieses Buch fast nie mehr in die Hand ge nommen, aber immer denke ich gerne daran zurück, es war das rechteBuchzurrechtenZeit. FR. V. Als einziges Mädel unter drei Brüdern aufwachsend, mußte ich mich in meinen Spielen dem Bubengeschmack anpassen, und es War schau ein Fortschritt in der Menschwerdung, als wir vom Raufen zum Lesen übergingen. Allerdings war unser Lesestoff in bezug auf seinen Wert nicht erheblich höher einzuschätzen als das Raufen, das doch immerhin einer gymnastischen tlbung glcichkam. Wir lasen eigentlich nur wegen des schönen Titelblattes, das immer etwas grausig sein mußte, wenn cs uns zu einer Neuerwerbung begeistern sollte. Auch der Wortlaut des Titels mußte vielversprechend sein: »Das Geheimnis der schwarzen Berge«, »Der Findling«, »Die blutige Hand« usw. Ob mir der Inhalt dieser Literaturwerke zusagte, weiß ich heute nicht mehr zu sagen; aber ich erinnere mich eines gewissen wonnigen Gänsehautgefühls, das nicht ausbleiben durfte, wenn das Lesen befrie digen sollte. Mit Granen aber, das mit keinem Wonnegefühl ver bunden war, bemerkte unsere gute Mutter die anfänglich sehr geschätzte stille Beschäftigung ihrer wilden Gesellschaft. Und weil sie uns, ohne 1034
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