Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 21.08.1926
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- 1926-08-21
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- 21.08.1926
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- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
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X- 1S4, 21. August 1926. Roixiktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. daß wir es merkten, immer kurz am Zügel führte, brachte sie uns eines Abends ein Buch mit, das unsere Geister fesseln sollte: »Deutsche Götter- und Heldensagen«. Zuerst wollten wir's trotzig ablehnen. Denn erstens war es ein «dickes Buch, dicker noch als das Lesebuch in der Schule, also schon aus diesem Grunde verdächtig. Darm stand auf dem Umschlag der Titel in großen steifen Lettern, und man konnte sich nichts Spannendes 'darunter vorstellen. Und drittens sollten wir gar nacheinander daraus vorlesen. Am ersten Abend las Mutterle selbst vor, und wir setzten uns mit absichtlich gelangweilten Gesichtern dazu, als müßten wir unfern lieben blutrünstigen Jndianerfreuuden nachtrauern. Aber was mar das nur? Wo blieb unser Trotz? Eins ums andre rückte näher an die Vorleserin heran. Die Augen glänzten unter blonden Schöpsen, und die Wangen röteten sich. Ein Kindcrarm schlang sich um Mutters Nacken, und wir lauschten weltentrückt. Nicht mehr wilde Prärie und einsames Jndianerlager, nein, viel vertrauter und doch erhebend war's, was wir schauten: Der dunkle Wald mit urweltlich hohen Tannen, und darin hauste das blonde stolze Geschlecht, das Walvater beschirmte, dessen Herd Fricka beschützte. Gewaltig schwang Donnar seinen Hammer, Freia fuhr auf ihrem Katzenwagen durch ihre sommer lichen Gärten; unser besonderer Liebling aber war Baldur. Tränen standen in unfern Augen, als wir sein trauriges Schicksal vernahmen. Und wie eine bange Ahnung zog es durchs Kindergemüt, daß allzu viel Glück und Schönheit das Verhängnis nach sich zieht. Als unser Mutterle hier das Buch zuklappte, war das Wunder vollbracht. Aus vier Rangen waren vier Seelen geworden, die ein Paradies entdeckt hatten, in das sie immer flüchten konnten, wenn die Welt zu eng und zu lärmvoll wurde. Von diesem Tage an datiert meine Freude am Lesen und ein gewisser romantischer Zug meines Wesens, der wohl damals aus dem Rauschen des alten deutschen Götterwaldes zu mir hergeweht sein mochte. H. S. VI. All die Tage her, seit mir Ihr Preisausschreiben zu Gesicht ge kommen ist, habe ich bei mir überlegt, welches Buch wohl in den fünf undzwanzig Jahren, die ich nun als lesender Mitmensch erlebt habe, den größten Eindruck auf mich gemacht hat und mir für das Leben — soweit ein angehender Dreißiger davon reden darf — bas meiste bedeutet. Es ist Homers Odyssee. Als ich stolz auf die neu- crworbene Kunst mit sieben oder acht Jahren zum erstenmal eifrig zu lesen begann, bekam ich die klassischen Sagen von Gustav Schwab geschenkt, und da konnte ich nicht genug von den Abenteuern und Irr fahrten des unermüdlichen Griechenfürsten zu hören bekommen, die mir auch im Kranz der Argonauten, der Taten des Hercrkles, Theseus und all der Helden recht eigentlich das Märchen aller Märchen zu sein schienen. Und als mir einige Jahre später am Gymnasium die Urform bekannt wurde, deren göttlicher Glanz mir unbewußt schon auch die Worte des wackeren Schwaben so über die Maßen schön hatte erscheinen lassen^ da ergriff mich eine Begeisterung, die recht eigentlich als »Ver liebtheit« in das Werk des ionischen Sängers bezeichnet werden muß. Gewiß ist die Lesung der klassischen Dichter in den Schulen nicht immer reines Vergnügen, aber weiß Gott, ich freute mich doch auf jede Homerstunde. Wenn dann der Professor allzutief in grammatische Feinheiten geriet oder ein amusischer Schüler, wie sie allezeit in Scharen die Bänke der »humanistischen« Schulen drücken, unleidlich das herrliche Werk zerstotterte, so las ich unbekümmert um den Schul betrieb einen andern Gesang, unter denen ich einige Lieblinge hatte, die mich immer und immer wieder entzückten. So die Stelle, wo der Dulder im Land der Phäaken erwacht und nackend aus dem Gebüsch bricht »wie ein Berglöwe, ihm brennen die Augen im Kopfe«, oder die andere, wo Odysseus und Telemach sich erkennen und vor Glück und Leid wehklagen »wie die Mcervögel, denen die Bauern die Jungen genommen«. Wie oft sind mir nicht die Tränen in die Augen ge schossen, nicht eigentlich um des Inhalts willen, sondern vor der Übermacht der Worte, ihres rollenden Klanges und überwältigender Bezauberung willen. Dann kam der Krieg, der mich dreißig Monate lang im Graben liegen ließ und von Serbiens kahlen Höhen in die windzerzausten Felder Flanderns führte. Wieder war bei den Büchern, die ungebührlich viel Platz im Tornister und in den weiten Taschen des Kanoniermantcls beanspruchten, neben dem »Uilenspiegel« und dem »Olympischen Frühling« die Odyssee, und wie viele Stunden an den ruhigen Tagen des Beobachtungsdienstes, wenn das dumpfe Trommeln der Feuerwalze von entfernten Abschnitten der Front unterirdisch rauschte, sah ich im Geist das blaue Meer und das schwarze Schiff, den schöngeschwungenen Hafen und die waldigen Höhen Jthakas. Kraft und Aufschwung gab oft ein einziger Vers, wenn der Regen aufs Lager rann oder der Fuß im Schlamm versank, und die Welt der Götter und Helden überglänzte siegreich das vor ihrem Licht unwirklich verblassende Chaos der Gegenwart. Und heute, da ein mit Lust ergriffener Beruf die Tage ausfüllt und die so ganz unbürger lichen Erlebnisse des letzten Jahrzehnts fern wie Sage und Sang erscheinen, weiß ich mir nichts Schöneres, als an stillen Abenden da heim am runden Tisch zu sitzen und meiner jungen Frau aus dem Buch vorzulesen, das mich so treulich bisher begleitet hat. Und selt sam! Sie, die nicht so wie ich ein »episches Herz« hat, sondern das Dramatische liebt und in William den »Stern der höchsten Höhe« ver- ! ehrt, wurde vom Vater Homer, der ihr nur schulmäßig bekannt war, mächtig ergriffen, wenn auch ihrer Natur nach mehr die Handlung, die ja an Reichtum und »Spannung« mit jedem Roman es ausnimmt, sie anzog und fesselte. So hoffe ich denn, gleich meinem Vater, der in sein achtzigstes Jahr die Liebe zu Homer sich bewahrt hat, im immer miederkehrenden Genuß der ewig jungen Dichtung zu altern und bin gewiß, daß, so lvie ich nur ein Beglückter bin unter Tausenden vor mir, auch jedem kommeudeu Geschlecht die Odyssee zu einem Erlebnis, vielleicht zu d e m Erlebnis der Dichtkunst werden wird, solange Men schen bereit sind, von menschlichem Schicksal zu hören, ctn Ohr besitzen für Wohllaut und einen Sinn, Schönheit zu erkennen. Verzeihen Sie bitte die Länge meines Schreibens, aber ich freue mich wirklich von Herzen, einmal Zeugnis oblegen zu dürfen von dem, was ich der Odyssee verdanke. H. H. VII. Wenn ich heute von einem Buch berichten soll, das mich wie ein treuer Freund durch mein Leben begleitet hat, dann sehe ich einen grauen, zerlesenen Band vor mir, ber den Titel »Gösta Berlins« trägt. Ich war vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, als meine Schwester und ich dieses Buch zu Weihnachten geschenkt bekamen. Wir hatten damals in dem Bewußtsein, daß es damit vorüber sei, alles Spielzeug aus dem winzigen Kinderschränkchen, das in dem dunkelsten Winkel unseres Zimmers stand, herausgeworfen und eine Bibliothek eingerichtet. Ihr wurde nun mit Stolz »Gösta Berling« einverleibt. Wenn ich las — zumal wenn dies in der Zeit geschah, in der ich eigentlich meine Aufgaben hätte machen sollen —, saß ich nicht gerne an dem Tisch vor dem Fenster, auf dem die Schulbücher lagen. Denn diese konnten dann ganz abscheulich aufdringliche Gesichter machen. Ich pflegte mich darum lieber bei dem winzigen Bibliothekschränkchen auf einem Kissen zusammenzukauern, eine Kerze anzuzttnden und so in Verschwiegenheit und Abgeschiedenheit in die Bücher wie in eine andere Welt M versinken. So habe ich auch »Gösta Berling« zum erstenmal gelesen. Viel zu jung noch und viel zu kindisch, nm damals schon die Tiefe und Schönheit dieses einzigartigen Buches ganz begreifen zu können, habe ich doch durch meine Liebe zu ihm, ein für allemal und grund legend, eins verstehen gelernt: was es heißt, ein Land und seine Menschen und darüber hinaus das Leben dichterisch sehen und dichterisch darstellen. Irgendwie hatte ich begriffen, daß Dichten und Romaneschreiben zweierlei ist. Ich hatte einen Maßstab gewon nen, und dieser Maßstab war »Gösta Berling«. Den Unterschied im einzelnen Falle logisch zu begründen, würde mir auch heute noch schwer fallen, nur dies weiß ich jetzt, daß er nicht im Stoff und nicht in der Form liegt, sondern in den gestaltenden Kräften der Dichterseele. Damals nun las ich, wie Kinder lesen: mit aufgerissenen Augen, hingerissen und entrückt. Ich sah das herrliche Land, weiß verschneit bis an den Horizont, von den Namen seiner Ortschaften allein ging Zauberkraft aus: Swartjö und Fors, Munkerud, Borg und Ekeby! Ich lebte mit diesen herrlichen Menschen, um deren Gestalten große Schicksale und gefährliche Abenteuer woben; ich fühlte ihr Versinken in Schuld, hörte den Aufschrei zu Gott! Ich tanzte unter den schönen Frauen in dem großen Saale von Ekeby, Hunderte von Kerzen spiegelte der blanke Fußboden wieder! Ich lief mit Marianne Sinclaire in dünnen Ballschuhen über den Schnee; ich ließ mich mit Anna Stjärnhök von Gösta im Schlitten entführen, hinter dem her Golt seine Boten, die rasenden Wölfe, sandte; und mit der lieblichen Gräfin Elisabeth ging ich über das brechende Eis, die Seele des Geliebten zu retten.... Ja, damals konnte ich mir vom Leben nichts Schöneres wünschen als Schicksale, die diesem gleich waren. Und auch heute noch, da ich schon alt geworden bin, sind meine Wünsche immer noch eigentümlich an Gösta Berling gebunden. Ich möchte Kavalier auf Ekeby sein, nichts auf Erden mein eigen nennen als einen rotbemaltcn Kasten, auf dem ich in der Dämmerung sitzen kann, während der Schein des Kamin feuers über den Fußboden flackert. So möchte ich Liliencronas Geige lauschen, die von der Herrlichkeit des Lebens singt, das vorüberging! Es ist gewiß ein fast gewagtes Unterfangen, nach Recht und Ge wissen das Buch zu nennen und heraufzurufen, das unser geistiges Gesicht geformt hat und dessen Einfluß noch nach Jahren in unseren Ansichten und Handlungen nachzuspttren ist. Man muß den schwie rigen und oft verschütteten Weg in die eigene Vergangenheit zurück- 1035
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