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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 05.01.1928
- Strukturtyp
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- 1928-01-05
- Erscheinungsdatum
- 05.01.1928
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- Deutsch
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Es gibt für den Schriftsteller zwei Wege zur Popularität. Ein Bucherfolg kann ihm Aufforderungen zur Mitarbeit an der periodi schen Presse und damit lohnende Betätigung schaffen. Aber min destens ebenso häufig wird der Fall sein, daß der Autor zuerst durch die Zeitschrift bekannt wird und durch sie den Weg findet, seine Schöpfungen in Buchform veröffentlicht zu sehen. Nicht das lite rarische Fachblatt mit seiner unvermeidlich einseitigen Einstellung auf bestimmte Richtungen, nicht das wissenschaftliche Fach blatt mit seiner notwendigen Beschränkung auf ein einzelnes Stoff gebiet und einen begrenzten Leserkreis, sondern das jedem zugäng liche und verständliche Volks- und Famtlienblatt bringt den Dichter, den Erzähler, den Wissenschaftler dem Allgemeinbewußt sein näher, erschließt ihm das Verständnis weiterer Kreise und damit seinem Buchvcrleger und dem Sortimenter die Verkaufsmöglichkeit. Aber namentlich für den letzteren ist es wesentlich, daß er die gün stige Konstellation früh genug erkannt und den Autor mit der Zeit schrift, wie der nicht gerade schöne Ausdruck lautet, »lanciert« hat. Er erwirbt sich damit als Berater seines Kundenkreises dessen Ver trauen. Was die »Gartenlaube« in ihrer 76jährigen Wirksamkeit auf diesem Felde geleistet hat, lehrt ihre Geschichte, die in Buchform und Einzelartikeln mehrfach behandelt worden ist. Hier sei hingewiesen auf das Buch von Johannes Proelß »Zur Geschichte der Garten laube, 1853—1903« (Verlag von Ernst Keils Nachfolger G. m. b. H.) und auf das von vr. Karl Feißkohl »Ernst Keils publizistische Wirk samkeit und Bedeutung« (Union Deutsche Verlagsgosellschaft 1914), die das Material mit Fleiß zusammengetragen haben. An Tatsachen, die für den Verlags- wie für den Sortiments buchhandel von praktischer Bedeutung sind, geht aus diesen Dar stellungen folgendes hervor: Manche Mitarbeiter der »Gartenlaube« sind erst durch ihre Bücher der Zeitschrift zugeftthrt worden. Das gilt z. B. von den Mitgliedern des Münchener Dichterkreises des »Krokodils«, von Paul Heyse, Geibel, Bodenstedt, Wilbrandt, ferner von vielen Späteren, von Spielhagen, Fontane, Nosegger als Er zählern, von Gottschall,LZogt, Büchner, Jordan auf wissenschaftlichem Gebiet. Die Namen vieler, namentlich auch die von Schriftstellerin nen, sind so mit dem Namen der »-Gartenlaube« verquickt, daß es schwer ist festzustellen, ob sie mehr der »Gartenlaube« oder die »Gartenlaube« mehr ihnen verdankt. Andere aber, die zu ihrer Zeit in vorderster Reihe standen und da zum großen Teil noch stehen, sind erst aus der »Gartenlaube« hervorgegangen, haben erst durch sie ihre Buchgeltung und oft genug ihre literargeschichtliche Geltung er reicht. Bocks berühmtes und unveraltetes »Buch vom gesunden und kranken Menschen«, Alfred Brehms nicht minder erfolgreiches »Tier leben«, Gottschalls literarisch-ästhetische Briefe, die Romane der Marlitt und Heimburg, die naturwissenschaftlichen Arbeiten Noß- mäßlers, die Reisebcschreibungen und Schilderungen Gerstäckers, die volkswirtschaftlichen Schriften Schulze-Delitzschs haben erst durch die »Gartenlaube« ihre ungeheure Popularität und Verbreitung er reicht. Und wie sind die Namen der besten Neueren, Toter und Lebender, die der Iba Boy-Ed und Sophie Kloerß, die von Gang hofer, Hermann Stegemann, Rudolph Stratz, Rudolf Herzog, un zertrennlich mit der »Gartenlaube« verbunden! Gewiß war vieles von dem, was die »Gartenlaube« im ver flossenen Dreivierteljahrhundert gebracht hat, zeitgebunden und kann keinen anderen Anspruch als den auf zeitgeschichtlichen und sitten geschichtlichen Wert erheben. Aber es hatte, als es erschien, sicher seine Berechtigung und muß von diesem Gesichtspunkte aus beurteilt werden. Die Familienzeitschrift ist nicht nur das Brot des kleinen Mannes und des Mittelstandes, als das sie allenfalls anerkannt wird, sie ist zugleich eine Vorbereitung und Ubergangsstufe zur großen Literatur, eine Erzieherin für die richtige Würdigung der Zeitfragen auf allen Gebieten. Sie öffnet das Verständnis und wirkt bahnbrechend, sie allein kann die Fühlung zwischen der guten Über lieferung und dem guten Neuen, also den gesunden Fortschritt, auf recht erhalten. Das ist ihre gegebene Nolle im Strom der Zeit und des modernen Schrifttums. Um diese Forderung zu erfüllen, ist aber eins erforderlich: An passungsfähigkeit. Die moderne Zeitschrift darf nicht er starren im Überlieferten, darf nicht Sklave ihrer Vergangenheit wer ben. Aber ebensowenig darf sie ihre Eigenart jeder Zeitströmung und jeder Tagesmode opfern. Im Gegensatz zur Tageszeitung ist sie und soll sie sein ein »ruhender Pol in der Erscheinungen Flucht«. Diese Forderung schließt keinerlei Rückständigkeit in sich. Verlangt der Tagesjournalismus von seinen Lesern das niemals rastende Tempo der Ereignisse, des politischen Kampfs, — die Zeitschrift bildet das natürliche Gegengewicht dazu, das Besinnungsmoment, die Brücke zwischen dem eingewurzelten und gesicherten Alten und dem aus sichtsreichen, aber problematischen Neuen. Ist So hat die »Gartenlaube« ihre Aufgabe ausgefaßt: nicht erst neuerdings, sondern sozusagen von Anfang an. So lag es wohl auch im Sinn ihres Gründers. Ernst Keil, der Patriot, der für seine — im damaligen Sinn demokratische — Überzeugung im Gefängnis einstand, war doch kein starrer, einseitiger Parteimann. Als sein Ideal, die deutsche Einheit, in der Neichsgründung Erfüllung gefunden hatte, ja schon vorher, als diese Erfüllung in der Bismarckschen Politik der sechziger Jahre klar als Ziel erkennbar wurde, stimmte er mit Freuden ein. Die Jahre 1866 und 1870/71 finden ihn auf dem Plan als freudigen Ja sager zur Entwicklung der Dinge. So wurde aus dem wortführenden Blatt der Opposition, dem die Regierungen der Einzelstaaten und namentlich Preußens mit Mißtrauen begegneten, das verfolgt und von Ort zu Ort gehetzt, ja zeitweilig verboten wurde, ein Hort des deutschen Einheitsgedankens, des nationalen Zusammenschlusses. Und darin, daß die »Gartenlaube« diesen Gedanken im Wechsel der Schicksale bis auf den heutigen Tag gepflegt hat, in ihrer Treue zur Tradition, liegt vielleicht ihre tiefste Daseinsberechtigung. Als Ernst Keil im Jahre 1852 — damals politischer Gefangener im Gefängnis von Hubertusburg — das Programm für eine neu zu gründende Zeitschrift entwarf, der er in dankbarer Erinnerung an eine traute Ecke in seinem Leipziger Hausgarten den Namen »Garten laube« zugedacht hatte, war er zwar noch verhältnismäßig jung, aber keineswegs ein Neuling auf dem Gebiet des Zeitschriftcnverlags. Er war am 6. Dezember 1816 in Langensalza geboren, hatte das Gym nasium in Mühlhausen besucht, seine Lehrzeit in der Hoffmannschen Hofbuchhandlung in Weimar absolviert, wo er noch den alten Goethe bediente, und hatte nach erfolgreicher Tätigkeit in verschiedenen Stel lungen 1845 seinen eigenen Verlag gegründet. Die von ihm ge gründete Monatsschrift »Der Leuchtturm«, in der die Ideen der neuen Zeit auf politischem und kulturellem Gebiet mit Begeisterung popularisiert wurden, trug ihm Verfolgungen von seiten der Reaktion ein. Er ließ sich dadurch nicht entmutigen, auch nicht durch die Ent ziehung der bürgerlichen Ehrenrechte, die es ihm vorläufig unmög lich machte, neue publizistische Unternehmungen mit seinem Namen zu decken. In seiner unfreiwilligen Hubertusburger Zurückgezogen heit reiste der Plan zu dem neuen Familienblatte. Dieses Programm, uns im handschriftlichen Entwurf erhalten*), ist ganz sachlich und nüch tern, vermeidet alle Politik, scheint einzig von buchhändlerischen Ge sichtspunkten diktiert. Aber dahinter steht ein gewaltiger Idealis mus. Die Hoffnungen des Jahres 1848 waren zusammengebrochen, weil die Zeit noch nicht reif war. Aber Keil, der diese Hoffnungen und Illusionen begeistert geteilt hatte, gehörte nicht zu den Ent täuschten, die nun verzagten und klagten, obgleich er durch jenen Zu sammenbruch mehr als die meisten verloren hatte und in seiner ganzen bürgerlichen Existenz bedroht war. Nur an den Aufbau dachte er. Die Einigung Deutschlands blieb sein Ziel. Auf direkte politische Wirksamkeit verzichtete er vorläufig, aber sein neues Blatt sollte der Ertüchtigung jenes Bürgertums dienen, das die Probe nicht bestanden hatte. Das Mittel hierzu sah er in Belehrung und Auf klärung, aber er war Menschenkenner genug, um sich zu sagen, daß diese Belehrung nur dann auf fruchtbaren Boden fallen konnte, wenn sie in unterhaltender Form geboten wurde. Das Wissen der Zeit schmackhaft eingekleidet — das war die Quintessenz seines Pro grammentwurfs. Ernst Keil war wohl kaum ein selbstschöpserischcr Geist, seine Bedeutung lag in einem hervorragenden Organisationstalent, das ihn zum Führer bestimmte. Und dazu kam eine geniale Fähigkeit, überall die rechten Männer für seine Zwecke zu entdecken. Er tat hier kaum jemals einen Fehlgriff. Die Noßmäßler, Brehm, Bock, Ger- stäcker, Carus Sterne (E. Krause) waren die geborenen Populari- satoren der Wissenschaft, aber sie konnten ihre Kunst nur entfalten, wenn ihnen ein Boden geboten wurde, wie dies durch Keils neues Blatt geschah. Keil stellte stets den rechten Mann auf den rechten Platz — das war das große Geheimnis seines Erfolgs. Und dieser Erfolg war beispiellos. Das unscheinbare Blättchen, bas zunächst nur als Beiblatt für den alten »Dorfbarbier« seines Freundes Stolle gedacht war, stand alsbald auf eigenen Füßen und eroberte die deutsche Lesewelt im Sturm. Was Keil geschaffen hat, hat ein Vtcrteljahrhundert überdauert und ist von berufenen Nachfolgern in seinem Geiste, aber natürlich in Anpassung an die veränderten Zeiten sortgcfllhrt worben. So dür fen wir hoffen, baß auch im neuen Vicrtcljahrhunbert gleicher Erfolg der alten und doch junggebliebenen »Gartenlaube« beschicken sei. vr. Johannes Sch 1trmann. *) Das Original befindet sich in der Bibliothek -es Börsenvereins.
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