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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 31.03.1884
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1884-03-31
- Erscheinungsdatum
- 31.03.1884
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- Deutsch
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76, .11. März. Nichtamtlicher Theil. 1527 weil er seine Angriffe nur gegen wirklich Tadelnswerthes rich tete. Sein Andenken hat sich in Rom erhalten. Als später zu fällig in der Gegend seiner damaligen Wohnung, in der Nähe des jetzigen Palastes Orsini, eine ausgegrabene Säule ausgestellt wurde, da taufte das Volk diese bald mit dem Namen Pas- quino, und es entstand in der Erinnerung an den witzigen Schuster die Sitte, an dieser Säule humoristische und satirische Anschläge in Wort und Bild, auf Tagesneuigkeiten bezüglich, anzuschlagen. Von diesem Gebrauche her schreibt sich der heute überall eingebürgerte Ausdruck Pasquill für Flugschriften, die in der Absicht geschrieben sind, den Angegriffenen zu verfolgen, lächerlich zu machen oder bloßzustellen. Die Sache selbst ist natürlich viel älter, als dieser Name. Es ist ein eigenes Ding mit dieser Art Literatur; sie findet in ruhiger Zeit nur wenig Boden, weil sie vor der kühlen Ueberlcgung, vor den edelen Eigenschaften der menschlichen Natur nicht gut bestehen kann. Aber in bewegten Zeiten, bei wich tigen Ereignissen, welche die große Volksmasse in Mitleiden schaft ziehen, da wuchert sie üppig auf, entwickelt wie die Schmarotzerpflanze ein rapides Wachsthum, eine zähe Lebens kraft, umrankt den angegriffenen Gegenstand wie ein Schling gewächs von allen Seiten und kann ihn dadurch mitunter ge radezu lebensunfähig machen. Umgekehrt aber auch können Caricaturen und Pasquille in bewegten Zeiten die geistige Kraft ganzer Nationen gewaltig beleben und steigern. Es ist kaum ein Jahrzehnt her, daß sich uns bei Gelegenheit des deutsch- französischen Krieges das seltene Schauspiel höchster Kraftent wickelung von Pasquill und Caricatur bot. Auf die äußere Beschaffenheit der damaligen Erscheinungen werde ich noch zurück- kommen; ich beschränke mich vorläufig darauf, anzudeuten, daß vielleicht seit Luther's Zeiten niemals wieder die Buchdrucker presse bei uns eine so große Rolle in der Volksbewegung, in der Erregung aller guten wie schlechten Leidenschaften der Massen, gespielt hat, wie vor jetzt 13 Jahren bei der langer sehnten Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches, sie erwies sich auch damals wieder als ein politisches Werkzeug ersten Ranges, mit dessen Hebelkrast sich Wunder bewirken lassen. Das war so eine Zeit, in der Pasquill und Caricatur in vollster Blüthe standen, wenn auch die Blüthen nur in seltenen Fällen angenehm dufteten! Es hieß damals ost, eine solche maßlos ausschreitende „Schundliteratur" dürfe nicht geduldet werden, sie sei ein Makel der freien Meinungsäußerung, der vertilgt werden müsse, wo man ihn antreffe. Das kann indessen nur zugestanden werden für Falle, bei denen es sich um gerade zu unsittliche Darstellungen in Schrift und Bild handelt, und unsere Behörden haben damals auch mit Seelenverkäu fern, welche dergleichen Gift im Volke zu vertreiben suchten, überall kurzen Prozeß gemacht. Anders war es in Frankreich; doch davon später. Im Allgemeinen ist man in neuerer Zeit von jener falschen Prüderie und bangen Furcht vor Preßerzeug- nissen, die unsere Vorfahren beherrschten, zurückgekommen. Un sere heutige Preßfreiheit verhält sich zu dem Despotismus frü herer Jahrhunderte wie Tageslicht zur Nacht. Ich könnte als Beweis dafür eine Menge von Beispielen anführen, doch darf es nicht meine Ausgabe sein, Sie hier mit bekannten Geschichten zu belästigen; nur mit ein paar großen Strichen lassen Sie mich flüchtig andeuten, von welchen Gesichtspunkten die Gesetzgeber in einigen Epochen der Weltgeschichte sich haben leiten lassen. Bei den alten Römern, zur Zeit der Zwölstasel-Gesetzge- bung, wurden Spott- und Schmählieder gleichwie die Zauberei mit Capitalstrasen verfolgt. Auch die spätere Auffassung der römischen Kaiserzeit ahndete zuweilen noch Pasquille und Cari caturen mit Todesstrafe, mindestens mit Prügelstrafe und Testir- unsähigkeit. Erst die deutsche Reichsgcsetzgebung des 16. Jahr hunderts zeigt eine mildere Praxis, wenn auch noch der religiöse Eifer der damaligen Zeit manche Flugschrift schwer mit gemeiner Strafe belegte, bis dann schließlich unser heutiges Strafge setzbuch sich zu dem humanen Standpunkt ausgeschwungen hat, das Pasquill nur als qualificirte Injurie zu behandeln. Der Pasquillant wird zwar auch heute noch mit Gefängnißstrase bedroht, aber man stellt ihn doch nicht mehr mit ehrlosen Ver brechern aus dieselbe Stufe, wie das früher geschah. Dabei gehört es verhältnißmäßig zu den Ausnahmc- fällen, wenn jetzt eine Verurtheilung aus diesem Strafgebiete stattfindet. Man darf es getrost als ein Zeichen unseres gesunden Volkslebens bezeichnen, daß solche geistigen Auswüchse von den Behörden nicht mehr ängstlich unterbunden werden; denn es war zu allen Zeiten ein Merkmal geschraubter Zustände, einer gefährlichen Spannung unter den verschiedenen Bevölkerungs schichten, wenn die Satire in Wort und Bild prüde verbannt oder gewaltsam unterdrückt wurde. Die wenigen Fälle von Preßverfvlgungen, die wir noch erleben, — oxompla ouut oäiosa, — haben für uns Alle eher etwas Humoristisches, als Beängstigendes. Die heutigen poli tischen Machtinhaber bedürfen ihrer ernstlich nur noch sehr selten. Früher war das anders. Die Geschichte der poli tischen Pasquille und Caricaturen ist höchst interessant und lehrreich, weil ja die Entwickelung der Staaten und Völker, der Religion und der Gesellschaft im engeren Sinne des Wortes damit verbunden ist. Es würde sehr lohnend sein, diesen in neren Zusammenhang weiter zu verfolgen, aber der Gegenstand verlangt nothwendig eine ausführliche Behandlung, welche den Rahmen meiner heutigen Darstellung überschreiten würde. Ge statten Sie mir nur, Ihre Aufmerksamkeit aus einen Punkt hin zulenken, auf die eigenthümliche Erscheinung, wie gewisse Bilder und Figuren sich Jahrhunderte hindurch behaupten, zeitweise wohl durch andere verdrängt, später aber immer wieder zum Vorschein kommend, wenn auch in veränderter Darstellung. Ich erinnere Sie nur an die beiden Hauptfiguren aller Zeiten und Völler: den Tod und den Teufel. Diese beiden Gestalten haben im Lause der Jahrhunderte so viele Wandlungen erlebt, daß eine Geschichte ihrer Darstel lung allein schon den Stoff zu einem umfangreichen Werke gibt. War doch der Teufel in der ersten Zeit des Christenthums der gewaltige Beherrscher aller Verhältnisse! Auch im Mittel- alter noch hat die Geistlichkeit sich nach Kräften bemüht, dem ungebildeten Volke diesen Popanz in ungeschwächter Kraft zu erhalten; aber sein Glanz ist seitdem mehr und mehr erloschen, und heute —? Heute ist der Teufel zum lustigen Meister Urian geworden, aus dem „Gottseibeiuns" ist der reine Hanswurst des Volkes geworden, heute fürchtet kein Kind mehr den Teufel. Niemand glaubt ernstlich mehr an die Leibhaftigkeit des un heimlichen Gesellen, vor dem im Mittelalter eine so wahre Furcht die Leute beherrschte, daß selbst der lose Spott nur scheu sich an ihn heranwagte. Jene Zeit des Mittelalters gab auch der Figur des Todes einen gewissen düsteren Anstrich, wie ja dem ganzen Volksleben überhaupt, auch dem Humor und der Satire. Während im griechischen und römischen Alterthum, wo man sehr wohl bereits Caricaturen, namentlich religiöse, kannte, freundliche, lichte Ge stalten herrschten, und der Tod in der milden Form als Bruder des Schlafes dargestellt wurde, so setzte das Mittelaller dafür jenes abscheuliche Gerippe an die Stelle, welches mit Hilft 217*
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