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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.06.1928
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- 1928-06-23
- Erscheinungsdatum
- 23.06.1928
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.>ö 144,. A. Juni 1928. Redaktioneller Teil. ruhiger, junger Mensch von etwa 18 Jahren. Den Ausgang des Prozesses kenne ich nicht. Ich weiß nur, daß der junge Mensch glaubte, die Schande nicht überleben zu können und sich in der Pleiße ertränkte. Ein Duminerjungenstreich wurde mit einem blühenden Menschenleben bezahlt. Ich habe diesen Schat ten nie ganz bannen können, vielleicht weil mir hier zum ersten mal ein tragisches Geschick in anderer als in dichterischer Gestalt cntgegentrat. Mann über Bord, das Leben geht weiter. Aber die Erinnerung bleibt und webt geheimnisvoll an der eigenen Lebensgestaltung mit. . . .*) Zum 7Sjährigen Jubiläum der Buchhändler Lehranstalt in Leipzig. Fürst Bismarck tat einmal den Ausspruch: »Umzug ist halbes Sterben«. Wenn man nun diese Worte aus die Buch händler-Lehranstalt in den Jahren 1881—94 bezogen hätte, wo ich die Ehre und das Vergnügen hatte, diese Schule zu besuchen, so wäre sie sicher gestorben, denn wir zogen um von der alten Thomas schule nach dem Königsplatz in das alte Grassi-Museum, das jetzt auch längst niedergerisscn ist, und von dort nach der Löhr- straße in den Verein für Volkswohl; ich glaube, so war's. Aber sie starb nicht, -sondern sie wurde immer lebhafter durch das Wechseln ihrer Stätten der Weisheitsverkündigung. Besonders für uns Schüler brachten die Umzüge so manche Abwechselung und, ich glaube, sogar nicht programmäßige Ferien. Die inter essanteren Stätten waren die beiden ersten; namentlich die alte Thomasschule stand in hohem Ansehen bei uns, nicht wegen ihres ehrwürdigen Rufes, dafür hatten wir damals nur wenig Sinn, sondern infolge ihrer altertümlichen Bauart und der damit ver bundenen komplizierten Lage der Schulzimmer. Im Sommer begannen wir unsere ersprießliche Tätigkeit täglich um 6 Uhr früh, im Winter um 7 Uhr. Wir mußten also im Sommer schon um S Uhr raus aus den Federn, seufzend, aber es gab kein Er barmen; die Mutter weckte pünktlich mit tödlicher Sicherheit und intensiver Beharrlichkeit, und der Vater sekundierte sie, wenn ihn das andauernde, zuweilen nicht gerade freundliche Wecken aus dem Schlaf gerüttelt hatte. Das frühe Aufstehen hatte eben seine Schwierigkeiten. Dann ging's, meistens im Dauerlauf, zur Schule, ein schöner Ersatz für den heutigen Laufsport, denn meine Eltern wohnten damals in Reudnitz, also ziemlich weit von der Schule entfernt. Freilich Preise gab es nicht, aber ein Donner wetter, wenn man zu spät kam. Der tägliche Unterricht dauerte zwei Stunden. Dann ging's in mehr oder weniger lärmvollen Trupps nach den meistens im Buchhändlerviertel gelegenen Arbeitsstätten, wo wir in die Geheimnisse des Buchhandels ein geweiht wurden bis 12 oder 1 Uhr. Zwei Stunden Mittags pause brachten Erholung und vor allem substantielle Atzung, in den Jahren der Jugend ein sehr wichtiger Faktor, da der Appetit nach Speise und Trank größer war als nach geistiger Nahrung. Um 7 oder 8 Uhr abends war Schluß im Geschäft, wenn nicht übergcarbeitet wurde, was namentlich im Winter häufig der Fall war. Den Achtstundentag mit seinen Segnungen kannten wir noch nicht. Hausarbeiten für die Schule waren dann noch zu erledigen, falls es uns nicht gelungen war, diese heimlich während der Geschäftszeit zu machen. Man hatte aber seine Praxis in dieser Beziehung. In guter Erinnerung habe ich die deutschen Stunden, Reli- gionsgeschichtc und Enzyklopädie. Letztere war für uns Jünger des Buchhandels von weittragender Bedeutung, denn sie brachte uns die notwendigen Grundlagen für das Verstehen der Bücher- titel, sowie die Fähigkeit, diese systematisch einzureihen; ist es doch so außerordentlich wichtig für jeden Buchhändler, nament lich den Wissenschaften und ihren Unterabteilungen mindestens so viel Verständnis entgegenzubringen, daß er weiß, wohin sie gehören. Es wäre noch praktischer gewesen, man hätte auch die Grundlagen vom Latein kennengelernt. Bon fremden Sprachen wurde nur Englisch gelehrt, doch man hatte ja als junger Dachs *> Der Schluß dieser Erinnerungen eines alien Schülers folgt in einer der nächsten Nummern, da sich der vollständige Aussatz in folge seines Umfanges in dieser Nummer leider nicht unterbringen läßt. kaum Gelegenheit, es anzuwenden, zumal es schon damals ver hältnismäßig wenig Gehilfen gab, die eine fremde Sprache wirk lich verstanden, und, was noch dazu kam, man gab sich in einen, großen Hause wenig Mühe, dem Lehrling helfend unter die Arme zu greifen. Er wurde eingereiht in das Personal, bekam seine Dosis Pflichten, die glücklicherweise wechselten, und so war das eiserne Muß der gestrenge, aber beste Lehrmeister. Buchhaltung wurde in der Schule auch gelehrt, die man indessen praktisch nur wenig verwenden konnte, denn die Rudimente dieser Tätig keit, mit denen sich ein Lehrling aus selbstverständlichen Grün den nur beschäftigen darf, waren immer dem einzelnen Ge schäft angepaßt. Die wichtige Stenographie gehörte noch nicht in den Lehrplan. Es sind seit meiner Lehrlingszeit 34 Jahre verrauscht, so manches Gute, das uns die Anstalt bot, ist meinen, Gedächtnis entschwunden; in den der Lehr- und Lernzeit folgen den Wanderjahren mußte viel weiter gearbeitet werden, da ja die Schule nur grundlegend und anregend wirken kann. Wich tig, ja von größter Wichtigkeit ist es jedenfalls für jeden jungen Mann im praktischer, Leben, hinauszugehen, um immer Neues zu sehen und zu lernen. Wer in seiner Lehrstelle hocken bleibt, wird wohl ein treuer Mitarbeiter, er bleibt aber praktisch ein seitig, wenn er auch noch so sehr mit seinem Beruf verwächst. Die Jugend ist sorglos, unbekümmert und in gewisser Weise grausam und egoistisch, so waren wir auch. So manchen Lehrer, der sich Mühe mit uns gab, kränkten wir schwer durch allerlei Dummheiten; vor allem war es ein Herr Müller, der fort während durch uns zu leiden hatte. Er war ein biederer Schwöb, schwäbelte, wenn er Gedichte vorlas, für die er, Poetisch belastet, ein besonderes Faible hatte; das machte uns den allergrößten Spaß. »Kennscht Du das Land, wo die Tschitronen blühn?« spukt mir noch heute im Gedächtnis, und wenn ich auch nun 01 Jahre alt bin, also ganz vernünftig sein sollte, so freue ich mich auch heute noch diebisch über die Müllersche Poesie. Das Verhältnis zwischen einem zarten Gedicht und der Person des Herrn Müller war zu absurd. Dazu hatte er immer eine Weste an, die keinen Anspruch auf Sauberkeit erheben konnte, und außerdem war nur allzuhäufig die Mechanik seines fettigen Klemmers entzwei, sodaß er ihn erst zusammenstecken mußte, bevor er auf seiner Nase hielt, deren Form an und für sich für einen Klemmer ungeeignet war. So etwas reizte unseren Mut willen, und er nannte uns »Schammerburschen« (Jammerbur- schcn), welche Bezeichnung wir innerlich und äußerlich mit großer Freude entgegennahmcn. Schließlich hatte er alle Herrschaft über uns verloren, sodaß häufig genug der Direktor vr. Smitt uns mehr oder minder nachdrücklich ins Gewissen reden mußte. Bor ihnt hatten wir hohe Achtung, und so mancher andere Lehrer, der die Fähigkeit besaß, sich von vornherein bei uns durchzusetzen, brauchte sich über gröbere Rüpeleien nicht zu be klagen. Da wir eben schon im praktischen Leben steckten, waren wir schwerer zu behandeln als Schüler, die nur zur Schule gehen. Man sah doch so mancherlei Gutes und Schlechtes im Geschäft, und die jüngere Gehilfenschaft konnten wir uns nicht zum Vorbild nehmen. Es ist schwer, nach mehr als 30 Jahren noch viele Erinne rungen an die Buchhändler-Lehranstalt auszugraben, da die gleichzeitige Lehrzeit unser Denken und Fühlen viel mehr in Anspruch nahm, aber ich denke heute noch mit stiller Wehmut an die drei Jahre meiner buchhändlerischen Schulzeit zurück, da man die Stürme und Sorgen des Lebens noch kaum ahnte. Durch die vielen Erfahrungen, welche die Buchhändler-Lehr anstalt in den vergangenen 70 Jahren gemacht hat, konnte sie sich immer besser entwickeln. Heute fühlt man, daß Herr Pro fessor vr. Frenzel seine ganze Persönlichkeit in die Wagschale wirst, um die Anstalt auf der Höhe zu halten, auf die er sie mit seinem Lehrerkollegium gebracht hat. Möge dem Leipziger und somit auch dem deutschen Buchhandel seine Persönlichkeit noch viele Jahre erhalten bleiben zum Segen der jungen Buchhändler- schast! Nur sehr wenige Städte können sich rühmen, eine gut durchgebildete Buchhändlerschule zu besitzen. Ich wünsche der Leipziger Schule alles Gute für die Zukunft und gleichzeitig treue Hilfe durch die Chefs der Buchhändlerfirmen in Leipzig. Halle (Saale). Paul Hempel. 703
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