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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.06.1928
- Strukturtyp
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- 1928-06-23
- Erscheinungsdatum
- 23.06.1928
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X, 144, 23, Juni 1928, Redaktioneller Teil, Börsenhlatt f. d. Dtschn. Buchhandel. abgestaubt und frisch lackiert, den Bildungsbeflissenen angeprie sen, Julius Wolfs und Rudolf Baumbach sangen ihre Spiel- mannsweisen und legten sie in Goldschnitt gebunden ihren be geisterten Verehrern auf den Weihnachtstisch, während Georg Ebers und Felix Dahn die mehr wissenschaftlich gerichteten Be dürfnisse ihrer Zeitgenossen befriedigten, Prachtband oder min destens Goldschnitt waren hier und dort unbedingte Voraus setzung für eine günstige Aufnahme in der Leserwelt, Theodor Fontane «änderte noch, vom großen Publikum ungesehen, durch die Mark Brandenburg, Der Gcsellschaftskritiker und Schilderer des Berliner Mittelstandes Fontane war damals noch nicht ge boren. Fest und treu stand die Wacht am Rhein, Man bezahlte, wenn auch nicht ohne Murren, seine nach damaligen Begriffen »unverschämt hohen- Steuern, war aber im übrigen recht stolz auf das neue deutsche Reich und hatte ja auch Bismarck, Im übrigen kümmerte man sich mehr um seine Geschäftsbücher, und um die Zeitungen nur insoweit, als sie der besseren Verdauung dienten. Kurz, man wußte gar nicht wie gut man es hatte, Wohl wetterleuchtete es schon hier und da in der deutschen Literatur, Karl Bleibtreu hatte sich als neuer Goethe etabliert und machte »Revolution in der Literatur«, während Hermann Conradi der Philistcrwelt seine »Phrasen« ins Gesicht schleuderte und Conrad Alberti dem Leipziger Realistcnprozeß in aller Stille vorbereiten half, lind während in der Ferne langsam die sinn lich-schwülen Tannhäuserlieder Eduard Grisebachs verklangen, in denen noch die Erinnerungen an die Gründerperiode nach- zitterten, rüstete sich Detlev von Liliencron zu seinen schneidigen »Adjutantenritten«. Aber alles das erregte nur Sturm in den Kaffeetassen der Wirtshausliteraten, Naturwissenschaften, Technik und Industrie verbanden sich in den achtziger Jahren zu einer immer engeren Arbeitsgemein schaft, aus der dann am Jahrhundertende die Blüte unseres Wirtschaftslebens erwuchs. Spielhagen setzte unermüdlich die Reihe seiner Zeitromane fort, die zwar eine heimliche Vorliebe für den Adel nicht verkennen ließen, aber ebenso wie Gustav Frcytags Schaffen das Hohelied des Bürgertums erklingen ließen. So überhörte man die »Amselruse« und sozialen Zeit gedichte einiger mißvergnügter Poeten, deren dichterische Mission außerdem keineswegs seststand, Einige besonders Hellhörige glaubten zwar schon hier und da den dumpfdröhncnden Schritt der Arbeiterbataillone Lu vernehmen. Aber das konnte wohl nur eine Täuschung sein, da ja der Reichstag erst vor kurzem das imposante Werk der Arbeiterschutzgesetzgebung verabschiedet hatte. Das war in groben Zügen und mit Unterschlagung einer Reihe nicht ganz unwichtiger neuer Ansätze, die hier nicht in Betracht kommen, die geistige Struktur jener Zeit, in der ich in die Buchhändler-Lehranstalt eintrat. Von all diesen Dingen wußten wir damals wenig oder nichts, Literatur und Wissen schaft waren uns noch ein Buch mit sieben Siegeln, Aber wir hosften, sie zu lösen, und sahen die Buchhändlerschule als eine Art Hexenmeister an, der uns die Zauberformel dafür liefern sollte. Hatten wir doch wohl alle, soweit nicht Zufälligkeiten bei der Berufswahl mitspielten, mehr den Schwerpunkt auf das Buch als auf den Handel gelegt. Leider stellte sich sehr bald heraus, daß die Vorstellung, seine Lehrzeit mit Bücherlesen zu- bringcn zu können, eine Illusion war, ja daß manche Buchhändler nicht einmal mit Büchern, sondern nur mit — Paketen zu tun hatten, lim so mehr erwartete man von der Buchhändlerschule, daß sie den gemeinsamen Boden bilden würde, auf dem sich all e: Verlags-, Sortiments-, Kommissions-, Musikalien- und Kolpor tagebuchhändler zur gemeinsamen Arbeit zusammcnfindcn muß ten, So wurde sie in unserer Phantasie zur eigentlichen Trägerin unseres Berufs, bestimmt, die Unterschiede auszugleichen und unserem Streben einen gemeinsamen Mittelpunkt zu geben. Die Buchhändler-Lehranstalt, unter der Obhut des Vereins der Buchhändler zu Leipzig stehend, hatte ihre damalige Unter kunft in der alten Thomasschule aus dem Thomaskirchhof ge funden, Man sah es dem alten Gebäude weder von außen noch von innen an, daß hier schon viele Generationen das Land der Griechen mit der Seele gesucht haben sollten. Sie war nämlich 702 alles andere als ein Tempel der Schönheit, Statt der »heiteren« Säulen griechischer Götterbilder, die man erwartete, nichts als graue, trostlose Verlassenheit, Der Auszug der alten Thomas- schule einschließlich aller griechischen Götter muß sehr gründlich gewesen sein. Dann und wann stolperte man in der frühen Dunkelheit über Sandsäcke oder von Handwerkern liegengelassene Arbeitsgeräte, Zu jener Zeit erstreckte» sich die allgemeinen Menschenrechte noch nicht auf den buchhändlerischen Nachwuchs. Ein Schüler rat, wenn er damals schon bestanden hätte, würde es sicherlich zu verhindern gewußt haben, daß der Schulbesuch im Sommer auf 6 (sage und schreibe sechs), im Winter aus 7 Uhr festgesetzt war. Der individualistische Zug der damaligen Zeit fing schon ganz oben bei der Kopfbedeckung an. Dieser trug einen weichen, jener einen harten Hut, ein dritter gar eine Schülermühe, ein Wagner-Barett oder einen Kalabreser, kurz, es fehlte vollständig an einer einheitlichen straffen Organisation, dem Kennzeichen unseres kollektivistischen Zeitalters, Von einer Normierung im heutigen Sinne war noch weniger die Rede, Ist es auch noch nicht gelungen, die Buchhandlungslehrlinge unter einen gemeinsamen Hut zu bringen, so legt doch jetzt die gemeinsame blaue Mütze Zeugnis von dem Geiste der Einmütigkeit ab, von dem unsere Heranwachsende buchhändlerische Jugend erfüllt ist. Ein Schüler rat hätte uns damals bitter not getan. So wälzte sich der ganze ungeregelte Haufe der Schüler, da es an Ordnern fehlte, über den Thomaskirchhos die Grimmaische Straße entlang, nach dem Augustusplatz, wo die Schar nach allen Windrichtungen aus einanderstob, ohne daß es zu eindrucksvollen Kundgebungen und Massendemonstrationen gekommen wäre. Damals war es den Ladeninhabern der Steckner-Passage, durch die wir regelmäßig unseren Weg nahmen, schon zuviel, wenn einmal einer der dort aufgestellten Blumenständer umgeworfen, oder ein Genosse in die offenstchende Ladentür gedrängelt wurde. Als ob man die Ladentür nicht hätte schließen können! Aber was wußte man damals von dem Rechte individueller Betätigung und dem Drange der Jugend sich auszuleben. Von dieser Verständnis losigkeit gegen die — man sagt wohl heute — »Belange- der Jugend war auch das damalige Lehrerkollegium der Buchhänd ler-Lehranstalt nicht freizusprechen, da regelmäßig eine hochnot peinliche Untersuchung erfolgte, wenn eine Beschwerde einlief. Es war unser Verhängnis, 40 Jahre zu früh geboren und da durch dem Unverstände der Erwachsenen ausgeliefert zu sein. Das Verhältnis der Schüler zueinander war ein durchaus kollegiales. Es herrschte ein zwar rauher, aber herzlicher Ton und ein gewisser Korpsgeist, wie man ihn in höheren Schulen häufig, seltener in Volksschulen trifft. Man fand cs auch ganz selbst verständlich, daß die älteren Schüler ein wenig abseits standen und sich zu einer besonderen — sagen wir — »Arbeitsgemein schaft- zusammcnschlossen, also gewissermaßen einen Staat im Staate bildeten. Der Unterschied von zwei, drei Jahren ist im späteren Alter gering, in der Jugend spielt er eine ganz erheb liche Rolle, Bei der Erinnerung an die früheren Schüler fällt mir eine Schülertragödie ein, die damals auf mich einen tiefen Eindruck machte, obwohl ich der Sache vollständig fern stand. Im ersten oder zweiten Jahre meines Besuchs der Buchhändlcr- schule fand in Leipzig ein großes Bundesschießen unter Betei ligung aller in Deutschland daran interessierten Kreise statt. Der Bierausschank auf den großen Festwiesen, auf denen die Ver anstaltung stattfand, war an eine Münchener Brauerei verpachtet worden, die bald mit einer Schar bayrischer Kellnerinnen in Leipzig ihren Einzug hielt. Die auf den Festwiesen von ihr eingeführten steinernen Maßkrügerl erfreuten sich, obwohl billige Fabrikware, ihrer Originalität, mehr aber noch der Neuheit wegen, bei den Festbesuchern großer Beliebtheit, In den Kreisen der jüngeren Festbesucher galt es als be sonders »forsch«, ja als "eine Art Sport, sich ein solches Maß krügerl anzueignen. Viele Hundert solcher »Andenken- wurden im Vertrauen auf die bayrische Gemütlichkeit entwendet, bis es dem Pächter doch zu bunt wurde und eine scharfe Überwachung der Festwiesen durch die Polizei erfolgte. Zu denen, die sich auch »einen Jux machen machen wollten«, aber dabei abgefaßt wurden, gehörte einer unserer Mitschüler, ein sonst stiller,
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