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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 26.02.1929
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- 1929-02-26
- Erscheinungsdatum
- 26.02.1929
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Nr. 48 (R. 26). Leipzig, Dienstag den 28, Februar 1929, 96. Jahrgang. ReLMioneller Teil- Eugen Diederichs. Die heutige geistige Krifis und das Buch! Vortrag, gehalten im »Saldo--Hannover und in der »Sphinxs- Hamburg. I. über das gleiche Thema hat Herr vr, Friedrich Oldenbourg*) auf der letzten Herbstversammlung in Königswinter kluge Worte gesprochen, die ich Satz für Satz unterschreibe. Er legte klar, warum die Literatur nicht mehr die gleiche Wertung genießt wie früher. Die Interessen, die Bildungselemente haben sich ge ändert. Der Gegenwartssinn ist stärker, die Jugend denkt an ders wie die ältere Generation. Er betonte die Pflicht des Buch händlers, die Keime des Neuen zu pflegen. Lassen sich zu seinen vortrefflichen Ausführungen noch weitere Ergänzungen geben? Ich will es sozusagen als Korreferat in der Richtung ver suchen, daß ich frage: Wie und wo haben wir Buch händler uns einzusetzen, umunseren Teil an der Überwindung der geistigen Krisis beizu tragen? Nämlich dadurch, daß wir uns ein eigenes Urteil darüber bilden müssen, wie und wo sich die negativen und posi tiven Kräfte unserer Zeit voneinander scheiden. Denn unsere Tätigkeit stellt ja gewissermaßen den Kanal zwischen den geistig schöpferischen Menschen und der Leserschaft her. Die heutige geistige Krisis ist eine Kultur- krisis. Es wäre aber kurzsichtig, zu behaupten, daß sie durch den Krieg entstanden wäre. Im Gegenteil, sie ist schon Jahr zehnte latent gewesen — bereits Lagarde sprach es aus, daß wir dem geistigen Bankerott entgegengingen — und der Weltkrieg war nur der Ausdruck von ihr, eine Fiebererscheinung, die die Krankheit erst offenbar gemacht hat, sodaß wir ihr wie ein Arzt gegenüberstehen können. So werden wir dann die tieferen Ur sachen der Krankheit erkennen, ihre Krankheitsformen konsta tieren, den Weg der Gesundung übersehen, und uns von der Ge sundung, also der Regeneration unserer Kultur ein Bild machen können. Jeder Krankheit muß mit Optimismus und dem Glau ben an kommende Gesundheit gegenübergetreten werden. Aus welchen Erscheinungen gewinnen wir nun diesen Opti mismus? In der Gegenwart herrscht Chaos. Anschauung steht gegenüber Anschauung, sei es im Denken, sei es im Handeln. Alte Bindungen sind gelöst, neue noch nicht gefunden. Macht gefühl steht gegenüber Gemeinschaftsgefühl. Kapitalismus gegen über Sozialismus, Arbeitgeber gegenüber Arbeitnehmer, Klasse gegen Klasse, Technik gegenüber Geist. All diese Gegensätze werden gesteigert durch eine ausge sprochene Energie des Wollens zum Handeln, ein Gefühl des Jungseins und Jungseinwollens, das in der Zeit selbst liegt. Ich erinnere nur daran, daß es heute anscheinend keine alten Frauen mehr gibt und auch wir Männer von 50 und 60 Jahren fühlen uns frischer, wie unsere Eltern in diesem Alter sich gefühlt haben. Die Bewegtheit der Zeit, die ständig zur Auseinandersetzung mit ihr drängt, erfaßt von uns Besitz, sodaß wir bis in das ent- *> Siehe Börsenblatt Nr. 287 <3. November) 1928. Vergl. auch den Potsdamer Vortrag: Timerbing, Die Krisis der Weltanschauung der Gegenwart Nr, 14 (17. Januar) 1928. legenste Provinznest das Tempo und die Nervosität spüren, die von den Großstädten ausgeht. Dazu kommt, daß die weltpoliti schen und weltwirtschaftlichen Fragen, die als Folgen eines Weltkrieges auftauchen, uns lehren, in Kontinenten zu denken. So wird die Welt des Einzelnen größer und verlangt ein dauerndes Wachsein und eine ständige Lernbereitschaft. Aber mit diesem größeren Blickfeld vergrößert sich natürlich auch das Chaos in der Einzelpersönlichkeit, es wird immer schwerer, in sich zur Ordnung zu kommen. Diese Bewegtheit entfaltet aber gewissermaßen als Ausgleich neue, beinahe okkulte Kräfte, die uns trotz Überlastung durch Arbeit frisch und aüfnahmebereit sein lassen. Unsere Zeit ist eine Zeit noch verborgener W e s e n s g e st a l t u n g, das ist mein Optimismus. Äußerlich ist sie noch Chaos, aber das Verborgene dieser Gestaltung zeigt sich in einem ganz merkwürdigen Drang nach Aussprache. Noch nie hat es so viele ernsthafte Zusammenkünfte gegeben, nicht bloß in ^er Jugendbewegung, sondern auch in allen anderen Lebcnskrcisen, aus denen man sich ehrlich bemüht hat, daß sich die verschiedenen Anschauungen näherkommen. Ich möchte auch meinen heutigen Vortrag unter diesem Gesichtspunkt auffassen. Meine Ausführungen sind durchaus persönlich und ich will nichts predigen, sondern nur zum Nachdenken anregen. Meine Worte sollen dazu dienen, daß wir uns gemeinsam in unserer Berufsaufgabe und in unserer Einstellung zu deren Problemen zusammenfinden, ohne die notwendige Trennung, die aus indi viduellem Denken erwächst, zu überkleistern. Die Hauptsache ist, daß wir uns nur klar machen, daß das Gemeinsame stärker ist als das Trennende, auch das Trennende zwischen alter und junger Generation, das heute von der Jugend besonders stark in den Vordergrund gestellt wird. Ist man jung, so hat man viel zu wollen, ist man Mann, so hat man zu handeln, kommt man in die Reife des Alters, so hat man das Leben und sein vergangenes Handeln unter den ewigen Gesetzen, die, fast möchte ich sagen, als deutlich gespürtes Geheimnis hinter dem Leben stehen, zu sehen. Man wird Be wahrer der Ehrfurcht und Tradition, was etwas ganz anderes ist, als erstarrte Formen konservieren zu wollen. Für mich handelt es sich, kurz gesagt, um organisches Denken, das von der Polarität des Lebens und dem daraus entstehenden Rhythmus erfaßt ist, um Aufgeschlossensein sowohl für das junge vorwärtsdrängende Leben als auch für gesunde Beharrung. Es ist ganz falsch, zu sagen, eins Revolution habe unser gegenwärti ges Denken erst zu fruchtbarem Handeln zu befreien vermocht. Die Erscheinungen einer Revolution sind gewissermaßen nur Kräuselungen auf der Oberfläche des Wassers. Der Strom des Lebens aber fließt nach ewigen Gesetzen. Die entscheidende Frage, die an die Gegenwart zu stellen ist, ist: hat sie nicht nur Wollen, hat sie auch ein Ziel vor sich, das nur zu gewinnen ist, wenn man sich vor jenen überindivi duellen Gesetzen beugt, die über dem Leben des Einzelnen stehen? Wir handeln und denken heute in der Anschauung desRela- tiv Ismus. »Es könnte das richtig sein, es könnte auch das Entgegengesetzte richtig sein.« Suggestion durch Propaganda ist an Stelle von selbsterlebten Wirklichkeiten getreten, und damit ist eine geistige Unselbständigkeit heraufgekommen, die direkt an die geistige Gebundenheit des Mittelalters erinnert. 209
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