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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 26.02.1929
- Strukturtyp
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- 1929-02-26
- Erscheinungsdatum
- 26.02.1929
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- Deutsch
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x° 48, 26. Februar 1929. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f.d.Dtschn. Buchhandel. All die Bücher, die aus innerem Muß und nicht der Kon junktur wegen geschrieben sind, sind der Weg dazu und werden die heutige Kulturkrisis mit überwinden helfen, wenn ihre Wissens- und ihre Gestaltungskräfte zur Tat und Charakter bildung anregen. So handelt es sich für den Buchhändler im Verlegen und beim Verkauf weniger um die Anhäufung von Wissenstatsachen als um die Fähigkeit zur Wertbcstimmung. Zuerst im Erlebnis eigenen Wachsens und dann in einem Objektivierungsprozeß für andere. Hier kommt cs auf ein Miteinanderarbeiten von Alt und Jung an, denn Kulturbcwußtsein entsteht nur da, wo die Unterscheidung zwischen dem Wesentlichen und Unwesentlichen des Lebensinhaltes und der Lebensäußerungen vorhanden ist. Nicht auf das, was geistreich ist, kommt es an, sondern auf das, was wahr ist, weil es orga nisch i st. Lassen Sie mich nicht mit der relativistischen Frage von Pilatus schließen: Was ist Wahrheit?, sondern mit dem Bekenntnis: Wir suchen als Ziel die Wahrheit. Wir ringen um keine endgültige, sondern um die heutige Wahrheit, daß wir als Volk unsere Lebenskräfte zu neuem Aufbau nicht durch Trieb und Gier, sondern nur durch Willen zum Geist entwickeln können. Dazu verhelfe uns unser Beruf, dem wir zu dienen haben. Wir dienen durch ihn dem Geist, weil menschliches Le ben Wandlung bedeutet. Nur durch die Seele wird unser Lcbcnsgefühl reich und weit. Im Jagen nach materiellem Genuß verengt es sich. Undatierte deutsche Werbedaten. Fürchte nichts, ungeduldiger Leser! Ich propagiere keine neuen Jubiläumstage. Ich wende mich sogar an dich, damit du hilfst, daß ihrer weniger werden. Zwar ist gewiß, daß die Erinncrungsdaten, wie sie der Kalender automatisch mit sich bringt, ihren natürlichen Vorspanndienst bei der Buchwerbung tun. Wenn alle Welt davon erfüllt ist, daß Spielhagen gerade vor 100 Jahren geboren wurde, daß Tirpitz 80 Jahre alt wird, daß die Deutsche Nationalversamm lung vor 10 Jahren eröffnet wurde, daß dies, bas und jenes sich jährt und darum alle Zeitungen mit Wort und Bild dahinter her sind — bann wird alles, was mit diesen Namen und Ereignissen zu sammenhängt, vom Tagesgeräusch hoch getragen und für den Buch handel entsteht eine willkommene Auswirkung, bei der eine geschickte Reklame mit Scheinwerferbeleuchtung, ein fesselndes Schaufenster nur noch die Bedeutung eines letzten, aber entscheidenden Anstoßes haben, um aus dem allgemein eingestellten Interesse einen tatsächlichen Kaufentschluß hervorzulocken. Es herrscht Konjunktur und das Ge schäft liegt bei der Geschicklichkeit des zu veranstaltenden Ernte-Feld zuges. Ter Schriftsteller, der mit Aufsatz und Buch sich in den Er innerungskalender einzureihen weiß — er tut nichts anderes als der Buchhändler; beide ernten aus der Saat der Zeiten. Und ernten doppelt gut, wenn sie dabei einander geschickt in die Hände arbeiten. Zuletzt wirken alle diese Kräfte sich mit einer Gesetzmäßigkeit aus, der der Käufer als letztes Glied der Kette fast schicksalsmäßig erliegt. »Weh dir, daß du ein Enkel bist!« Und doch sind jene Erinnerungsdaten im höheren Sinn etwas Zufälliges. Kein Mensch »kann etwas dafür«, daß Lessing gerade 200 Jahre alt wird und Goethe 180. Das sind Tatsachen, die in der allgemeinen Menschheits- und in deren besonderem Kapitel »Litera turgeschichte« aufgehoben werden und da ebenso gut liegen wie tausend und abertausend andere Tatsachen. Sie jähren sich jährlich und wer den zuletzt 'IO, 100 und werden 1000 Jahre alt. Keiner »kann etwas dafür«. Etwas anderes ist's, ob und wie wir uns zu den Tatsachen stellen und ob wir uns 'veranlaßt fühlen, Erinnerungsgut des Volkes ans Tageslicht zu ziehen. Denn von dem Augenblick an, da wir wollen, waren diese Tatsachen Bestandteil des Tageswillens, und Lessing und wer sonst immer: sie werden wieder etwas leben diger und werden gar ganz ins Volksbewußtsein zurückgerufen. Und zwar nicht deshalb, damit sie auch weiterhin toter Ballast unseres Gedächtnisses bleiben, sondern damit frische Kraft von ihnen aus geht, Geist von ihrem Geist, der fruchtbar in die Gegenwart wirkt. Die Gegenwart hat denn doch etwas dazu zu tun, ob sie h i st o r i s ch e Kalendertage zu lebendigen Gegenwartstagen macht. Und da fällt gerade bei dem »Goethe-Lessing-Jahr« eines auf. Hat diese 9 nicht noch mehr hinter sich? Ist nicht Schiller von 1759, Ernst Moritz Arndt von 1769? Sie fehlen beide in der Reihe, kein Festplakat denkt ihrer. Haben die Festkalendermacher sie vergessen? »Literaturgeschichte schwach« —? Dann wollen wir hier nachhelfen und wollen ihre Werke in alle Schaufenster stellen. Und wenn keip Verleger einen Rcklameturm liefert, »auch im Innern des Ladens von ansehnlicher Wirkung auf das Publikum« sie sind Turm und Fanfare genug, weil ihr Name groß genug ist, noch immer Schall und Rauch umnebelnd Himmelsglut: die ganze Glut jener Herzen, die Volk und Vaterland zu ihrer Zeit und auf ihre Weise gedient haben. Also gibt es neben den Festkalendermachern noch manch einen andern, der sich selbst seinen Kalender zu machen oder ihn selbständig zu nutzen weiß. Der, wenn Schiller jetzt übergangen wurdx, sich viel leicht, wenn er von seinem heldischen Idealismus einen Hauch ver spürte, von sich aus zur Wiedergeburt Schillers in einem Zeitalter beiträgt, das von diesem Idealismus gerade einer besonders großen Zugabe bedarf. Oder er erinnert sich ganz nüchtern und ge schäftlich daran (und keiner vermag ihm dann kritisch beizukommen), welche Höhe die Schillerbcgeisterung 1859 erreichte: wie man ihn damals als einen gewaltigen Baustein zu des kommenden Reiches Errichtung erfand und wie kein deutsches Reich, keine deutsche Ein heit ohne Schiller möglich zu sein schien. »Seid einig!« Oder haben wir, dahingegen, inzwischen geschichtliche Erlaubnis erhalten, uneinig zu sein oder eines behaglichen Phäakendaseins bei sich drehendem Bratenspieß uns zu erfreuen? Sollte Schiller nicht manchem manches zu sagen haben, gerade dann, wenn man ein ver- ehrliches Publikum ihn finden läßt? Wenn man garnicht der gleichen tut (wie ja bis jetzt auch niemand Anstalten macht, seiner bei der großen 9 zu gedenken), sondern ihn nur wie absichtslos und nur so ein wenig als guten alten Klassiker, der er nun einmal ist, ins Schaufenster stellt, auf den Verkaufstisch legt, hie und da ein Lese zeichen zwischen den Blättern, das vielleicht gerade da liegt, wo etwas von der Nation steht, die da . . alles freudig setzt an ihre Ehre Vielleicht wird dieser, wird jener ein selbständiger kleiner Me chanismus in der großen Kalenderuhr und schiebt das Erinnerungs zifferblatt ein, das uns bitter not tut. Und nahebei liegen Arndts leider — ach! — noch immer nicht vollständig Gesammelte Werke und darin, bei den goldenen Ähren auf dem grünen Feld, finden sich die Zeilen von dem Gott, der Eisen wachsen ließ .... Nein, nein, seien Sie unbesorgt! Ich wollte nur daran er innern, daß im Jahre 1806 (die Neun ist jetzt mal herumgeöreht) das Gedicht zum »Lob des Eisens« hinausging: Es stellt denPflug ins Land Die Erde zu bezwingen, Es läßt das Schiff vom Strand Auf schnellen Windesschwingen, Baut Menschen feste Sitze Und führt die Kunst ins Haus Und löscht des Donners Blitze Mit einer Stange aus Das ist doch im Zeichen der Grünen Woche zeitgemäß und der Nachbar Maschinenhändler hat gewiß seine Freude dran. »Bleib, Eisen, Männern hold!« Es hat doch etwas zu bedeuten, wenn Albert von Hoffmann seiner deutschen Geschichte (Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart) ein Kapitel zur Geschichte des Eisens voranschickt, um zu erzählen, wie überall da, wo das Eisen war, Kraft und Ansehen und ein blühendes politisches Gemeinwesen vorhanden war, von Babylon über Hellas bis Rom; und daß es nur zu uns erst zuletzt gekommen ist und daß wir, wie üblich, nachhinken. Oder ist es nicht zeitgemäß, auf jene Flugschriften Arndts zurück- zugrcifcn, die zur Geschichte und Bedeutung des deutschen Bauern standes um 1809 hinausgegangen sind? Die von »freiem Leben, freiem Atmen und freiem Lichte« reden und den, Satz aufstellen: »Freier Bauer gleich einem tapferen Volke und freiem Lande«. Der Historiker würde mir antworten, der Satz sei die Losung wider die Leibeigenschaft gewesen, die man eben da mals, um neue Grundlagen der staatlichen Freiheit zu schaffen, habe aufheben müssen. Und von Leibeigenschaft sei doch bei uns keine Rede mehr. Nein, ganz gewiß nicht! Und darum sind^s ja auch nur Erinne rungen daran, daß auch der Kalendermann nicht alleinseligmachend ist, sondern daß einem Buchhändler, der mit Schaufenster und Ver kaufstisch arbeitet, Gelegenheit gegeben ist, gar manches ans Licht zu stellen, was dem Kalendermann vorläufig entgangen ist, und was doch tausend und abertausend zu feiern und entsprechende Festausgaben (und jedes erlösende Wort ist ein Fest!) zu kaufen fröhlich bereit sind. Jenseits des Kalendermechanismus gibt es noch die Spannkraft eines selbständigen, beseelten Nachdenkens, bei dem das zutage tritt, was uns wirklich nottut. Und ich schweige ganz vom Jahre 1809 und von Tirol. Bad Berka. vr. Th. Scheffer. 213
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