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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 03.05.1919
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1919-05-03
- Erscheinungsdatum
- 03.05.1919
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- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
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87, 3. Mai 1919. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtkchn. Buchhandel. mit den erbetenen Werken, bzlv. mit Spielen, Heften, einer Brieftasche us!r>. Die Leute wurden aufgefordcrt, Literatur an zufordern, um ihre Studien fortzusctzen oder anzusangen und schriftliche Arbeiten einzureichen; die Damen des Regiments schrieben den Leuten, und dann trafen die fabelhaften Sendun gen für die Lagerbibliothcken ein, die auf der ganzen Welt für die englischen Gefangenen gesammelt und nach London geschickt worden waren. Die englische Post beförderte die Bücher un entgeltlich. Die zum Kauf ausgestellten Bücher trugen alle den Aufdruck: MSI oxxiM WWIVW L00L8 xoii xiiW IkrviSUISSKM 10 HiMM, Lädt?, LUV M8kI1Ll-. Die eng lischen Familien haben ja Wohl auch nur die alten Bestände und Dubletten ihrer Bibliothek hergegeben, es sind aber doch stets gute und gehaltvolle Bücher gewesen; das konnte man von den französischen Sammelsendungen nicht immer sagen, und von den Sachen, die die französischen Angehörigen ihren Gefangenen schickten, noch viel weniger. Die Sendungen der Pariser »Societö Franklin« waren noch mit die besten, wenn sie auch anscheinend nicht immer sehr kritisch durchgesehen wurden, die Stiftungen des Verlegers A. Taride erfüllten voll ihren Zweck, und die Pakete der Städte waren meist einwandfrei. Die privaten Sendungen kann man im Durchschnitt nur als minderwertig bezeichnen, sic bestätigten den Eindruck von dem geistigen Tiefstand der Absender, den inan aus ihren Briefen schon gewonnen hatte; die Leute schick ten bigotte oder Schundliteratur. Der Berliner Staatsanwalt - seligen Angedenkens — hätte oft seine Helle Freude an den Sachen gehabt. Die religiöse Propaganda ist in Frankreich sehr groß und gut organisiert gewesen; der klerikale Verlag »Haans prosso- muß das ganze Land mit seinen Heften förmlich überschwemmt haben, nach dem zu urteilen, was hierher ge schickt wurde. Er hat für die Sache ein Vermögen zur Ver fügung gehabt, denn die Broschüren waren bis zum Schluß gut ansgestattet und für den Verkaufspreis in Frankreich gar nicht hcrzustellen. Die Gefangenen lasen diese Schriften aber gar nicht. Der fanatische Klerus ging sogar so weit, seine hetzerischen Diüzcsenheste, in denen es von deutschen Grcucltaten nur so wimmelte, selbst an die Gefangenen zu schicken, ja man enthielt uns nicht einmal die Schülerhefte vor, deren farbige Umschläge diese Untaten noch im Bilde Wiedergaben und die französische Brunnen- und Seelenvcrgistung besonders kraß demonstrierten. Vom Gottesdienst im Lager kann ich nur sagen, daß man immer dieselben relativ wenigen Menschen sah; ein Teil ging aber nicht einmal der Sache selbst wegen dorthin; es waren die mit Liebesgaben weniger beglückten Gefangenen. Sie hofften durch die Vermittelung der französischen Geistlichen eine »marr-une«, eine Gönnerin, zu erhalten, die sie mit Paketen versorgte. Mehr weltlich Angehauchte glaubten dasselbe Resultat durch eine Heiratsannonce in einer Pariser Zeitung zu erzielen; ich hoffe, daß alle den erwünschten Erfolg gehabt haben. In einem OsfizierSgefangenenlagcr, das ich bei einer außer ordentlichen Revision mit zu inspizieren hatte, fand ich viel reli giöse Literatur vor, auch die Bilder und Rosenkränze fehlten nicht; es scheint somit, daß die gebildete Bevölkerung in Frank- reich religiöser ist als das Volk. Die in jeder Beziehung besten Büchersendungen kamen aus Neulralicn, vom Roten Kreuz in Kopenhagen, dem Hilfswerk der Schweizerischen Hochschulen für kriegsgefangcnc Studenten aus Ncuchütel usw.; auch der Christliche Verein junger Männer hat Gutes getan. Erübrigt Hütte sich der Lagerbesuch ihres Neu tralen, cs war lange Zeit ein Amerikaner, der wiederholt mit einem Grammophon bewaffnet im Lager erschien, um die Ge fangenen zu erfreuen. Im Lager gab es mehr Musik, als vielen lieb war; wenn die Gesellschaft für die Spesen, die der Herr sicher berechnet hat, einen Apparat gekauft und ihn ins Lager geschickt hätte, so würden die Leute mehr davon gehabt haben. Ter neutrale Amerikaner sprach außer schlechtem Deutsch nur Englisch, Engländer waren aber damals gar nicht im Lager, sondern auf Kommando. Als christlicher und katholischer .Herr wollte er immer Gebetbücher unterbringen, der französische Bibliothekar, ein protestantischer Professor, und sein russischer Kollege, ein jüdischer Großkaufmann, die die Abneigung der Leute gegen diese Literatur kannten, konnten ihm nur ver sichern, daß sie schon überreich versehen seien; er ließ sich aber nicht erweichen und schickte doch einen ganzen Ballen, der dann in einer tiefen Ecke mit vielen ähnlichen Sachen ein stilles Dasein fristete. Internationale und deutsche jüdische Gesellschaften haben viel für die russischen Gefangenen getan, für diese Ärmsten der Armen, die von ihrer Regierung ganz vernachlässigt wurden. Sie schickten auch viele russische und polnische Bücher. Die Zahl der Analphabeten war natürlich groß, und die ft ft ft als Unter schrift spielten keine kleine Nolle. Charakteristisch für das Gei stesniveau ist folgender Fall; Es kam da einmal eine wissen schaftliche Kommission, um die Dialekte und Volkslieder der über zwanzig verschiedenen Stämme der Russen des Lagers phonographisch aufzunehmen. Die Leute waren oft nicht leicht dazu zu bewegen, in den Trichter hineinzusprechen oder -zu« singen; als man nun einmal die Membrane gewechselt hatte und einem Bäuerlein aus dem Georgischen vorspielte, was er soeben gesungen, da blickte er ganz entgeistert um sich, sing dann vor Freude an zu weinen und erklärte, man möchte ihm doch nichts tun, aber so schön wie der da könnte er wirklich nicht singen. Die deutsche Regierung hat viel zur Aufklärung der Russen getan und auch eine Reihe von Broschüren in den Spra chen der baltischen Provinzen herausgegeben. Die deutschen Propagandaschriften in französischer Sprache fanden weniger Anklang, mehr schon die Zeitungen, vor allem die »üEtts das Lrcksullss», und besonders deren illustrierte Aus gabe ; sie wurden zuerst Wohl etwas skeptisch ausgenommen, aber doch immer gelesen und waren in vielen Tausenden von Exem plaren verbreitet. Das deutsche Zeitungswesen für die Eng länder und Italiener entwickelte sich sehr langsam und kam eigentlich gar nicht recht in Schwung, jedenfalls stand der Ab satz der »6oiU!aeil«al limes- in keinem Verhältnis zu den fran- zösischen Blättern. Interessant war es, die fortlaufende Verschlechterung der ausländischen Buchaufmachung zu verfolgen, die mit der Preis steigerung parallel ging. Die Papiernot ist in Frankreich zweifel los am größten gewesen, das bewiesen schon die dortigen Tages zeitungen, die wöchentlich mehrmals nur auf zwei Seiten er scheinen dursten; aber auch das Papier und die Druckfarben für die Bücher wurden so schlecht, daß die Klischees oft über haupt kein klares Bild mehr Wiedergaben, obwohl sie den Auf druck tVtajorstioa temporsire 70°/„ trugen. Seit 1917 eine stän dige Erscheinung. Ob die Franzosen noch Leinwand hatten, weiß ich nicht, da neuere Bücher nie gebunden geschickt wurden, die Engländer hatten sie jedenfalls bis zum Schluß, es wirkte aber seltsam, die in Ganzleinen gebundenen Bücher der bil ligeren Ausgaben auf dem schauderhaftesten Zeitungspapier ge druckt zu sehen. Gelesen wurde von den Gefangenen eigentlich alles, mit Ausnahme der tendenziös politischen oder religiösen Sachen; begehrt waren Reiseschilderungen, technische Werke zur Weiter bildung und moderne Romane, natürlich auch Grammatiken und Wörterbücher, die viel geschickt nnd noch mehr im Lager selbst gekauft wurden. Die internationale Zensur ist ein Kapitel für sich, über sie zu schreiben würde jetzt zu weit führen. Ich möchte jedenfalls feststcllen, daß ich während meiner über zweijährigen Tätigkeit als Zensor und Gerichtsdolmctscher keinen Fall der Nachrichten vermittelung durch das Buch erlebt habe, auch sonst keinen nach weislichen Fall positiver Sabotage. Ich habe alles mögliche eingebacken, eingenäht und eingckapselt gesehen, es waren aber nie — Bazillen usw.; soweit es sich um Notizen handelte, waren es stets solche, die die Absender vor der eigenen Regierung ver bergen mußten. Es gab im Lager Chemnitz eine große französische Biblio thek mit eigenem Leserarun, eine noch größere englische »lidr-uz-« mit noch schönerem und praktischer eingerichteten Lese- und Vortragssaal; auch die Russen hatten ihre Bibliothek.' Von einer deutschen Bücherei habe ich aber nie etwas gehört oder gelesen, trotzdem da» Lager 180» Mann umfaßte. Es war Wohl 327
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