Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 08.02.1930
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1930-02-08
- Erscheinungsdatum
- 08.02.1930
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19300208
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-193002085
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19300208
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1930
- Monat1930-02
- Tag1930-02-08
- Monat1930-02
- Jahr1930
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
33, 8, Februar 1830, Redaktioneller Teil, Börsenblatt f. d.Dtschn.Buchhandel. selbst den gesicherten Ergebnissen einer neuen Stilbcwegung stets gefährlich wird, sobald nicht die Gesinnung, sondern die rein äußer liche Darbietung als das Wesentliche gilt. Und nur aus einer intellektualistischen Übersteigerung einer an sich gesunden Zeitforde rung wird die ausgesprochene Vorliebe für jene formalistisch-primi tive und mathematisch-technische Schriftgestaltung verständlich, die uns besonders im Formenkreis der Lateinschrift so unerfreulich auf fällt. Das neuzeitliche Schriftschasfen kann nicht an dem erkennbaren Zeitwillen vorübergehen, aber es muß das Problem in seinen künstlerischen, wissenschaftlichen und ökonomischen Belangen erfaßt haben, wenn die überbetonte Sachlichkeit nicht zur leeren Redensart werden soll. Welche Eigenart soll nun eine neue Druckschrift zeigen? Doch nur die eines sprachlich und künstlerisch befriedigenden Schriftbildes, das auch den wichtigen Forderungen nach Wirtschaft lichkeit und Lesbarkeit gerecht wird. Aus welchem Abschnitt der geschichtlichen Entwicklung diese Schrift ihre Grundformen bezieht, ist gleichgültig; keinesfalls müssen wir uns aber auf die Primi tivität frühantiker Balkenschriften beschränken. Wir brauchen Schriftformcn von höherer Kultur uud einer Ausdrucksfähigkeit, die eine feinfühlige Abstimmung des Schriftbildes auf den Schrift inhalt erlaubt. Da die internationalen Balkenschriften in ihrer kühlen, rationalistischen Gestaltung diese Möglichkeit nicht verstatten, sondern ihr stereotypes Bild alle Gefühlsmomente bewußt unter schlägt, so können wir in ihnen keinen kulturellen Fortschritt sehen. Nun läßt die Entwicklungsgeschichte der abendländischen Druck schrift erkennen, daß weder die lateinische Schrift in der vorliegenden klassischen Form — der Antigua uud Mediaeval —, noch die ver breitetste deutsche Schrift in ihrer vom Anfang des 16. Jahrhunderts festgelegten Form — der Fraktur — Möglichkeiten organischer Weiterentwicklung in sich tragen. Beide Schriftarten sind etwas absolut Fertiges und Abgeschlossenes aus einer gänzlich anderen Epoche und können weder verbessert noch einander angcglichen wer den, wie zahlreiche ältere und jüngere Versuche negativ beweisen. Wir finden aber eine geeignete Grundlage für eine neuzeitliche Schrift im Formeukreis jenes gotischen Zeitalters, da die Schreib kunst in höchster Blüte stand. Gutenberg und seine Schüler haben mit großem Verständnis für ihre Aufgabe aus dem gleichen unver siegbaren Born geschöpft und jene ersten unübertroffenen Druck typen geschaffen, die bahnbrechend für ein neues Zeitalter geworden sind. Dort können auch wir Anknüpfung finden für ein Schriftschasfen, das vielleicht in einer neuen, glücklichen Verbindung von Mystik und humanistischem Weltgefühl unserer Zeit Ausdruck verleiht, zumal eine gewisse Ähnlichkeit der geistigen Strömungen dazu verleitet, von neuer Gotik zu sprechen. Noch scheint zwar auf vielen Gebieten sehen, daß historische Bindungen im ganzen Bereich des Kunst schaffens aus Prinzip verpönt sind, obgleich ein natürliches Ein gehen auf die Tradition keineswegs neuschöpferisches Gestalten be hindern muß und ein neuer Stil ohne dies undenkbar ist. Es ist aber doch ein unmögliches Verlangen, daß wir plötzlich auf unsere gewohnten historischen deutschen Schriftcharaktere verzichten sollen, zumal ihr Aufgabenbereich in keiner Weise erschöpft ist. Wer möchte beispielsweise ein Goeihebuch im Bauhausstil gedruckt sehen, oder eine Lutherbibel in Grotcskschrift? Solange unsere Sprachform gilt, gelten auch die ihr Ausdruck gebenden historischen Schriftformen, und die deutsche Schrift ist die sinngemäße graphische Einkleidung des deutschen Wortes und ein nationales Erbgut, in dem unser Wesen Ausdruck gefunden hat. Dagegen hat die Antiqua, abgesehen von ihren bekannten stilistischen Unstimmigkeiten, bis heute noch nicht die notwendige Anpassung an die deutsche Sprachform gefunden. Nehmen wir noch hinzu die wichtige Tatsache des nicht mehr zu bestreitenden unökonomischen Schriftbildes gegenüber dem deut schen, so müssen wir die lateinische Druckschrift endgültig für das Problem neuzeitlicher deutscher Druckschriftreform ablehncn. Um das Bild einer neuen deutschen Drucktype unseren heutigen Form vorstellungen entsprechend aufbauen zu können, dürfen wir selbstver ständlich wie bei den lateinischen, uns auch bei den gotischen Schrift armen konstruktiver Methoden bedienen, uud das ist mit Erfolg auch schon geschehen. Zu fordern ist, daß die letzte Form der Druck type klarer Ausdruck der technischen Entstehung sei uud nicht nur das Faksiinile individueller Schreiberschnörkel. Wenn wir sehen, wie das Schaffen einer neuen Druckschrift allerhand Kenntnisse und Erfahrungen vvraussetzt, so ist es verwunderlich, daß Reformver suche so häufig von unbekümmerten Dilettanten ausgehen. Es müssen dann entsprechend klägliche Ergebnisse entstehen wie bei Herrn vr. weck. Heinrich von Recklinghausen, der uns eine neue 140 Druckschrift-Reform nach eigener Erfindung in den vorjährigen Mitteilungen der Deutschen Akademie vorschlagen durfte; seine künstliche Formung ernst nehmen zu sollen, ist eine Zumutung. Nicht höher zu bewerten sind auch die unentwegt grotesken Anläufe junger Bauhauspädagogen, die natürlich für eine umwälzende Sprach- und Schriftreform von bewußt destruktiver Tendenz eintreten. Wie steht es nun um den Schreibunterricht überhaupt? In der neuen, von der Stahlfcöersabrik Soennecken heraus gegebenen Zeitschrift »Schrift uud Schreiben« klagt ein bekannter preußischer Schulmann: »Die Schule weiß heute selbst nicht, welche Schrift sie den Kindern mitgeben soll. Es wird viel versucht, aber dabei wird nicht erreicht, daß die Kinder eine Schrift so beherrschen, um nachher ihren Lebensunterhalt damit verdienen zu können. Dazu gehört aber unbedingt die Aneignung einer gut lesbaren Schnell- handschrift, wobei niemand fragen wird, ob diese Schrift steil oder schräg ist, deutsche oder lateinische Buchstabenformen hat«. In den preußischen Schulen wird heute nach Sütterlins erprob ter Methode unterrichtet: sie beginnt mit dem Zeichnen von latei nischen Steinschriftformen und führt überleitend von einer steil ge schriebenen Ausgaugsschrift zur deutschen oder lateinischen Lebens schrift persönlicher Prägung. In Hessen hat auf Veranlassung der Negierung Schreibmeister Rudolf Koch eine Schrift anderer Methode und Form geschaffen, die höchsten künstlerischen Anforderungen auch als Lebcnsschrift genügt, hingegen für den ersten Schreibunterricht Schwierigkeiten bereiten kann. Die Schweiz hat sich eine Schriftreform durch Hulliger besorgt; seine lateinische Schrift zeigt eine Mischung von eckigen und runden Schreibzügen, die mehr die Mängel unserer beiden Schriftarten ver einigt, als künstlerisch und methodisch überzeugt. Überall sind sodann ältere Methoden im Gebrauch, deren ge sicherte Ergebnisse für die Schreibfertigkeit auch heute noch beacht lich bleiben. Das gilt auch für Sachsen, wo eine einheitliche Rege lung nicht vorlicgt, aber allerhand individuelle Methoden mit zum Teil höchst betrüblichen Ergebnissen Bedenken erregen. Es ist eine kühne Behauptung, wenn z. B. Kuhlmann sagt, mit seiner Methode in jedem Falle schöpferische Ergebnisse erzielt zu haben. Obgleich er nachahmeudes Schreiben prinzipiell ablehnt, ist in fast allen seinen Schülerschriften deutlich ein manieristischer Flammcn- duktus erkennbar, der unzweifelhaft an die Verfallsformen deutscher Kanzleischriften des 18. Jahrhunderts erinnert. Allgemein kann gesagt werden, daß die vielfachen Experimente im neuzeitlichen Schreibunterricht nach dem Grundsatz: »Jedes Kind sein eigener Schriftschöpfer«, also das selbständige Erarbeiten einer Eigenschrift bei noch unentwickeltem Charakter, unbedingt zum Verfall der Schreibfertigkeit führen muß. Das beweisen hinlänglich die Leistungen eines unfähigen Nachwuchses in amtlichen Schreibstuben, während im Ausland gewisse Dokumente noch kalligraphische, auf Tradition beruhende Schulung aufweiscn. Man lese, was Minna Becker in ihrem ausgezeichneten Buche »Graphologie der Kiuderschrift« über den neuzeitlichen Schreib unterricht sagt; es ist «ine völlige Ablehnung des Kuhlmannscheu Lehrganges, über dessen Umwege uud Irrwege mau auch anderen Orts stutzig geworden ist. Minna Becker verwirft das mit der römi schen Schrift beginnende Erlernen mehrerer Schriftgattungen und tritt für die deutsche Schriftform als Anfangsschrift ein, wobei sie für ein Schreibturnen zur Erreichung manueller Schreibgewandt heit volles Verständnis zeigt und mit Recht eine Schrägschrift als natürlich bevorzugt. Die in der Lehrerschaft auftretende Meinung, daß ein auf be stimmten vorbildlichen Schriftformen aufgebauter erster Schreib unterricht die Eigenart des Kindes unterdrückt oder die Fähigkeit zu späterer schöpferischer Gestaltung der Handschrift verschüttet, kann mit guten Gründen bestritten werden, zumal die Tendenz aller Schrift bildung immer auf Nachahmung gerichtet ist. Wichtiger als alle Me thoden ist immer die Persönlichkeit des Lehrers, denn von ihr hängen, außer von der Begabung des Kindes, in erster Linie alle Untcrrichts- ergebnisse ab; es darf nicht vergessen werden, daß Schreiben eine Kunst bleibt, die nur durch fleißige Übungen zugänglich ist. Nun betrifft das für unsere Druckschrift so wichtige Formproblem nicht in gleichem Maße unsere Vcrkehrshandschrift, wie überhaupt die Entwicklung beider Arten seit Erfindung der Buchdruckerkunst eigene Wege ging. Hierbei hat wohl stets eine Beeinflussung der Druckschrift durch die Verkehrsschrift, selten aber eine solche um gekehrter Art stattgefunden. Unsere deutsche Schreibschrift stammt direkt von der gotischen Kursive, der Verkehrsschrift des 14. Jahr hunderts ab, mährend die lateinische Schreibschrift, als die jüngere, auf die humanistische Kursive des 15. und 16. Jahrhunderts zurück-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder