Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 30.07.1929
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1929-07-30
- Erscheinungsdatum
- 30.07.1929
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19290730
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-192907308
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19290730
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1929
- Monat1929-07
- Tag1929-07-30
- Monat1929-07
- Jahr1929
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
»Zst ein Reichssprachamt „notwendig"? ILon vr. Karl Schneider, Heidelberg. In seiner Anzeige des »Großen Duden« in Nr. 134 des Bbl. loom 13. Juni hat Herr E. St. auch die schon früher viel erörterte Frage der Nützlichkeit oder Notwendigkeit eines Reichssprachamts be irührt und dabei der Meinung Ausdruck gegeben, daß, »solange wir Ikein Reichssprachamt haben«, die Führung in sprachlichen Dingen dem * Buchdrucker überlassen bleiben müsse, die dieser an der Hand der von den besten Sprachwissenschaftlern gegebenen Vorschriften gewissen haft ausüben werde. Damit hat Herr E. St. die Lage in Bezug auf eine hervorragend wichtige Angelegenheit unseres heutigen geistigen Lebens unzweifelhaft richtig, wenn auch gewiß nicht unbedingt zum Ruhm unserer Ordnung der öffentlichen Dinge gekennzeichnet und sein zwischen den Zeilen ausgesprochener Wunsch nach einer regelnden Sprachbehörde wird in den Kreisen, die von Berufs wegen mit Schrift und Sprache zu tun haben, sicherlich vielfach geteilt werden. Wenn aber Herr E. St. diese Frage wesentlich unter dem Gesichtspunkt der Wortschreibung betrachtet, so möchten die folgenden Ausführungen den Nachweis erbringen, daß eine regelnde Sprachbehörde, die nach Lage der Dinge doch wohl Reichssache sein müßte, auch für die deutsche Wortbildung und Sprachgcstaltung überhaupt und heute mehr denn je eine Notwendigkeit ist — dieses Wort dabei im eigentlichen Sinn ge nommen: »notwendig« ist,' was eine Not wendet, das Wort ist also seinem Sinne nach der Mittelbegrisf zwischen' »nützlich« und »unent behrlich«. Die heutige deutsche Sprache aber ist in Not, in schwerster Not; davon gibt jeder Blick nicht nur in die Zeitungen und Zeit schriften, sondern auch in jede Art von Büchern sattsam Kunde. Das Sprachgefühl unseres Volkes ist heute in einem wohl noch niemals dagewesenen Maße erschüttert; die sinnvollen Bildungsregeln und Formgesetze, die früher gewissermaßen mit schlafwandlerischer Sicher heit immer richtig angewandt wurden, werden heute mehr und mehr zum Nachteil der Flüssigkeit und Natürlichkeit unserer Sprache außer Acht gelassen, und es sind keineswegs nur die sogenannten unteren Schichten, sondern im Gegenteil gerade die »Gebildeten« bis in die Kreise der führenden Tagesschriftsteller, oberen Beamten und Hoch schullehrer hinein, deren Sprachgebrauch diesen erschreckenden Verfall des Sprachgefühls am deutlichsten erkennen läßt. Einige aus dem Sprachleben unserer Tage gegriffene Beispiele, die jeder aus seiner täglichen Erfahrung leicht vermehren kann, mögen diesen Zustand völliger Zerfahrenheit und die Fülle der Zweifelsfälle im heutigen Sprachleben wenigstens andeuten. Heißt in »richtigem« Deutsch die Mehrzahl von »Licht«: »Lichte« oder »Lichter«? Sagt und schreibt man besser: »Elbeschi-ffahrt« oder »Elbschiffahrt«? »Pressefreiheit« oder »Preßfreiheit«? »Speisen karte« oder »Speisekarte«? »Lichtweite« oder »Lichte Weite«? »Tot sicher«, »totensicher« oder »todsicher«? »Erbschaftsteuer« oder »Erb schaftssteuer«? »Fränkin« oder »Fränkin«? »Rote-Kreuzschwester« oder »Rotkreuzschwester«? »Mühlhausener« oder »Mühlhäuser«? »Pfefferling« oder »Pfifferling«, »Gerstesuppe« oder »Gersten suppe«? »Der« oder »die« Schneid? »Eine« Hehl oder »ein« Hehl aus etwas machen? »Kohlehydrat« oder »Kohlenhydrat«? »Gast wirteverband« oder »Gastwirtsverband«? »Bayernland« oder »Bayerland«? »Erlasse« oder »Erlässe«? »Saarbrückener« oder »Saarbrücker« Kohlengebiet? »Völkerbundrat« oder »Völkerbunds rat«? »Auslanddeutscher« oder »Auslandsdeutscher«? »Schiebe fenster« oder »Schubfenster«? »Ausnahmelos« oder »ausnahmslos« »Trotz des schlechten Wetters« oder »trotz dem schlechten Wetter«, »gemäß des Befehls« oder »gemäß dem Befehl«, »nahe des Ortes« oder »nahe dem Orte«, »Treu des Eides« oder »Treu dem Eid«? »Wir Deutsche« oder »Wir Deutschen«? »Badensche« oder »Badische« Straße? Besteht ein Unterschied der Bedeutung zwischen »sie stän den« und »sie stünden«, zwischen »scheinbar« und »anscheinend«, zwi schen »eindeutig« und »unzweideutig«, zwischen »parteilich« und »par teiisch«, zwischen »fremdsprachig« und »fremdsprachlich«, zwischen »sonntägig« und »sonntäglich«, zwischen »Freispruch« mHd »Freispre chung«, zwischen »Vorlegung« und »Vorlage«, zwischen »in Berlin« und »zu Berlin«, zwischen »Weggehen« und »fortgeh-en«? Man sieht, schon diese, auf wenige immer wiederkehrende Bei spiele beschränkte, dem Sprachgebrauch hoher Ämter und angesehener Schriftsteller jeder Art entnommene Liste zeigt eine hübsche Muster karte von Fällen, in denen unsere heutige Sprache Uneinheitlichkeit, Unsicherheit und Unfestigkeit, vielfach aber auch die Herrschaft des »Falschen« in Bezug auf Form, Bedeutung, (^schlecht und Ver bindungsweise unserer Wörter aufweist; und dabet sind ganze Massenerscheinungcn heutigen schlechten Sprachgebrauchs, wie etwa die immer mehr einreißende unberechtigte Weglassung des Ge schlechtsworts, noch nicht einmal darin erwähnt. Auch liegen hier zumeist Fälle vor, in denen der »richtige« Sprachgebrauch früher all gemein üblich war und erst neuerdings mehr und mehr durch einen »falschen« verdrängt wurde; es gibt aber auch Fälle, in denen wir einen als »richtig« anerkannten Sprachgebrauch noch gar nicht ge schaffen haben: Heißt z. B. die Mehrzahl von »der Hindu« »die Hindu« oder »die Hindus«? Bei einer solchen Sachlage kann wahr lich nicht bestritten werden, daß es ein Segen wäre, wenn, auf welche Weise immer, in diesem Wirrwarr Ordnung geschaffen würde; ja man wird sich kaum der Erkenntnis verschließen können, daß wir heute sehr froh sein dürften, wenn durch eine besonnene Regelung schon vor Jahrhunderten der nicht erst seit heute bestehenden, wenn auch heute immer unerträglicher werdenden Ordnungslosigieit der deutschen Sprache gesteuert worden wäre. Nun gibt es bekanntlich Leute, die den Standpunkt vertreten, es gebe in sprachlichen Dingen überhaupt keinen Unterschied zwischen »Nichtig« und »Falsch« oder zwischen »Gut« und »Schlecht«; alle sprachlichen Bildungen hätten — was niemand bestreitet — irgend einen Grund und seien darum gleichberechtigt; jeder Versuch, regelnd in das Sprachleben zu Gunsten des »guten* und zu Ungunsten jedes »schlechten« Sprachgebrauchs einzugreifen, sei darum von vornherein zu verwerfen. Das ist in der Tat ein Standpunkt, den man sprach lichen Dingen gegenüber einnehmen kann, und manche Leute halten ihn für den wissenschaftlichen. Er hat nur leider einen großen Haken: wenn die Sprache eines viele Millionen um fassenden, zahlreiche Mundarten und Sonderge bräuche enthaltenden Volkes nach diesem Gesichts punkt behandelt wird, so zerfällt sie; wenn man diesen Standpunkt bis in seine letzten Folgen vertreten wollte, so wäre jede feste sprachliche Gesetzmäßigkeit aufgehoben und jede Willkür im Sprachgebrauch möglich, so märe überhaupt eine sprach liche Verständigung nicht mehr möglich. Jeder würde dann zum andern in einer fremden Sprache sprechen. Natürlich meinen das die erwähnten Leute auch nicht; sie meinen, wenn man sie genauer be fragt, zumeist nur, daß es außer den Regeln auch eine gewisse sprachliche Freiheit geben müsse. Das wird kein Vernünftiger be streiten, um so weniger als in unseren Sprachlehren die sprach lichen Regeln und Gesetzmäßigkeiten vielfach zu eng und allzu »dogmatisch« gefaßt sind; aber die Möglichkeit, sprachliche Regeln und Gesetze unter bestimmtem Zwang zu durchbrechen, was unter Umständen zur Bereicherung einer Sprache dienen und ihr so dauernden Gewinn bringen kann, ändert nichts daran, daß unbegründete Verletzungen sinnvoller sprachlicher Regeln und Gesetzmäßigkeiten als »Fehler« anzusehen sind; und so sehen wir denn auch in allen älteren und neueren Sprachen Regeln und Gesetze walten und als solche anerkannt; sollte allein die deutsche Sprache ohne solche bestehen können? Tatsächlich liegen in der heutigen deutschen Sprache die Dinge so, daß diese mit Notwendigkeit untergehen und, ähnlich wie das Latei nische, in die verschiedenen romanischen Sprachen, in eine Reihe von Einzelsprachen zerfallen müßte, wenn nicht gegenüber der Richtung zu Auflösung und Zerfall noch starke einigende Gegenkräfte vor handen wären; sie liegen in dem überlieferten Besitz an Formen und Regeln und dem Willen weiter Kreise, an diesen festzuhalten; unter diesen stehen die am Buche interessierten Kreise zweifellos mit an erster Stelle. Diese Kräfte sind stark genug, den völligen Zerfall unserer Sprache zu verhindern; die immer mehr um sich greifende Verwirrung im Sprachleben mit all ihren nachteiligen Folgen hint anzuhalten, vermögen aber sie allein nicht; das vermag nur eine »von den besten Sprachwissenschaftlern« fortdauernd ausgeübte regelnde Einflußnahme auf den deutschen Sprachgebrauch. »Um Gottes willen«! hört man manche Leute rufen; »das fehlte gerade noch! Sollen die Bürokraten auch noch über unsere arme deutsche Sprache kommen — Leute, die doch längst gezeigt haben, daß sie eine natürliche, volkstümliche Sprache gar nicht mehr kennen und von denen höchstens zu erwarten ist, daß sie die bisherige freie und uneingeschränkte Sprache der Deutschen genau so steif, so hölzern und zopfig machen werden wie ihr berüchtigtes Amtsdeutsch! Seht euch doch ihre Erlässe und Verordnungen an — einer papierener als der andere, statt Vorbildes guter Sprache ein abschreckendes Beispiel! Nein, wenn ihr unserer Sprache einen wahrhaften Dienst erweisen wollt, so laßt sie vor allem von jeder Bevormundung ungeschoren!« Gemach. Niemand, der einer bewußten Pflege der deutschen Sprache das Wort redet, denkt daran, dem einzelnen Deutschen über seinen Sprachgebrauch Zwangsvorschriften machen zu wollen; der einzelne Deutsche mag so gut oder so schlecht schreiben wie er will, sie sauber deutsch halten oder fremdwörteln nach Herzenslust — nie mand wird ihm auch nur im geringsten darein reden oder gar einem solchen Sünder die Sprachpolizei auf den Hals schicken wollen. Der regelnde Einfluß, der durch eine regelnde Behörde dieser Art auf die weitere Öffentlichkeit ausgeübt würde, könnte vielmehr nur ein mittelbarer sein; unmittelbar würde von ihm nur der Sprach- 825
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder