Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 26.04.1930

X° 96. 26. April 1930. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. ö.Dtschn. Buchhandel. Den umfassendsten, deshalb noch keineswegs immer sorgfältig sten Überblick über das Wesentliche und Bedeutsamste innerhalb der Bllcherproduktion der letzten zwei Jahre gibt der »Literarische Jahresbericht des Dürerbundes«, nunmehr vorliegend im 18. Jahrgang, herausgegeben vom Sieben Stäbe-Verlag, Berlin (160 S., Preis 6 NM.). Er ist bearbeitet von zahlreichen Sach kennern, darunter Fritz Kaphahn, Negierungsrat im Sächsischen Ministerium für Volksbildung. Die Eigenart des Literaturführers besteht darin, daß er die Neuerscheinungen besonders des letzten Jahres zusammenhängend in Form von einzelnen Aufsätzen be handelt, die sich in erstaunlich viele Gebiete sondern: es ist darin berücksichtigt z. B. »Der Deutsche Roman« nach seinen verschiedenen Gattungen, das skandinavische, englische, romanische, russische, öst liche Schrifttum, soweit es in deutschen Übersetzungen vorliegt oder in deutscher Sprache geschrieben ist. — Sonderbarerweise fehlt das amerikanische Schrifttum! — Es sind fast sämtliche Wissensgebiete vertreten, vor allem die Geisteswissenschaften und die Soztalwissen- schaftcn; der Mangel des Literaturführers liegt in der Fülle der Darbietung, die dem Uneingeweihten die Auswahl oft erschwert. Auch ließen sich einseitige Urteile nicht vermeiden: mancher Leser gelangt oft schneller zum Ziel durch weltanschaulich gebundene Literatursührer, die von evangelischer, katholischer und sozialistischer Seite vorliegen. Von evangelischer Seite erscheint im Eckart-Verlag, Ber lin, der »Eckart-Ratgeber, ein Führer durch das Schrifttum der Gegenwart« nun schon im vierten Jahr und ist bestimmt für den geistig-beweglichen Laien, der nicht bloß an den Fragen der Kirche und an den Fragen evangelischer Weltanschauung und Lebensgestaltung interessiert ist, sondern auch an Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaft, Schöner Literatur, Geschichte und Kunst. Dem Laienspiel und der Bühne und insbesondere der Presse und der öffentlichen Meinung sind besondere Abschnitte gewidmet. Allen Büchergruppen gehen kurze Einleitungen voran; die Auseinander setzungen mit den neuerschiencnen Büchern füllen oft halbe Seiten. Mitarbeiter sind Pfarrer, Lehrer, Universitätsprofessoren. Der Preis beträgt 5.50 NM. für 264 Seiten. — Von katholischer Seite ist ein ganz ähnlicher Literatursührer, durch 25 Jahre längst bewährt, im Verlage Josef Kösel L Friedrich Pustet in München aufs neue herausgekommen (128 S., Preis 1.60 NM.). Er führt den Titel »Literarischer Ratgeber für die Katho liken Deutschlands«. Mitarbeiter sind nach wie vor namhafte Sach- und Fachkenner. Die Auswahl erfolgt nach dem Grundsatz, der im Vorwort so ausgedrückt ist: »Der Ratgeber ist eben kein Weihnachtskatalog, der sich mehr oder minder mit der Empfehlung der letzten Neuigkeiten begnügt, sondern ein nach kritischen Grund sätzen bestimmtes und systematisches Jahrbuch, das auf sorgsamster Arbeit der Referenten beruht und nicht durch den Zwang über eilter Kritik gefährdet werden darf.« Das Katholische des litera rischen Ratgebers zeigt s'.ch — was jedermanns gutes Recht ist — in der Art der häufig ausführlichen Bücherbesprechungen, nicht so sehr in der Bücherauswahl selbst, im Gegenteil, wir finden hierin volle Aufgeschlossenheit gegenüber dem Leben: Stehr, Arnold Zweig, Ringelnatz, Upton Sinclair, protestantische, sozialistische, kommuni stische Autoren sind vom katholisch weltanschaulichen Standpunkt aus beurteilt. Alle Interessengebiete sind berücksichtigt für ein weiteres Publikum: die inländische und ausländische Literatur, Theater, Drama, Lyrik, Jugendschriften, Kunst; vorwiegend für Fachleute die Abteilungen Philosophie, Religion, Erziehung, Sozialwissen schaft u. dgl. Wer einen Überblick über die lebendige sozialistische Lite ratur sucht, findet sie zusammengestellt in dem Verzeichnis »Bücher d e r S. P. D.« (zuletzt 1928). Das Verzeichnis ist kein Verlagskatalog, es faßt die Arbeit der sozialistischen Verleger unter bildungspfleg lichen Gesichtspunkten zusammen, bietet nur die beste wegweisende sozialistische Literatur und umfaßt auch Hygiene, Wohlfahrtspflege, Arbeiter-, Jugend-, Sport- und Kulturbewegung. Die Bücher sind zwar ohne Besprechungen aufgeführt; dafür enthält das Verzeichnis aber ein ausführliches Schlag- und Stichwortverzeichnis, das er möglicht, die einschlägige Literatur zu den verschiedensten Fragen und Gebieten mühelos zu finden. Das Verzeichnis ist bei I. H. W. Dietz Nachf., Berlin, erschienen und kostet nur 75 Pfg. — Von kommunistischer Seite gibt es einen kleinen Literaturführer von 24 Seiten, der die beste kommunistische Literatur mit Bücher charakteristiken zusammenfaßt, betitelt »Das Buch des Arbei ters«, erschienen im Internationalen Arbeiter-Verlag. Er gliedert sich unter anderm in Werke zur Zeitgeschichte, zur Theorie des Marxismus und Leninismus, zum Kampf und Aufbau in der Sowjetunion, Bücher für die werktätige Frau, Arbeiterjugend, und Romane. — Der von der Zentralstelle für volkstümliches Bücherei wesen in Leipzig für 2 RM. herausgegebene Literaturführer »Die Welt des Sozialismus« (1927) ist mit seinen Büchcrbespre- chungen und Kapiteleinleitungen fast ein Buch zur »Geschichte desSozia- ltsmus«, erblickt also seine Ausgabe darin, »zu den Quellen zurück zuführen«, die repräsentativen Vertreter einer bestimmten, für das Schicksal unserer Kultur bedeutungsvollen Geistesrichtung für ihre Freunde und Gegner sprechen zu lassen (der Katalog dient aber besonders dem jüngeren Arbeiter, der an einem Parteikursus oder einer Volkshochschule teilnimmt). — Praktischer gehalten ist der »Sozialistische Literatursührer«, der vom Neichsaus- schuß für sozialistische Bildungsarbeit (I. H. W. Dietz Nachf., Berlin) herausgegebcn ist und nunmehr im 3. Jahrgang vorliegt. Dieser »Sozialistische Literaturführer« faßt die in der »Sozialistischen Bücherwarte« — späteren »Sozialistischen Bildung« — erschienenen Leitaufsätze von ausgezeichneten Sachkennern in Form eines -»Jahr buches« zusammen und behandelt, also mit verbindendem Text, in kritischer Weise die grundlegenden neuesten Bücher besonders auf den Gebieten: Gesellschafts- und Sozialwissenschaften, Wirtschaft, Recht und Politik, aber auch Gebiete wie Völkerkunde, Entwicklungs lehre, Geschichte, Dichtung, bildende Kunst sind vertreten. Wie in einem der zu nennenden Verzeichnisse gesagt ist: »Das Leben stellt heute an fast jede Frau so starke Anforderungen, das neue Staatswesen verleiht ihr so große Rechte und Pflichten, daß sie in ihrem eigenen Interesse versuchen muß, in die sozialen und politischen Fragen unserer Zeit einzudringen.« Für die Frau gibt es zwei Literatursührer. Der eine betitelt sich »Die Bücherei der Frau« und ist im Verlage Leopold Klotz, Gotha, für den Preis von 75 Pfg. erschienen (zuletzt 1930). An dieser Zusammenstel lung haben die führenden Frauenverbände Deutschlands mitgearbettet, vom Standpunkte verschiedenster Weltanschauungen und Berufskreise. So ist ein besprechendes Bücherverzeichnis von 100 Seiten ent standen, teils Neuerscheinungen behandelnd, teils früher erschienene Werke auswählend, reichhaltig gegliedert, kurz charakterisiert, be sonders die Neuerscheinungen. Beide Teile berücksichtigen Romane und Erzählungen, daneben besonders Lebenserinnerungen von Frauen, Geschichte u. dgl. Wie der Kenner auf den ersten Blick sicht, ist an der Güte der Auswahl nur selten zu zweifeln, auch Übertreffen die verantwortlich gezeichneten Büchercharakteristiken das sonst übliche Niveau. Wenn aber dieser Katalog ein »Spiegelbild der Wandlung« geben will, »in der sich Mensch und Zeit heute mehr als je befindet«, so hätte er vielleicht die praktischen Lebensinter essen der modernen Frau (soziale Fragen, Erziehung, Hygiene u. dgl.) noch mehr berücksichtigen können auf Kosten anderer Ge biete, denn der Literaturführer ist reichhaltig genug, fast zu reich haltig, um jedem zu ermöglichen, das grade für ihn geeignete Buch herauszusinden. — In dieser Hinsicht (in der Beschränkung auf das Wesentliche) bildet der von der Zentralstelle für volkstümliches BUchereiwesen in Leipzig herausgegebene Katalog »Frauen - büche r« eine wertvolle Ergänzung (1929). Er enthält hauptsächlich »Praktische Bücher zur Haushaltsführung und zur Gestaltung des Familienlebens« und Bücher über das Thema »Die Frau und das öffentliche Leben«, und nur der erste gleichsam einleitende Teil be handelt die Problematik des heutigen Familienlebens, das Liebes und Eheleben in einer vorzüglichen Auswahl von Romanen und Erzählungen. Wahrlich, man kann dieser Zusammenstellung von »Frauenbttchern« keine dem Leben und den Aufgaben der Zeit ab gewandte Gesinnung Vorhalten. Dennoch sahen sich die Bearbei terinnen — in dem Nachwort — zu dem Geständnis bewogen, »daß die Auswahl der Bücher von einer bestimmten Grundhaltung aus geschehen ist«. Sie sind nämlich des Glaubens, »daß über den Er fordernissen und Aufgaben unserer Zeit die dauernden Werte des menschlichen Lebens und insbesondere des Lebens der Frau nicht vergessen werden dürfen und daß das Neue und Kommende sich nur dann gesund entfalten kann, wenn es zugleich aus den besten und tiefsten Kräften der bisherigen Kultur gespeist wird«. Sei dem, wie ihm wolle: Dieses Bücherverzeichnis aus dem Lebens- und Aufgabenkreise der Frau dürfte schon deswegen einzigartig sein, weil es in vieljähriger Erfahrung im Umgänge mit den Lesern der Volksbücherei entstanden ist. Es ist zu beziehen durch die Zentral stelle für volkstümliches Büchereiwesen in Leipzig für den Preis von 2 RM. Unter den von Volksbüchereien bearbeiteten Literaturführern, die alle Gebiete behandeln, nenne ich das Bücherverzeichnis, das die Zentrale für Nordmarkbüchereien in Flensburg 1928 unter dem Titel »Aus Menschenschicksal und Völkergeschichte« herausgab (Preis 2 NM.). Der Literaturführer umfaßt die großen Interessensphären: Heimat und ferne Länder, Natur und Kunst, Staat und Wirtschaft, Lebensanschauung und Lebenspraxis. Er enthält grundlegende und allgemeinverständliche Werke für erste und ernste Beschäftigung mit den verschiedenen Wissensgebieten. Wer sich mit den Grundlagen des Staats und der Politik beschäftigt, 389