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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 15.02.1934
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- 1934-02-15
- Erscheinungsdatum
- 15.02.1934
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- Deutsch
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X- 39, IS. Februar 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn Buchhandel. unter denen, die beschenkt worden sind. Die Entwicklung der Zeit hat freilich dem deutschen Buchhändler immer weniger Zeit ge lassen, so zu lesen und die Schätze seines eigenen Lagers so zu genießen, wie seine Liebe zum Buch, das Grundgefühl seines Be rufes, es eigentlich verlangt. Immer größer wurden die wirt schaftlichen Sorgen, immer drängender die rein mechanischen und wirtschaftlichen Erfordernisse seiner Tätigkeit, immer umfang reicher auch die Fülle des Schrifttums, das er zu betreuen hat. Es können verhältnismäßig wenige Bücher sein, die ihm wirklich zum eigenen Erlebnis tvcrden. Aber zu diesen wenigen hat stets das Werk Hermann Stchrs gehört, das zu lesen ihm unerläßlich schien, das er immer wieder zur eigenen Lektüre aus dem Stapel der jährlichen Neuerscheinungen herausgrisf. lind cs gehört zum Schönsten, was man dem Dichter an diesem Tage sagen kann, daß die natürlichen Schranken zwischen den Generationen vor seinem Werke haltgemacht haben. Das Verständnis für Stehr ist nicht an die innere Haltung nur einer Generation gebunden, es gehört uns allen, Jungen und Alten, wir alle sind von seinen, Werk er griffen worden. Fragen wir, was es denn mit diesem Werke auf sich hat, worin der Zauber begründet liegt, der uns in seinen Bann schlägt, so scheint mir zweierlei gesagt werden zu müssen. Einmal ist es die Kraft der landschaftlichen Bindung, die so ungewöhnlich rein und überzeugend in dein Schaffen dieses Dichters zum Ausdruck kommt. Ich meine, daß das Wort von der Landfchastsdichtung, von der erdhaflen Dichtung heute Gefahr läuft, eine allzu gän gige Münze zu werden. Es scheint, als ob sich nach der Ver femung aller großstädtischen Dekadenz in der Dichtung alles Mittelmäßige verschworen hätte, das Lied der Erde zu singen. Es riecht allzuoft nach offener Konjunkturhaschcrci, was uns die letzte Zeit an solchen »Erzeugnissen« (im wahren Sinne des Wor tes) gebracht hat. Gott behüte die deutsche Dichtung doch vor solchen, die in beängstigender Geschäftigkeit dichterische Themen zur Ware erniedrigen und je nach der geistigen Börsenlage zu Vorzugspreisen anbicten. In der Zeit freilich, in der die tiefe Wertschätzung der gesunden Verwurzelung unseres Volkes in Heimat und Erde noch nicht zu den grundlegenden Gesetzen un seres nationalen Lebens gehörte, sondern man kämpfen mußte gegen das erschreckende Vordringen der Mißachtung des Landes, des Bauerntums, der schlichten Menschen des offenen Landes, da waren jene nicht so eifrig und geschäftig am Werke, wie sie cs jetzt sind. Damals aber war Hermann Stehr unter den ganz wenigen, die nicht dem Zuge ihrer dichterischen Zeitgenossen folg ten, sondern unbeirrt in ihrem Schaffen deutlich machten, daß die Loslösung von den Bindungen der Heimat und des landschaft gebundenen Menschentums die eigentliche Quelle seelischer Not und auch materieller Zerrüttung ist. Viele, die es nötig haben, suchen heute darzutun, daß sie im Grunde ihres edlen Herzens schon vor Jahrzehnten gute Nationalsozialisten gewesen sind. Stehr hat es nicht nötig, das darzutun, er hat o h n c Z w e i s e l einen Kernsatz des nationalsozialistischen Kampfes gegen den Klafsenkampf und die geistige und materielle Verelendung der schaffenden Volksmassen schon in seinen frühesten Dichtungen vor- weggenommen. Es ehrt ihn, daß er schon als junger Mensch in sozialistischer Empörung gegen eine staatliche Ordnung und die von ihr bestimmte Entwicklungsrichtung des Volkslebens aufstand, die in völliger Verkennung der echten Bedürfnisse der arbeiten den Massen gedankenlos oder vorschrittsgläubig eine Nation der Katastrophe cntgegensührte. Aber sein Protest wurde weder zu reiner Verneinung und bloßer Untcrwühlung des Bestehenden noch zu utopischer, lebensfremder Programmacherei. Sein Pro test bestand in dem leidenschaftlichen Ruse, das Wesen boden ständigen Menschentums zurückzugewinnen, das nur aus ge sunder Arbeit in den sicheren Bindungen heimatlichen Brauch tums und landschaftlicher Erfordernisse Kraft gewinnen kann. Für Stehr ist die Liebe zur Erde, zum Bauern und Handwerker, zum kleinen Mann des Volkes niemals ein »schönes- Gefühl ge wesen, eine romantische Geste, sondern die tragende Grunder- kcnntnis, von der eigenes wie volklichcs Geschick abhängt. 146 Das ist das eine. Zum andern aber liegt die Größe und Tiefenwirkung des Dichters in der Gewalt, mit der er zur Be sinnung und Läuterung des Menschen selbst aufzurüttcln weiß. Es sei denn, daß der Mensch vernichtet und neugeboren werde, so wird er nicht der Gnade des Lebens und des Himmels teilhaftig werden, — das ist der immer wiederkehrcnde, unumgängliche Wendepunkt des Entwicklungsweges all der Gestalten, die Stehr an uns vorüberziehen läßt. Was die Generation des Krieges, des Nachkriegcs und der nationalsozialistischen Revolution dem ster benden Liberalismus vorzuwerfen hat, ist die Ausrichtung alles Lebendigen nach dem Phantom beständigen Fortschritts und, das ist noch wesentlicher, die Selbsttäuschung über den Wert mate rieller und seelischer Sicherheit. Wir wissen, daß nichts mit so tödlicher Unfruchtbarkeit das Persönliche Sein und die Existenz des Volkes unterhöhlt wie das Bemühen, sich in Sicherheit wiegen zu können. Hier setzt Stehr mit der Gewalt einer revolutionären Religiosität ein. Er stürzt die scheinbar Sicheren in die Hölle der schrecklichen Gesichte, er schreitet den vollen Kreis menschlicher Schuld aus, mit einer Ehrlichkeit ohnegleichen reißt er dem Jahr hundert des Liberalismus und seinen Menschen die Maske vom Gesicht. In keinem dichterischen Werk der Gegenwart wird mit solch ungemildertcr Härte als Schuld und Quelle immer neuer Schuld enthüllt, wo in der Tat der entscheidende Grund unserer unseligen inneren Verwirrung zu suchen ist. In jedem Menschen liegt das Erbe eines reinen Nrinstinktcs, einer Reinheit des Her zens, die ihn Gott nahe hält und von der aus er überhaupt nur die Möglichkeit des Lebens empfangen kann. Um sie zu be wahren, gilt es, immer wieder zu ihr zurückzukehren, wenn die wesentlichen Entscheidungen fallen. Eine Entscheidung ohne dieses Befragen des Urinstinktcs, ohne dieses Brückenschlägen zum Sein der Väter, ihrem Brauchtum und ihrer Frömmigkeit, und zum Sein der Landschaft, aus der inan geboren ist, eine Entscheidung ohne diese immer erneute Rückkehr zum Kern unserer Lebens kraft ist wie ein Fluch, der uns von Klippe zu Klippe stürzen läßt. Aber das ist das Große und Helfende in der Weltauffassung Hermann Stehrs, daß er die Vernichtung des Menschen nicht hcrbeiführt, um die Welt mißachten zu lernen und aus die Freu den eines jenseitigen Paradieses zu warten. Auch läßt er den Gott nicht als den außerhalb der Welt stehenden Richter sprechen. Stehr ist der Landsmann des Angelus Silesius, der den Gott in uns spürte und der uns in die Wesenhaftigkeit der ir dischen Dinge führte, nicht aus ihnen heraus, nicht von ihnen hinweg. Die Besinnung auf uns selbst, das Schuldbekenntnis vor uns selbst, das läßt uns wiedergewinncn Kraft und wesentliche Aufgaben dieser Welt. Es geht darum, daß wir der Erde treu bleiben, weil sie von Gott gemacht ist, weil wir von ihm in sic hineingestellt wurden. Wie ein Krieg von so ungeheurem Aus maß die entscheidende Erschütterung unseres Volkes wurde, um uns aus der tödlichen Krankheit einer zum Untergang ver urteilten Epoche herauszureißen, wie es die Männer waren, die durch die Hölle dieses Krieges gehen mußten, um nun der inne ren Erneuerung unseres Volkes zum Durchbruch zu verhelfen, so ist es auch der Sinn dieser Erschütterungen, mit denen uns das Schaffen Hermann Stehrs packt und aufrüttclt, daß sie die innere, wcsenhafte Erneuerung des deutschen Menschen herbeisühren wollen. Das Schassen Hermann Stehrs, wie es sich im Lause seiner Entwicklung aufgebaut hat und nun, an seinem 70. Geburtstag noch keineswegs abgeschlossen, in lebendigem Fluß mitten unter uns wirkt, ist nichts als ein unbeirrbares Arbeiten an der Seele Deutschlands. Noch sind wir nicht am Ende des schmerzvollen Erneuerungsweges, aber solange eine solche Dich tung unter uns lebendig bleibt, so lange lebt in uns die Kraft, wieder uns selbst zu gewinnen als ein Volk, das fest auf seiner Erde steht, fleißig und treu, kühn und fromm, seinem Erbe und seiner Zukunft verantwortlich, tief, fruchtbar und groß. Hermann Stehr ist Dichter des deutschen Volkes. Or. G u n t h e r H a u p t.
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