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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 25.07.1933
- Strukturtyp
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- 1933-07-25
- Erscheinungsdatum
- 25.07.1933
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- Deutsch
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170, 25. Juli 1033. Redaktioneller Teil B»rI-nil->,I s. b.DIschn. Buchhand,l. Der schöngeistige Verlag und die Lage. Von Ado^f Spemann in Firma I. Engelhorns Nachf., Stuttgart. Nachstehende Ausführungen wollen die Denkschrift des Herrn Walther Jäh in Nummer 141 des Börsenblattes (»Ge danken, Wünsche und Forderungen des deutschen Verlags zum Sofortprogramm des deutschen Buchhandels«) von der Seite des schöngeistigen Verlags aus ergänzen. Die heute trostlose Lage des gesamten schöngeistigen Verlags wäre vielleicht besser, wenn er nicht von jeher aus Angst vor der Konkurrenz vermieden hätte, manche Dinge offen auszusprechen. Wenn wir nun hier von dieser Gewohnheit des schöngeistigen Verlags abweichen, so sind wir uns bewußt, daß wir dabei manches sagen müsse», was nicht allen Ohren angenehm klingen wird; aber ohne eine Mitleidlose Dia gnose ist keine richtige Therapie möglich. Vor allem wollen wir also einmal schamhaft behütete »offene Geheimnisse« laut benen nen, doch scheuen wir uns auch nicht, manche schon öfter gesagten Dinge, die im Grunde Binsenwahrheiten sind, zu wiederholen, weil sie gar nicht oft genug gesagt werden können und zum Bild des Ganzen gehören. Wir untersuchen zunächst die wichtigsten Ursachen der heutigen Lage im schöngeistigen Verlag und machen dann Vor schläge zur Besserung. Die Ursachen. 1. Es wird weniger gelesen als früher. Zum Lesen steht jedem Menschen ein bestimmtes Maß von Zeit am Tag zur Verfügung, die er außerhalb seiner Arbeit seiner Bildung, Erhebung, Entspan nung oder Unterhaltung widmet. Diese Zeit wird je nach Veran lagung auf die dem Menschen innerlich am nächsten liegende Tätig keit verwendet. Seit dem Kriege sind nun drei Faktoren neu auf getreten, die herrisch einen Teil dieser Zeit für sich bean spruchen und dem Buch entziehen, nämlich der Sport, das Kino und das Radio. Ganz zweifellos wird ein großer Teil der Zeit, die früher dein Buch gewidmet wurde, heute auf diese drei Dinge verwendet, und es hat gar keinen Zweck, davor die Augen zu verschließen, denn diese Entwicklung läßt sich nicht rückgängig machen. Jede Betätigung schasst aber Gewohnheiten und verändert auf die Dauer die Bedürfnisse: der Sport an sich und das damit verbundene neu erwachte Körpergesühl hat die Neigung, den Geist und die Beschäftigung mit geistigen Dingen außer Kurs zu setzen. Es ist lediglich eine Sage, der deutsche Wanderer, Skimann oder Paddler führe im Rucksack den »Faust», Storms »Jmmensce« oder Rilkes Gedichte mit sich, und wer Stun den und Aberstunden im Luftbad verdöst, liest dabei nicht den »Paracelsus« von Kolbenheyer. Die gemeinsame Eigenschaft von Kino und Radio ist außerdem die, daß sie mit optischen und mit akustischen Mitteln einen Genuß vermitteln, der bei völliger gei stiger Untätigkeit des Ausnehmenden zustande kommt; Lesen da gegen erfordert immerhin noch eine etwas stärkere geistige An strengung als Film und Radio, auch bei der leichtesten Unterhal tungslektüre. Aus diese Weise wird allmählich das Gehirn zum Erschlaffen gebracht; die Belehrung und Unterhaltung überfließt den Ausnehmenden wie eine warme Dusche, bei der er außerdem nach Belieben den Hahn zudrehen kann. Gerade diese letztere Eigenschaft des Radios wirkt sich aus die Dauer auf die geistige Verfassung der Hörer verheerend aus; es ist ja so unendlich ver führerisch, sofort abdrehen oder weiterdrehen zu können, wenn eine Sache langwellig wird oder einen ärgert. Und gerade die Begü terten, die in der Lage sind, sich einen Empfänger mit großer Reichweite zu leisten, erliegen der Gefahr, immer nur einige Mi nuten eine Sendestation zu hören und dann zur nächsten weiter- zugleitcn. So wechseln dann zwei Sätze aus einem Bericht über die Gleichschaltung mit einem Satz aus einer Vorlesung von Rudolf G. Binding; gleich darauf folgt der 20. bis 30. Takt des Meistersinger-Vorspiels, und daran schließen sich zwanglos ein Marsch, die Tagesmeldungen aus Paris, der Hörbericht vom Sechstagerennen und einige unverständliche Sätze einer öst lichen Sprache an. Man sucht, man dreht, bis man gefunden hat, was einem am besten zusagt; das geistige Schlaraffenland ist Wirk lichkeit geworden. Folge: das Gehirn wird faul, und jeder Wille und jede Fähigkeit zur geistigen Mitarbeit, die auch das eingäng- 544 lichste Buch verlangt, geht verloren. Diese rasche Verwandlung der geistigen Anlage nicht nur unseres Volkes, sondern auch der ganzen Welt durch die Erfindung des Radios ist unseres Wissens noch nie untersucht worden, und sie wäre dies wirklich wert. Wir behaupten also: Wer in großem Stil Sport treibt (wo zu auch alle die verschiedenen Betätigungen des Körpers in freier Natur gerechnet seien), wer regelmäßig ins Kino geht und einen Radio-Apparat besitzt, geht dem Buch verloren; Sport, Kino, Radio sind Feinde des Buches: es gilt und ist möglich, wenig stens die beiden letzteren in Bundesgenossen zu verwandeln. 2. Es wird mehr gelesen, aber weniger gelaust als srüher. Das unter Ziffer 1 Gesagte gilt für die in den Arbeitsprozeß Ein geschalteten und für die dünne heute noch begüterte Oberschicht; diejenigen, die mehr lesen als früher, sind vorwiegend unter den Arbeitslosen zu finden. Folge: Starker Besuch der Bibliotheken, Volksbüchereien und öffentlichen Lesehallen. Man kann nicht den ganzen Tag Radio hören, ins Kino gehen oder Sport treiben, und so benutzt man die Büchereien als bestes und billigstes Mittel, der drückenden Leere zu entgehen, sich weiterzubllden und die Zeit tot- zuschlagen. Auf diese Weise kommt viel neue Bildung ins Volk, aber die Arbeitslosen haben naturgemäß kein Geld, um etwas zu kaufen, sie kommen für den Buchabsatz also kaum in Frage. 3. Konkurrenz der Zeitungen und Zeitschriften. Mit der Be schleunigung unseres Lebenstempos kann die Zeitschrift und die Tageszeitung besser Schritt halten als das Buch; dies ist die Ur sache für deren wachsenden Erfolg in den letzten Jahren. Und wie so häufig verwandelt sich auch hier an einem bestimmten Punkt Wirkung in Ursache: die geistige Haltung des Menschen wird ver ändert; die Leserschaft wird sozusagen kurzatmig und zieht dem langen Atein des Buches die knappen Dosen und die erhöhte Tourenzahl der Presse vor. Dazu kommt vor allem die Welt krise und im besonderen der Sturmschritt der deutschen Revolution: jeder liest so viel mehr Zeitungen und Zeitschriften als früher; man erwartet von jeder Nummer eine wichtige neue politische oder wirtschaftliche Nachricht, eine grundlegende programmatische Formulierung oder eine alles erhellende Deutung. Und wenn nun die Zeitungs- und Zeitschriftenlektüre beendet ist, kommt die De batte im Familienkreis oder am Stammtisch. Väter- und Mönner- weisheit hat wieder wie bei den Heimkriegern edlen Angedenkens ein uferloses Betätigungsfeld. Und so wird der Abend mit kleiner Münze vertan. Kraft und Sammlung für die Versenkung in ein Buch werden zerrieben. 4. Die llbererzcugung. Der Fehler liegt beim Verlag. Wir haben schon vor Jahren in einem in der »Frankfurter Zeitung« erschienenen Artikel »Warum wird zuviel geschrieben?« betont, daß die übercrzeugung allein dem Verleger zur Last zu legen sei. Der Verlag allein hat es in der Hand, die Übererzeugung zu drosseln, aber er muß dann eben auch den Mut haben, den Tat sachen ins Auge zu sehen, die schon seit Jahren erschreckend ver minderte Aufnahmefähigkeit des Marktes berücksichtigen und seine eigene Erzeugung dieser anpassen. Die Übererzeugung äußerte sich zunächst darin, daß eine Unmasse von Büchern verlegt wurde, die die Beziehung zur Gegenwart vermissen ließen. Sie äußerte sich weiter in einer erfindungsarmen, ja oft unwürdigen Doppel macherei; sie äußerte sich in dem reihenweisen Import ausländi schen Schrifttums (es gab immer nur noch »Sämtliche Werke«, niemals »Ausgewählte Werke»). Somit bestand die llbererzeugung zunächst darin, daß viel zu viel Buchtitel herausgebracht wurden. Dabei war treibend zum Teil auch eine Art Großmannssucht: nicht der Wert der Werke, sondern die Zahl der Neuerscheinungen sollte den Konkur renten übertrumpfen — ein würdiges Gegenstück zu dem Wett rennen der Städte in der Nachkriegszeit. Für seine übertriebene Erzeugung fand der Verleger eine ganz schnurrige Entschuldigung darin, daß er sagte: »Wir müssen Neues bringen, denn nur das Neue geht, da die Leserschast immer Neues will«, und er wurde in dieser Meinung bestärkt durch den einmütigen Schrei des Sortimentsbuchhandels: »Was bringt der Verlag Neues?« und durch die übliche Frühjahrs- und Herbstfrage der Presse: »Was für Neuigkeiten bereiten Sie vor? Kein Mensch wollte begreifen, daß hier der Gaul vom Schwanz her aufge zäumt ist: Die Neuigkeilssucht der Leserschaft war doch lediglich
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