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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 20.05.1944
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- 1944-05-20
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- 20.05.1944
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Anion Kippenberg siebzig Jahre am 22. Mai 1944 Von Dr. Annemarie Meiner „Die Insel“ ist heute ein Begriff wie Brockhaus und Reclam; man vergißt darüber leicht, daß hinter ihm ein Mensch steht, der ihn ge bildet hat und an ihm weiterformt. Viele halten Anton Kippenherg für den Gründer des Insel-Verlags, nur wenige wissen, wie weit und welche Umwege er gehen mußte, bis er endlich zur Insel und damit zu seiner eigentlichen Bestimmung kam. So glauben wir, der buchhändlerischen Gesamtheit, besonders ihrer Jugend — nicht zuletzt dem Meister selbst — den besten Dienst zu erweisen, wenn wir an seinem siebzigsten Ce- hurtstag knapp und sachlich seinen huchhändlerischen Werdegang auf zeigen und seine Verdienste um den Stand andeutend umreißen. Die Leistungen des Sammlers, Gelehrten, Dichters und Bibliophilen müssen dabei allerdings übergangen werden; wer eine Prüfung, Wertung und Einordnung der Kippenbergschen Lebensarbeit vermissen sollte, mag sie selbst vornehmen — das Werk liegt ja offen vor aller Augen. Das Gefühl der Berufung, des Geborenseins für eine bestimmte Aufgabe, das große Männer oft von klein auf haben, hier war es nicht da; K. wurde von seinen Eltern zum Buchhändler bestimmt und nahm .das als selbstverständlich. Der Bruder seiner lebenstüchtigen Mutter, die nach dem frühen Tode seines Vaters (1889) mehrfach in seine Ent wicklung entscheidend eingegriffen hat, war Buchhändler, sein um vi de Jahre älterer Halbbruder hatte im Sortiment gelernt; sein Vater, der Gründer und Leiter einer großen Bremer Mädchenschule, stand als er folgreicher Verfasser von Schulbüchern in enger Fühlung mit dem Ver- legertum — es war also so etwas wie eine Tradition da. Wichtiger für die spätere Entwicklung waren jedoch einige Eigenschaften, die ihm in die Wiege gelegt wurden: Vielseitigkeit und „Findigkeit“ und ein von beiden Eltern stammender „praktischer Idealismus“. Wieviel härter waren K.s Berufsanfänge als die unserer in mancher Hinsicht verwöhnten Jugend! Daß er das .Gymnasium mit dem Ein jährigenzeugnis verließ, verstand sich in einer Zeit, da der Buchhandel als ein vorwiegend kaufmännisch-praktischer Beruf galt, und in einer Familie mit neun Kindern von selbst. Ob und was man in der Lehrzeit lernte, hing damals ganz von der Persönlichkeit des Lehrherrn und dein Geist in seinem Betrieb ab, keine Behörde kümmerte sich noch um Wohl und Wehe der jungen Leute. K. hatte Pech. Er konnte nicht wie unsere Jugend aus dem Vollen schöpfen, sondern wurde ausgenütjt und lernte so gut wie nichts; man versteht, daß er mit einer gewissen Bitter keit auf die im Grunde verlorenen Lehrjahre (1890—93 bei der Firma Eduard Hampe in Bremen) zurückblickt. Auch die einundeinviertel- jährige Gehilfenzeit in Lausanne (bei B. Benda) ließ ihn unbefriedigt; was er an beruflicher und geistiger Bildung in seine kurze Volontärzeit hei K. F. Koehler (Kommissionsgeschäft) mitbrachte, hatte er sich zum großen Teil selbst erarbeitet. Auch später, als er in Leipzig Fuß gefaßt und bescheidener Mitarbeiter in dem damals angesehensten und viel seitigsten Verlag Deutschlands war, auch in der ersten Zeit bei Wilhelm Engelmann (1893 98) hat er sich das, was ihm in der Zukunft nützlich wurde, selbst allgeeignet, indem er sich gründlich im Verlag umsah und umhörte und seiner Neigung, zu stöbern und zu entdecken, folgte. Auch bei Engelmann obliegt ihm nur reine Kärrnerarbeit Füh rung der Sortimenterkonten, Vertretung des „Ersten“, Tätigkeit als Sekretär —* sie füllt weder seinen Tag noch sein Inneres ans. So schafft er sich außerhalb des Verlags die Atmosphäre, die er zum Leben braucht, in der Nachbarschaft von Kunst, Wissenschaft und Musik, zwischen Menschen der verschiedensten Berufe, Kreise und Alters stufen. Daneben schreibt er Aufsätze, dichtet, beginnt Goethe zu sammeln. Doch auch dabei wird er nicht glücklich. Hellsichtig erkennt er, daß es so nicht weiterg^hen kann. Sein W'issen ist ungeordnet und Stückwerk, sein Tun Dilettantismus, seine Bildung unvollkommen mit vieruudzwanzig Jahren treibt es ihn zur Universität. Ab’-r er hat ja kein -Abitur! Ist es nicht vielleicht doch klüger, sich als Sortimenter selbständig zu machen? Aus diesen Wirren wird er eines Tages wie von selbst geführt: er erfährt von einer Ausnahmebestimmung, die ihm er möglicht, in Leipzig auch ohne Abitur (als stud. cam.) zu studieren, ja unter gewissen Voraussetjungen zu promovieren, und seine Mutter be stärkt ihn, davon Gebrauch zu machen. Er scheidet am 1. April 1898 bei Engelmann aus und stürzt sich ins Studium der neueren Germanistik, französischen Literatur und Philosophie. Nach einem Jahr greift das Schicksal noch einmal sichtbar zu seinen Gunsten ein: Emmanuel Rei- nicke, sein ehemaliger Chef, bietet ihm die freigewordene Stellung des ersten Gehilfen mit der Aussicht auf Prokura an. Glücklich, endlich auf einer höheren Stufe verlegerischer Tätigkeit neu beginnen zu können, sagt er zu, stellt jedoch die Bedingung, daß ihm die Möglichkeit, sein Studium zu beenden, gegeben wird. Nun folgten heiße, ausgefüllte, alle Kräfte beanspruchende Monate. Auf der einen Seite Herstellung der Verlagswerke und Zeitschriften mit zahlreichen Abbildungen und TafeTn — auf dem Gebiet der Repro duktionstechnik hat K. damals viel für später gelernt, die Verbindung '■’* den Firmen F. H. Jütte und Poeschel & Trepte geht bis in jene Zeit ind Korrekturlesen, das er mit besonderem Eifer betrieb als suchte er das schlechte Deutsch der Autoren zu bessern inhaltung der Sprache zu pflegen); auf der anderen Seite »u... während der Geschäftszeit, Seminare am Abend, Stu dien in der Nacht. Kein Wunder, daß er sich bei der Doppclarbeit überanstrengte. Nach der mit der höchsten Auszeichnung bestandenen Doktorprüfung im Sommer 1901 (seine Dissertation über die Sage vom Herzog von Luxemburg erschien als stattlicher Band bei Engelmann) brach er körperlich zusammen. Er war nun siebenundzwanzig Jahre, die Prokura folgte dem Doktor titel, sein Wirkungskreis erweiterte 6ich — trotj allem fühlte er sich nicht ausgefüllt, noch war es seine lauge Geschäftszeit. Wieder wurde das Leben außerhalb des Verlags sein eigentliches Lehen, es brachte ihm Menschen und geistige Anregung, Goethe trat mehr und mehr in den Mittelpunkt seines Denkens, er sammelte, schrieb, forschte. Daß er sich auf die Dauer nicht mit einem Angestelltendascin begnügen könnte, wurde ihm klar. Sicher hätte K. im wissenschaftlichen Verlag genau so seinen Mann gestanden wie im schöngeistigen, er hätte sich wohl auch als Sortimenter bewährt, auf der akademischen Laufhahn hätte er wohl nicht versagt — wer Energie, Kenntnis und Schöpferkraft, Ziel sicherheit und Liebe zur Arbeit besitjt, wird, wo auch das Schicksal ihn hinstellen mag, e6 zu etwas bringen. Daß K.s Fähigkeiten und Kräfte sich nirgends so rein und voll auswirken konnten wie im schöngeistigen Verlag, davon sind wir heute, im Anblick seines Werks, überzeugt; er erscheint uns als der geborene, als der Typ des schöpferischen Ver legers. Er selbst, wenn er die Summe seines Lebens zieht, wird, der vielen glücklichen Fügungen auf seinem Weg eingedenk, voll Dank sein für den Segen, der seiner Arbeit beschioden war. Es war im Jahre 1903, als der K. befreundete Drucker Carl Ern6t Poeschel vorschlug, als Gesellschafter in den 1899 von den jugendlichen Vettern Alfred Walter Hejmel und Rudolf Alexander Schröder in Ge meinschaft' mit Otto Julius Bierbaum gegründeten und nun völlig her- untcrgewirtschafteten Insel-Verlag einzutreten und ihn gemeinsam zu leiten. Das lockte, endlich mit einunddreißig Jahren! — ein freier unabhängiger Mann! Daß bis dahin alle Tätigkeit mehr oder weniger Kinderspiel gewesen war, daß nun erst der schwere Anfang kam, wie sollte er das wissen? Der Buchbestand, auf dem vielleicht aufgebaut werden konnte, war klein: Ricarda Huch und Rilke (mit den Geschichten vom lieben Gott) waren da, die zwei ersten Bände der Großherzog-Wilhelm-Ernst-Aus- gabe deutscher Klassiker, die Gründer-Dichter und Wilde. Der Verlag stand nicht eben im besten Ruf; um Geld zu machen, hatte der Vor gänger, R. von Pöllnitj, zweifelhafte erotische Literatur aufgenommen. Es war ein zwiespältiges Erbe. Bald zeigte sich, „daß map nicht Drucker und Verleger an einen Wagen spannen“ konnte; iin September 1906 schied Poeschel aus, und seitdem herrscht K. allein auf der Insel. Vier Mitarbeiter in fünf Zimmern — das war der Anfang. Je§t kann man sich eine Vorstellung davon machen, was dazu gehörte, den Verlag erst einmal auf feste, ge sunde Füße zu stellen, wieviel Liebe, Kenntnis und Folge (so sagt K. mit Goethe statt Konsequenz) notwendig waren, um ihn von Grund aus auf- und immer weiter auszubauen, welche Kräfte hier verströmt wurden. Als der erste Weltkrieg ausbrach, war die schwerste Aufbau arbeit vollbracht. K. konnte sich in Brüssel der geistigen Betreuung der IV. Armee und der Herausgabe ihrer Kriegszeitung in Ruhe widmen, hütete doch den Verlag sein ältester und treuester Mitarbeiter, seine Frau. (Es ist viel zu wenig bekannt, daß ihre „Anrede“ in der Festschrift Navigare necesse est (1924) zum Besten und Schönsten gehört, was über den Verleger gesagt worden ist). K.s Verdienste für den Stand alle aufzuzählen, ist wohl überhaupt nicht möglich. Der lebendige und anspruchsvolle Qualitätsbegriff, der heute die Buchherstellung beherrscht, ist von der Insel (und nicht zu vergessen von Diederichs) ausgegangen; das Vorbild des geschmackvollen und preiswerten Gebrauchsbuchs wurde dort aufgestellt. Buchkultur mit der Insel-Bücherei, K.s Lieblingsschöpfung, ins Volk getragen. K. hat uns die Flamen entdeckt (und teilweise ühersetjt), er hat uns Rilke, hat uns Carossa geschenkt, um nur die Größten seiner Autoren zu nen nen. Was er für Goethe getan hat, ist ein Kapitel für sich. Um die Fak simile-Ausgabe und Liebhaberdrucke (Manesse, Deutschlandkarte!) be neidet uns die Welt. In enger Zusammenarbeit mit den Fachleuten, in dem K. unerbittlich immer wieder auf noch sorgfältigerer Ausführung bestand, auch langwierige und kostspielige Versuche nicht scheute, wurde die staunenerregende Treue und Schärfe gegenüber dem Original erreicht (auch bei den starken Verkleinerungen in der Insel-Bücherei); was haben die graphischen Firmen in dieser Zusammenarbeit gelernt! Kein Teilgebiet der Herstellung, dem nicht seine ganze Aufmerksam keit gehörte, auf dem er nicht anregend und befruchtend gewirkt hätte. Er hat mancher neuen Künstlerschrift den Weg bereitet, indem er sie als erster verwendete und die Druckerei zu ihrer Anschaffung ver- anlaßte. Er drang bei den deutschen Fabriken auf Herstellung von Dünndruck- und Alfapapieren, die bisher nur im Ausland angefertigt wurden, er suchte nach den geeigneten Bezugsstoffen für den Einband und erlöste die Überzugpapiere aus ihrem Aschenhrödeldasein. Wer mit ihm arbeitet, weiß, wie eine Linie des Titelblatts, die Festigkeit des Buchrückens ihn beschäftigen, wie kleine Unzulänglichkeiten ihn er zürnen können. Noch ist nichts gesagt über die unermüdliche, unablässige Sorgfalt, die im Verlag dem Text, ja der Sprache aller Veröffentlichungen ge- Börsenbl. f. d. Dt. Buchh. Nr. 39, Sonnabend, den 20. Mai 1944 79
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