IO John Galswort Hy: Der Tod auf dem Lande Kerze flackerte, doch der vollgeräumte, ihr ver traute Raum schien bis auf den Goldfink in sei nem stattlichen Käfig leer. Sie stieß die schmale Pforte auf, die zur Treppe führte, und stieg empor. Oben öffnete sie behutsam die alters schwache Tür, blieb stehn und sah sich um. Auf dem Fensterbrett gegenüber brannte eine Lampe, der niedrige Raum mit der sich senkenden Decke lag halb im Licht, halb im Schatten. Am Fuß des Doppelbetts standen der Arzt und die Dorf- pslegerin und sprachen leise miteinander. In der Fenstcrecke sah Dinny den kleinen alten Gatten der Sterbenden auf einem Stuhl hocken, er hielt die Hände auf den Knien und über sein rot backiges, verhutzeltes Gesicht lief ein leises Zucken und Zittern. Die alte Bäuerin lag zusammen gekrümmt in dem alten Bett; ihr Antlitz war gelb wie Wache, Dinny schien eS, als habe es schon alle Runzeln verloren. Schwacher, raffeln der Atem drang über ihre Lippen, die Augen wa ren nicht ganz geschloffen, sahn jedoch bestimmt nichts mehr. Der Arzt schritt zur Tür. „Morphium", sagte er. „Ich glaube nicht, daß sie nochmals zum Be wußtsein kommt. Um so bester für die arme alte Haut. Wenn sie doch noch einmal erwacht, soll ihr die Schwester sofort noch eine Einspritzung geben. Es läßt sich nichts mehr tun, nur das Ende erleichtern." — „Ich bleibe hier", sagte Dinny. — Der Arzt ergriff ihre Rechte. „Für sie ist eS eine Erlösung. Nehmen Sie sich's nicht so zu Herzen, meine Liebe." — „Der arme alte Venjy!" flüsterte Dimw. — Der Arzt drückte ihr die Hand und stieg die Treppe hinab. Dinny betrat das Zimmer; die Luft war dumpf, sie ließ die Tür weit offen. „Ich werde wachen, Schwester, vielleicht wollen Sie etwas besorgen." Die Pflegerin nickte. In ihrer säu bern, dunkelblauen Tracht und der Haube wirkte sie fast unmenschlich gleichmütig; nur auf der Stirn zeigte sich eine kleine Falte. Die beiden standen nebeneinander und betrachteten das wäch serne Gesicht der alten Frau. „Es gibt nicht viele wie die hier", flüsterte die Schwester plötzlich. „Ich hole mir jetzt einige Sachen, die ich brau chen werde. In weniger als einer halben Stunde bin ich zurück. Nehmen Sic doch Platz, Miß Cherrell, Sie werden sonst zu müde." Als sie fort war, wandte sich Dinny um und trat aus den alten Mann in der Ecke zu. „Venjy!" Er wackelte mit dem Kopf, der einem verschrumpften Apfel glich, und rieb sich die Hände an den Knien. Dinny wollte ihn trösten, brachte aber kein Wort hervor. Sie berührte nur seine Schulter, ging zum Bett zurück und zog den zweiten Holzstuhl heran. Schweigend saß sie da und blickte auf die Lippen der alten Betty, über die noch immer ihr schwacher, raffelnder Atem drang. Ihr war, als sterbe mit ihr der Geist einer längst entschwundenen Epoche. Es mochte ja andere, ebenso alte Leute im Dorf geben, doch sie waren nicht wie die alte Vettn, wie Betty mit ihrem schlichten Sinn und ihrer peinlichen Ordnungsliebe, ihrem Bibellcsen, ihrer Anbäuglichkeit an die Herrschaft, ihrem Stolz auf ihre dreiundachtzig Jahre, aus die Zähne, die sie schon hätte verlieren müssen, und aus ihren guten Ruf; Betty mit ihrer Klugheit, ihrer geschickten Art, den alten Gatten so zu be handeln, als wäre er ihr ungebärdiger Sohn. Der gute, alte Venjy, er war ihr ganz und gar nicht ebenbürtig, doch was sollte der arme Kerl nur allein anfangen? Vielleicht hatte eine seiner Enkelinnen einen Platz für ihn übrig. Diese bei den hatten sieben Kinder aufgezogen, in jener guten alten Zeit, als ein Shilling zum Glück noch so viel wert war wie heute drei, und im Dorf wimmelte es von ihren Nachkommen. Aber wie würden sich die Jungen mit dem kleinen alten Venjy absinden, der noch immer gern her umstritt, brummte und ein Gläschen trank? Wie paßte der in ihre modernere Häuslichkeit? Na, irgendwo würde sich schon ein Winkel für ihn finden. Hier konnte er unmöglich allein wciter- leben. Zwei Alterspfründen für zwei alte Leute waren etwas ganz anderes als eine Pfründe für einen allein. ,Hätte ich nur Geld/ dachte Dinny und: ,Venjy wird den Goldfink sicher nicht ver missen/ Sie wollte ihn mit sich nehmen, füttern und im alten Treibhaus umherflattern lasten, bis er sich ans Fliegen gewöhnt hätte; dann würde sie ihm die Freiheit schenken. Der Alte räusperte sich in seinem dunklen Winkel. Dinny schrak zusammen und beugte sich vor. In ihre Gedanken verloren, batte sie nicht bemerkt, wie schwach jetzt die Atemzüge gingen.