16 „Wohin?" Sie zuckle die Achseln. „Das weiß kein Mensch." Der Herr Landrat und der Herr evan gelische Psarrer seien auch dazu bestimmt. „Ich muß Herrn Leekot sprechen." Das gehe nicht. Er muffe ihn sprechen, und er werde ihn spre chen, er wisse bloß noch nicht, wo er unterge bracht sei. „Im Landgericht." Wo das liege. „Sie kommen nicht hinein, das ist schwer be wacht." „Wo liegt es?" „Im Ordensschloß." Ob er Herrn Wrobel etwas mitnehmcn solle, denn morgen sei er wieder zu Hause. Nun geriet sie in besorgte Bewegung. „Ja, ja, natürlich, was Warmes, er ist ja fort, wie er in der Werkstatt stand." „Warmes haben wir ihm gegeben. Ist sonst noch etwas zu besorgen?" Und nun wurde es schön; denn die früh ge alterte Frau errötete und sagte schamhaft, er solle ihrem Dicken auörichten, daß sie immer an ihn denke, und er solle sich nicht um sie sorgen, das Haus sei bereits von den Insurgenten durchsucht, nun bestehe keine weitere Gefahr mehr. Erfreut nickte er. Und jetzt muffe er etwas essen, sagte sie. „Hm, ja, das ist ein guter Gedanke", erwiderte er und blickte ihr nach, wie sie gleich einem aufmerksamen Kinde davoneilte, um ihn zu bedienen. Drunten in der Stadt wurde schon in manchen Fenstern Licht angezündet. Viel Zeit hatte er nicht mehr zu verlieren. Stehend aß er, und sie mußte mütterlich über ihn lächeln, wie der Lange tüchtig von den großen Butterbroten abbiß, die sie ihm dick mit roter Wurst belegt hatte. Ja, wenn er es wagen wolle, hinter ihrem Gärtchen fließe der Bach, der komme aus dem Burggraben, aber ringsum seien Wachtposten ausgestellt, die sofort auf alles schössen, was sich rege. Es seien schon ein paar verschwunden, und in jeder Nacht werde geschossen. „Und wie komme ich dann weiter?" Von dort könne er leicht zum alten Turm ge langen, in dem sonst die Landstreicher säßen, die etwas angestellt hätten. Aber die seien vom Ar- beitcrrat alle in Freiheit gesetzt. Ob Herr Leskot darinnen sei, das wisse sie nicht. „Lassen Sie es doch lieber bleiben." Davon sei keine Rede. Er knöpfte sich den Rock zu und machte sich fertig. Sic kam dicht zu ihm heran, hob sich feierlich aus die Zehenspitzen und zeichnete ihm drei Kreuze auf die Stirn, über den Mund und auf die Brust. Dann öffnete sie ihm ein wenig die Türe und er schlich davon. Sie schloß sofort, wie er hörte, wie der hinter ihm ab. Über den Zaun ging es rasch; aber dann war alles Finsternis und Nässe. Drum dünkte es ihm am besten, einfach im Wasserlauf zu gehen, so war er sicher, nicht in die Irre zu geraten. Er kroch durch ein Gatter oder so etwas ähnliches und sab nach einer Weile undeutlich über sich mächtige Um rißlinien. Das schien bereits die alte Ordensburg zu sein, in der das Landgericht untergcbracht war. Über sich fand er die Sterne; groß, prachtvoll und zahlreich leuchteten sie. Er tastete höher und höher und hielt inne. „Herr LeSkot", flüsterte er vorsichtig in die Dunkelheit hinein. Niemand gab Antwort. Aber da, im Schatten von etwas Hohem, Über ragendem, lag ein Mensch. Er wartete lange, aber der andere regte sich nicht, und es war nicht das Gefühl in ihm, daß er es bald tun würde. Also kroch er langsam näber und betastete ibn genau. Nein, das war nicht LeSkot, das war ein ganz Langer, Dürrer, und der war tot; in derlei Dingen hatte er reichlich Erfahrung. Aber nebenan war noch einer, der lag auch still und war gerade so steif und hatte einen Bart. Nein, das war auch nicht Leskot. Und da war noch etwas, aber diesmal war eS eine Frau, und die war offensichtlich ebenfalls tot. Der Kopf mit den langen Haaren bestand aus einem kalten, klebrigen Brei. Als er die Köpfe der Männer prüfte, fand er das gleiche, und sie waren alle nackt. Er arbeitete sich wie ein erbittertes Tier, das seinen Willen durchsetzen will, weiter und lag wie gestorben, als er jenseits der Mauer Schritte ber- annahen hörte. Doch er vernabm noch etwas an deres: unter der Erde redeten Stimmen.