17 Als der Wachtposten vorüber war, griff er Steine, die sich höher und höher bauten und sich rund und feucht anfaßten. Noch einmal mußte er über eine Mauer, aber die war niedrig, doch er zerschnitt sich dabei die Hände: es waren Glasscherben darauf feftge- macht. Nun mußte er neben dem Verließ sein. Span ne um Spanne schob er sich auf den Knieen an das kleine Fenster heran. Es war nicht verglast, son dern trug nur ein rauhes Gitter aus Eisen, muf fige Luft kam zu ihm herauf, in die er nieder lauschte; es war Geruch von Menschen, der zu ihm emporstrich. „Sind Sic da, Herr Leskot?" Die Stimmen, die vorher miteinander geredet hatten, waren verstummt. Er fragte wieder und wieder, bis barsch von unten eine fremde Stimme herauf klang: „Wer ist da?" „Holunder", antwortete er, als sei es selbstver ständlich. Die unten schienen miteinander zu beraten, dann hieß eS: „Vorsichtig!" Der Auefragende mußte sich inzwischen genähert haben: „Was wol len Sie?" „Ich will bloß Herrn Leskot fragen, wann er heimkommt." Jetzt gab es eine lange Pause, dann Hörle er Leskotö Stimme aus dem Schlund der Erde: „Holunder? Sie sind eö wirklich?" „Ja." „Wie heißt mein Sohn?" „Willy." „Und meine Frau?" „Renate." „Er ist es!" Er teilte eifrig mit: „Bei uns ist alles in be ster Ordnung. Die gnädige Frau und der kleine Willy befinden sich wohl. Sie sagen Ihnen Grüße. Geht es Ihnen gut, Herr Leskot?" „Man soll uns Betten und Esten und Geld schicken, aber keine Zeile darf uns geschrieben wer den." „Warum denn daö? Es wird die gnädige Frau traurig machen." „Es wird alle Post geöffnet und gelesen." „Gut." Sie kämen nach Szcypiorno. „Bitte, wie heißt das?" „Szcypiorno." „Danke, ich werde es mir merken." „Und wenn Sic meiner Frau und meinen ar men Kindern das gleiche mitteilen würden, so wird es Ihnen Gott, der Allmächtige, lohnen." „Von wem darf ich es ausrichten?" „Pfarrer Klinghammcr." „Schön." „Und meiner Frau sagen Sie, bitte", erklang eine dritte Stimme, „sie solle nicht den Mut ver lieren. Die Unseren werden bald wieder hier sein, dann wird alles anders. Ich bin der Landrat Eicke." „Ja, Herr Landrat." „Sagen Sie, Holunder, geht es meiner Frau wirklich gut? Hat sie nicht zuviel Angst?" „Sie können sich auf mich verlassen, Herr Les kot, ich paffe gut auf sie auf." „Das soll Ihnen niemals vergessen werden. Und geben Sie auch sofort meinem Vater Nach richt." „Jawohl. Aber jetzt kommt der Posten wie der." Der alte Turm mit dem Verließ ohne Licht und Wärme stand stumm in der Finsternis. Als die Schritte des Bewaffneten verklungen waren, griff Holunder durch die vergitterte Luke hinab und bot ihnen die Hand, sie aber drängten, er solle an seine Sicherheit denken und sich fort machen. Da verabschiedete er sich und kroch zum Bach zurück, über die Mauer mit den Glasscherben, die ihn wieder blutig rissen. Er stieg in den Vach hinab und verschwand in der Nacht. von IVlO I. 0 Ein Deutscher ohne Deutschland Ein Friedrich List-Roman 20. Tausend Kartoniert KI 2.80; Oanrlcinen kl 7.80 280l-dI^V VKlri.ä.6 / 88iri.Id1 - VVIKN