Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 05.09.1933
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- 1933-09-05
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206, 5. September 1833. Redaktioneller Teil. Börsenblatt s. b. Dtschn Buchhandel. Ehret die Schriftkünstler unserer Zeit! Von Albert W i n ö i s ch. Goethe und Eckermann kamen einmal in der Unterhaltung auf die altdeutsche Zeit zu sprechen und von da auf den damals »neue sten Geschmack«, Zimmer im Stilcharakter einer veralteten Zeit ein zurichten. Goethes Stellungnahme hierzu berührt uns heute wie ein un umstößlicher Lehrsatz. Diese Stellungnahme hat die Kraft einer tiefen Erkenntnis, sie ist die Offenbarung einer ewigen Wahrheit. Er sagte: »Sein Wohnzimmer mit so fremder und veralteter Um gebung auszustaffieren, kann ich gar nicht loben. Es ist immer eine Art von Maskerade, die auf die Länge in keiner Hinsicht wohltun kann, vielmehr auf den Menschen, der sich damit befaßt, einen nach teiligen Einfluß haben muß. Denn so etwas steht im Widerspruch mit dem lebendigen Tage, in welchen wir gesetzt sind, und wie es aus einer hohlen und leeren Denkweise hervorgeht, so wird es darin bestärken. Es mag wohl einer an einem lustigen Winterabend als Türke zur Maskerade gehn, allein was würden wir von einem Menschen halten, der ein ganzes Jahr sich in einer solchen Maske zeigen wollte? Wir würden von ihm denken, daß er entweder schon verrückt sei, oder daß er doch die größte Anlage habe, es sehr bald zu werden«. Diese Weisheit des 78jährigen Goethe, die das Gewicht von End gültigem hat, gilt natürlich nicht nur im Hinblick auf unsere Möbel. Sie trifft genau so auf die Formen vieler anderer uns täglich um gebender Dinge zu, besonders auch auf die uns hier interessierende Gestaltung unserer Bücher. Unsere Bücher! Zu diesen sollte unser inneres Verhältnis doch gewiß nicht lockerer sein als zu unseren Möbeln. Und deshalb muß mit Nachdruck gefordert werden: Bücher, die in unserer Zeit entstanden sind und in unserer Zeit geistig wur zeln, sollten — auch wenn sie Probleme vergangener Tage erörtern — unter allen Umständen ihre Drucklegung in Typen finden, die heutige Menschen geschaffen haben. Fast schämt man sich, eine solche Selbstverständlichkeit als For derung aufzustellen. Aber leider ist es so, daß es immer noch Ver leger gibt, die mit Stolz bekanntgeben, daß ihr neuestes Werk in irgend einer angesehenen alten Schrift gesetzt sei. Das ist, um mit Goethe zu reden, in der Tat Maskerade! Doch merkwürdig: es ist eine Maskerade, die die Herren in ihrer persönlichen Lebens führung aber durchaus nicht mitmachen. Denn dieselben Verleger, die dem geistigen Niederschlag des ihnen anvertrauten Manuskripts eine so altmodische — wenn auch historisch noch so verehrungswllr- dige — Form verleihen, würden sicher jeden für nicht ganz normal halten, der ihnen zumutete, sie möchten sich alltäglich in ein Gewand hüllen, das zur Zeit ihrer Urahnen modern war. Aus Gründen des Geschmackes und aus Stilgefühl käme für sie eine solche Kostü mierung gar nicht in Frage. Warum nun lassen manche Verleger bei der Gestaltgebung der Bücher diese lobenswerte Einsicht vermissen? Die Gründe hierfür werden in den einzelnen Fällen verschieden gelagert sein. Aber min destens bei manchen Verlegern erklärt sich deren Liebe zu den alten klassischen Schriften oder richtiger: deren Neigung, diese Schriften heute anzuwenden, offenbar doch aus einer gewissen Unsicherheit in ästhetischen Dingen, aus einem Mangel an Klarheit über das Wesen des Vergangenen und über den Sinn der Forderung des Tages. Erkenntnishemmend ist vielleicht auch manchmal eine ganz einfache Tatsache, nämlich Unorientiertheit über das Schriftschaffen der Neu zeit. Denn wer Bescheid weiß, wird auch die Konsequenzen ziehen. Wer aber im Bilde ist, der weiß, daß die neue Schriftformen bilden den Kräfte gerade in den letzten Jahrzehnten von einer künstlerischen Fruchtbarkeit waren wie nie zuvor — ganz besonders in Deutschland. Es liegt also tatsächlich nicht die geringste Veranlassung vor, für ein modernes Buch jahrhundertealte Schrifttypen zu wählen. Künst ler wie F. H. Ehmcke, Rudolf Koch, Walter Tiemann, E. N. Weiß — um aus der Fülle klangvoller Namen nur ein paar herauszugreifen — haben in ihrem Schriftschaffen, jeder auf seine Art, Werte her vorgebracht, die den besten unter den altehrwürdigen Schriften an elementarer Ursprünglichkeit und reifer Schönheit ebenbürtig sind, diese aber hinsichtlich der Mannigfaltigkeit und Vollendung der ein zelnen Form oft übertreffen. Keine Nation vermag einen solchen Reichtum an ausdrucksvol len modernen Drucktypen aufzuweisen wie Deutschland. Das ist ohne jeden nationalistischen Dünkel gesagt. Das ist eine kühle Fest stellung, die jeder einsichtige Nichtdeutsche bestätigen wird. Also, verehrte Verleger — soweit Ihr noch manchmal archaische Anwandlungen habt — besinnt Euch! Denkt an Eueren zu früh verstorbenen Kollegen Eugen Diederichs, der als erster vor etwa drei Jahrzehnten den Mnt hatte, Bücher in den gerade erschienenen 672 Schriften von Otto Eckmann und Peter Behrens herauszubringen, also in Typen, die um die Jahrhundertwende noch revolutionäre Taten waren. — Geistestaten allerdings, die den Boden für die Schriftkunst der Zukunft glänzend vorbereiteten. Die entschlossene Verwendung der beiden neuen Schriften durch einen jungen Ver leger war damals eine ungewöhnliche persönliche Kühnheit; gleich zeitig aber auch für andere eine aufrüttelnde, gewaltige Anregung. Gewiß, viele Verleger tragen den hier geäußerten Gedanken heute bereits Rechnung. Aber alle kulturell eingestellten Verleger müssen es tun! Und müssen es als Pflicht empfinden, ausschließ lich Typen unserer Zeit zu verwenden. Ich stehe mit meiner Forde rung nicht allein. Ich weiß, daß viele, viele Bücherfreunde aus den verschiedenartigsten Berufen mir beistimmen; anch die Schrift steller und Dichter dieser Zeit tun es sicher in ihrer überwiegen den Mehrheit. Zur Stütze meines Standpunktes stehen mir also nicht nur Götter aus dem Olymp, wie Goethe, zur Verfügung. Ich freue mich, auch noch einen lebenden Dichter und Freund edler Druckkunst zitieren zu können, der in eindrucksvollster Weise für die Schriftform als Ausdruck der Zeit eintritt. Rudolf G. Bin- ding sprach schon vor vielen Jahren über diese Dinge und zwar auf einer Jahrestagung der »Gesellschaft der Bibliophilen« in Frankfurt a. M. im Oktober 1920, und er hat dann in einem Auf sätze »Etwas vom Recht des schönen Buches« (erschienen in einem Antiquariatskatalog von Edmund Meyer in Berlin) folgende beher zigenswerten Gedanken niedergelegt: »Vom schönen Buch unserer Zeit aber muß der Bücherfreund noch etwas anderes fordern, oft übersehen und doch instinktiv richtig den Büchern voraufgegangener Epochen zur Pflicht gemacht: daß nämlich das schöne Buch unserer Tage auch wirklich eine Schöpfung unserer Zeit ist. Das gilt besonders von den Schriften, die verwen det werden. Aber mit einer beispiellosen Kaltblütigkeit verwenden selbst hochangeschene Pressen Schriftformen alter, berühmter Her kunft. Köstlich, gewiß in ihrer Art unübertroffen von heutigen Schriftzeichnern, aber doch, wie mir scheint, völlig ohne Fug und Recht. Daß keine Strafe darauf steht, schafft noch kein Recht, und die Entschuldigung, die heutigen Schriften wären nicht so schön wie die alten, ist sehr ärmlich. Würde es sich denn der wahre Vücher- kenner gefallen lassen, wenn ein Buch des 17. Jahrhunderts mit Lettern des 19. Jahrhunderts gedruckt wäre? Und selbst wenn dies geschehen, wäre es noch kein Grund für uns. Auch die Schriftform ist Ausdruck der Zeit. Seien wir ehrlich: drücken wir unsere Zeit auch in der Schrift aus, die wir für unsere Bücher, zumal die schö nen, verwenden. Bekennen wir Reichtum, wenn wir ihn aufweiscn können, aber ebensowohl Armut des Formempfindens, Kargheit und Kühnheit, Einfachheit und Bewegtheit, Lust und Ernst einer Zeit in den Formgebilöen, aus denen die Schrift besteht. Wir werden ehrlicher damit sein; aber auch förderlicher. Denn erst das Ver langen und das Bedürfnis nach der Schrift unserer Tage wird sie Hervorbringen. Das schöne Buch unserer Zeit aber wird cs uns nicht danken, wenn wir ihm zumuten, daß es im Druck, der schließ lich sein eigentliches Wesen ausmacht, einer anderen Zeit angehöre als der seiner Geburt. Es wird in kommenden Jahrzehnten schon ein verachtetes Wesen sein, das eine Unwahrheit in sich trägt, ein falsches Taufzeugnis anfweist und jedenfalls suspekten Charak ters ist.« Diese Worte Bindings lese man zweimal; sie zeigen das Wesent liche, auf das es ankommt, in Hellem Lichte. Aber ich weiß, daß es auch »Bücherfreunde« gibt, denen das hier zur Erörterung stehende Problem — wenn auch vielleicht nicht belanglos — doch zweitrangig erscheint. Diese einseitig und rückständig eingestellten »Bücher freunde« müssen natürlich mit Anführungszeichen charakterisiert werden. Ihnen fehlt es irgendwie an innerer Haltung und Gesin nung. Die Gleichgültigkeit und seelische Lahmheit gegenüber der Form des Gefäßes, aus dem wir wohl immer noch — trotz Radio — den größten Teil unserer geistigen Nahrung schöpfen, ist in vielen Fällen bestimmt als allgemeine künstlerische Dumpfheit zn werten. Im Kreise der Gutenbergfreunde, die diesen Aufsatz lesen wer den, wird man aber wohl schwerlich solch dunkle Erscheinungen unter den Bücherfreunden finden. Dort weiß man, daß Gntenberg nicht z. B. unziale Schriftsormen verwandt hat, sondern daß sowohl seine Typen als auch seine Buchseiten mit starkem Ausdruck das Antlitz seiner Zeit trugen. Und von diesem Leserkreise erhoffe ich auch, daß er überall da, wo er Gelegenheit dazu hat, auf die Wichtigkeit der zeitgemäßen Form unserer Drucktypen hinweist. Dann ehrt er auch alle die ernst schaffenden Künstler, die sich seit Jahrzehnten um die Neugestaltung der Drucktypen aus heutigem Empfinden heraus mit unverkennbarem Erfolge bemüht haben und die um immer reifere Lösungen weiter ringen.
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