Nr. 3 (R. 2) Leipzig, Sonnabend den 4. Januar 1936 103. Jahrgang Oer (Zedanke der VAnterkUfsspende des deutschen Schrifttums Vor den herrlich vielfältigen, unter einer Flut von Neu erscheinungen fast berstenden Fenstern der Sortimente drängten sich in den Tagen vor Weihnachten die Menschen. Manches Gesicht war gespannt, manchmal stand eine senkrechte Falte über der Nasenwurzel, auf einmal jedoch verschwand die Falte, das Gesicht erhellte sich, der Mann oder die Frau hatten in den reichen Schätzen etwas gefunden, und man sah in den Straßen die be kannten Pakete, die ihren Inhalt verraten: ein Buch, in Deutsch land immer wieder das schönste Weihnachtsgeschenk. O ja, wenn man nahezu -zwanzig Jahre im Buchhandel und darunter viele im Sortiment gestanden hat, dann möchte man jetzt hinter dem Ladentisch stehen! Aber es gab auch solche, die standen mit ihren gespannten Gesichtern und ihren suchenden Augen vor den Fenstern, und die Spannung blieb in ihren Zügen, die Augen blieben hungrig. Viele Leser gibt es noch, die zwar der Ruf zur »Woche des Deutschen Buches- erreicht hat, denen jedoch ein durch die jahrzehntelange Mißwirtschaft in Deutschland verschuldetes Geschick den Kauf eines Buches verwehrt. Ihnen soll geholfen werden! Auch ihnen! Diese Hände und Herzen soll und will der deutsche Buchhandel, der wieder in der Mitte nationalen Lebens steht, mit der gleichen Treue und Vcrantwortungsfreude beschenken, mit der er die Kun den beratet. Das ist der Gedanke, der dem Aufruf des Präsidenten der Reichsschristtumskammer, Staatsrat Hanns Jo Hst, zu einer Winterhilfsspende des deutschen Schrifttums zugrunde liegt. Aber es wäre verkehrt, zu meinen, daß wir Bücher nur deshalb geben, weil wir eben Buchhändler sind, daß wir also — würden wir Knöpfe verkaufen, Knöpfe spenden wollten. Der Sinn der Buch spende ist tiefer. Nicht ein Gegenstand des Luxus, nicht ein Gegen stand nur sür den, der ein Rauchzimmer mit einem Klubsessel be sitzt oder den Doktortitcl hat, ist das Buch. Mitten im tätigsten Leben des Volkes steht es; es kündet und bindet, befreit und hilft, bestärkt und weitet. Das soll durch diese Spende be kundet werden, daß das Buch zu unserem täg lichen Brot gehört, daß die, welche in Not sind, es besonders nötig gebrauchen,daß ihnen,denen das großartige Winterhilfswerk des deutschen Volkes und die Arbeit vieler nimmermüder Hände das tägliche Brot verschaffen, diese große Aktion die seelische Hilfe bringen soll. Dieser Gedanke wäre nur halb erfüllt, wenn nicht auf die Verteilung der Spenden — lausende Bücher liegen schon bereit — die größte Sorgialt gelegt würde, wenn hier nicht von allem An sang nnd in den Besprechungen mit dem Winterhilfswcrk und seinen Beauftragten sestgelegt worden wäre, daß der tiefe Sinn der Wintcrhilfsspende des deutschen Schrifttums eine klar über legte, sorgfältig durchgeführte individuelle Verteilung verlangt. Auch dafür ist gesorgt. Jedes Buch wird durch ein Exlibris aus gezeichnet, das seinen Wert erhöht, zugleich aber verhindert, daß einzelne Exemplare ins Antiquariat wandern. Kein Buch mit dem Zeichen der Winterhilfsspcnde der Reichsschristtumskammer darf gekauft oder verkauft werden. Sollte da nicht jeder Buchhändler, wo er auch stehe, welcher Fachschaft er auch angehöre, mithelfcn zum Gelingen der Winter hilfsspende des deutschen Schrifttums? Wenn man so sragt, muß da nicht jeder antworten: Ja? K.H. Bischofs, Referent in der Reichsschristtumskammer Pr-isc-BIId-Zcntralc In der Bestcllanstalt sür den Berliner Buchhandel türmen sich die gespendeten Bücher nnd Werke zu kleinen Bergen. Die erstmalige Verteilung der Buchspcnden an MM Bedürftige findet am Sonntag, dem S. Januar im Konzerthaus Clo» statt. Pros. vr. Richard Suchen- wirth, Geschäftsführer der Reichsschristtumskammer szwciter von oben links), nahm Gelegenheit, die eingegangenen Buchspcnden zu be sichtigen. 9