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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 26.05.1936
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- 1936-05-26
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- 26.05.1936
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N,rmmer 120, 26. Mat 1S8S Das Buchdrama — die Rettung einer dichterischen Gattung? Von Prof. O. Arbach Wohl niemals seit dem Untergänge des perikleischen Athens ist für die Kunst und die Künstler vom Staat aus mehr getan worden als im gegenwärtigen Deutschland. Denken wir daran, wie viel große Künstler früherer Zeiten im äußeren Elend hilflos ver kommen sind, ohne daß ihnen jemand zu Hilfe eilte, erwägen wir etwa, daß als Heinrich v. Kleist am 21. November I8ll frei willig aus dem Leben schied, sein zehn Wochen zuvor cingereichtes Gesuch um zwanzig Louisd'or Vorschuß noch unerledigt und un beantwortet in v. Hardenbergs Staatskanzlci lag, — dann sehen wir erst, was heute vom Staat aus für jeden notleidenden Künst ler getan wird. Das zu übersehen oder abzuschwächen wäre un dankbar. Die Lage der Schaffenden ist heute zum mindesten er träglich! Eine andere Frage ist, ob die Lage der Kunst selbst ver besserungsbedürftig ist. In der Dichtkunst sehen wir, daß gerade die höchsten dichterischen Gebilde, das lyrische und epische Gedicht, die dramatische Dichtung ausgesprochene Stiefkinder der Gegen wart sind. Wohl ist es heute möglich, für ein gutes Buchmanuskript einen Verleger zu finden, allerdings mit der erschütternden Ein schränkung, daß es sich nicht um die höchsten dichterischen Gat tungen handelt. Einen Band auch der edelsten Lyrik, der schwung vollsten Lyrik oder wertvollsten Dramatik verlegen zu wollen, ist heute fast aussichtslos. Es gelingt fast nur dann, wenn der Autor bereits durch zugkräftige Werke bekannt geworden ist. Lebte G o ethe heute unter uns, ohne bereits durch irgendwelche Werke eingeführt zu sein, — es würde ihm unmöglich sein, für Tor quato Tasso und Iphigenie einen Verleger zu finden. Das Beispiel ist mit Absicht gewählt. Man wird nämlich ant worten: »Diese beiden Werke sind allerdings wenig zeitgemäß.« Nun, darüber läßt sich streiten. Tatsache aber ist, daß diese beiden Dichtungen für die Weltgeltung unserer Nation mehr getan haben als ganze Generationen von Diplomaten. Sie erobern heute noch geistige Welten für uns, während die modernen Theaterstücke kaum je über die Grenzen dringen, — sind diese doch im Inland selbst nach der Premiöre bald vergessen. Carlyle sagte einmal, England könne eher noch auf Indien verzichten als auf den un- cntthronbaren, unbesiegbaren Shakespeare. Das große geschicht liche Drama, das die Geschichte nicht — wie manche zeitgenössi sche Theaterstücke — verfälscht, sondern in hoher Kunstform ver klärt, vergeistigt und verewigt, ist mit Fug als höchste Erschei nungsform der Poesie bezeichnet worden. Goethe sagte zu Eckcrmann: »Da ist Poesie, da ist Malerei, da ist Gesang und Musik, da ist Schauspielkunst und was nicht alles. Wenn alle diese Künste und Reize an einem einzigen Abend und zwar auf bedeutender Stufe Zusammenwirken, so gibt es ein Fest, das mit keinem anderen zu vergleichen ist.- — Ist es ein gutes Zeugnis für die Höhe der Kultur unserer Zeit, daß es fast unmöglich ist, für eine dramatische Dichtung einen Verlag zu finden, bevor einige Bühnen die Aufführung zugesichert haben? Mit den Büh nen aber ist es eine eigne Sache. Dort entscheidet nicht die Qualität des Dramas. Ein bekannter Dramaturg definierte: »Ein Dramaturg ist der Mann, der die Stücke liest, die nicht auf geführt werden.» Wenn-— er sie wenigstens liest, geht es noch an! Was ist nun der Ertrag eines Dramas, an dem ein echter Dichter sechs bis neun Monate angestrengt gearbeitet hat? Eine Bühne ersten Ranges, z. B. Frankfurt a. Main, zahlt je Auf führung fünfzig Mark! Die besten Dichtungen aber bleiben über haupt unbekannt. Paul Ernst, E. Bacmeister sind bis heute Dramatiker ohne Bühne, aber ihre Dramen sind wenigstens bekannt geworden, weil sie einen Verleger fanden, — nachdem ihre -Erfolgsbücher- sich durchgesetzt hatten. Der »Krach um Jolanthe- überdröhnt aber die leise Stimme echter Dichtung. Die besten dramatischen Dichtungen bleiben unbekannt, weil sie höchstens als Manuskript auf Selbstkosten gedruckt werden können. So überschreit naturgemäß der Jahrmarktsrummel das Genie, und das Nurzeitliche, Eintagsmäßige, Sensationelle wird über bewertet. Es ist ein schwacher Trost für den wahren Dichter, daß 472 Heinrich v. Klei st keins seiner Dramen auf der Bühne sah. Lediglich sein »Käthchen von Hcilbronn- wurde anderthalb Jahre vor seinem Tode dreimal in Wien aufgcführt. Wie erschütternd klingt Kleists Mitteilung an seine Schwester: »Ich bin gänzlich außer Stand zu sagen, wie ich mich jetzt fassen werde. Ich habe Gleißenberg geschrieben, ein paar ältere Manuskripte zu ver kaufen; doch das eine wird wegen seiner Beziehung auf >dieZeit schwerlich einen Verleger, und das andere, weil es keinesolche Beziehung hat, wenig Interesse finden-. Es tröstet auch kaum, daß Grillparzer seine letzten Dramen mißmutig in der Schublade verbarg. — Es ist auffallend, daß oft gerade wenig aufgesührte Dramen in die Weltliteratur einge- gangen sind; — und diese Tatsache kann vom Standpunkt der Kulturpolitik gar nicht hoch genug bewertet werden. Zeigt sie doch, daß ein Drama auch außerhalb des Theaters seinen Eigenwert hat. — Auf der Bühne triumphiert das Volksstück, — ost als prächtiger Tummelplatz pathetisch hcrausgewuchtetcr Binsenwahr heiten und bunt ausstafsierter Anspruchslosigkeit. Es ist »in lebendiger Fühlung mit der Wirklichkeit-, verwechselt aber häufig Plüschphantastik mit Zeitnähe. Die Magic der Bühne vermag das Unbedeutende und Kitschige zu beachtensiverten Gummigebildcn emporzupumpen! Die große dramatische Dichtung, die mit ihrer Ewigkeitsgabc jedem Augcublicksbcdürfnis dienen will, die »zeit nahe- ist »ohne in der Zeit unterzugehen«, — wie Or. Goebbels sein von Schillers Dramen sagt, — das Drama also mit zuchtvoller, edler künstlerisch gebändigter Sprache, kämpft aus Leben und Tod um sein Dasein. Es kann nur gerettet werden, wenn es den Weg findet vom Manuskript zum Buch. Nur das Buchdrama kann die höchste dichterische Gattung vor dem Verfall bewahren. Das schon aus ästhetischen Er wägungen! Das aufgeführte Drama wird immer abhängcn von Dramaturg, Spielleiter, Schauspielern, Bühne, — kurz von Fak toren, die vollständig außerhalb der Dichtung liegen. Die Büh nenwirksamkeit fordert Theatralik, Vergrößerung der Feinmittel, Abwerfen von köstlichen Zartheiten, Verstärkung der Hauptlinien auf Kosten der Nebenlinien. Die Dramaturgen streichen — manch mal aus wenig ersichtlichen Gründen — ihre Texte zusammen, erfinden wohl gar Vcrbindungstexte, kurz, sic greisen in die Substanz der Dichtung. Aber eine Dichtung voller Gedanken — nicht nur voll geistreicher Sprühsunkcn, in ihrer unbändigen Fülle, kann niemals als Bühnenbearbeitung und Aufführung ursprünglich wirken. Beispiel: Faust, Braut von Messina, Macbeth und Tasso, von welch letzteren ein hervorragender Literaturkenner urteilt: »Kein Wort ist mächtig genug, die Schönheit, die Herrlichkeit, die Tragik und dunkle Tiefe dieses wunderbaren Werkes zu schildern«. Die Theaterkritik hilft sich in solchen Fällen auf sehr billige Weise: sie sagt, was wir hundertfach lesen können: -Egmont ist eigentlich kein Drama». »Wallenstcin ist als Drama verfehlt, Teil als Drama mißraten-, — ohne freilich zu sagen, was denn eigentlich ein Drama ist. — Wenn das Drama als Buchdrama nicht mehr existiert, so ist die Folge eine furchtbare Verwahr losung der dramatischen Form. Was als Buch einfach unmöglich und jedenfalls sofort durchschaut wäre, ist als Ausstattungsstück durchaus noch denkbar. Das Wort tritt zurück, das Drama sinkt herab zum Bühnenstück, die Dichtung löst sich auf in lose ver bundene Bilder und Revuen, Ramsch tritt an die Stelle der Qualitätswäre, der Regisseur — nicht der Dichter — ist der schassende Künstler; die kurzlebigen Inszenierungen werden Aus druck des Formnihilismus. An den Platz hoher Ideen treten nütz liches Wissen, Ausklärung, Erregung jeder Art, Kritik und Schlag wort. Aber eben dieser literarische Ersatz ist in Deutschland quali tativ unbedeutender als in anderen Ländern. Der Versall des Dramas zieht aber auch den Versall der klassischen Thcaterauf- sührung nach sich. Dann muß auch »Peer G y n t« zum Aus stattungsstück werden, — denn in dieser Bilderbuchtheatralik mit raffinierter Ausnutzung des technischen Apparates und billiger
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