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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.04.1937
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- 1937-04-06
- Erscheinungsdatum
- 06.04.1937
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Was schadet der Kitsch? Von Walter Loyer Der Begriff Kitsch ist wie aus Gummi. Er ist dehnbar und also unklar an Gestalt und Umfang. Sicher wird das Wort gerade darum mit Vorliebe gebraucht, denn jeder meint damit etwas anderes. Fragt man nach einer Erklärung, so bekommt man selten mehr zu hören, als daß kitschige Bücher eben schlechte Bücher seien, das müsse man doch erkennen. Im Grund wird also nur gesagt, daß man sie ocrächtlich ablehnt. Aber mit einer solchen Aussage ist nicht viel gewonnen, denn ein anderer wird leicht von den gleichen Büchern das Gegenteil behaupten. In der Tat, wollte man alle Leser, auch die der offensichtlich schlechtesten Bücher befragen, so würde gewiß jeder mit ehrlicher Überzeugung antworten, das Buch gefalle ihm. Er finde es gut. Er wisse auch gar nicht, wie er auf die Torheit verfallen solle, schlechte Bücher zu lesen. Damit gibt er natürlich nur ein persönliches Urteil ab. Aber wir müssen es zu nächst einmal anerkennen, weil wir von vornherein niemandem, der bei gesunden Sinnen ist, das Recht absprechen dürfen, seine geistige Kost selbst zu suchen und selbst zu bewerten. Das fremde Urteil über ein Buch bleibt für den Leser immer eine bloße Behauptung. Erst wenn es ihn mit der Kraft des Be weises zu überzeugen vermag, wird er zustimmen. Solange aber — und das ist meistens der Fall — nur Meinung gegen Meinung steht, und nur einer zum Ausdruck bringt, daß er den Geschmack, das Niveau, die Bildung des anderen gering schätzt, ist keine Lösung zu finden. Kitsch bleibt aus diesem Wege eine Geschmackz- frage und müßte schließlich als Private Angelegenheit betrachtet werden. Damit rechtfertigte man freilich nur die Entschuldigung aller jener Erzeuger und Verkäufer minderwertigen Schrifttums, die flink und sicher auf den »gewissen Geschmack« zu spekulieren wissen, um ihren Gewinn herauszuschlagen. Denn, sagen sie zur Verteidigung ihrer niederen Absichten, die Menschen wollen den Kitsch. Wir halten aber den Kitsch keineswegs für eine private Sache, sondern meinen, daß er eines der wichtigsten Probleme in der öffentlichen Schrifttumspslcge ist. Deren Zweck freilich kann nicht sein, Fragen des Geschmacks zu entscheiden, denn sie käme dabei leicht in die Rolle eines mit behördlicher Autorität ausgestatleten Kunstrichters und würde notwendig ihre vornehmste Aufgabe ver nachlässigen: nämlich dafür zu sorgen, daß jedem Deutschen die Bücher zugänglich werden, die er braucht. Mögen sie unterschiedlich an Rang und Geschmack sein, wenn sie nur im Kerne einen Wert tragen. Das will die Parole sagen: Das Buch gehört dem Volke. Wir müssen uns darum nach einem allgemeingültigen Standpunkt jenseits einer reinen Geschmacksfrage Umsehen. Es sei an zwei Beispielen versucht, ihn zu gewinnen: In einer weitverbreiteten Familienzeitschrift beginnt ein Roman folgendermaßen: Die Arme des schönen schlanken Mannes legten sich mit zärt licher Liebkosung um die Schultern des jungen Mädchens, das mit seinen wundervollen blauen Augen zu ihm ausblickte. »Ich kann es noch immer nicht fassen, Verena, daß du mein eigen bist. Wer hätte mir vor acht Tagen gesagt, dass das Herz des liebreizendsten Wesens unter der Sonne mir gehört? Als ich, der arme Ingenieur, zum ersten Male den Weg zu eurer Burg nahm, ahnte ich nichts von meinem Glücke. Nun halte ich dich in den Armen, höre aus deinem Munde das Geständnis, daß du mich liebst, und schwöre dir am heutigen Abend — und ich schwöre es bei meiner Seligkeit — daß du mein eigen werden sollst, daß ich um dich kämpfen will, und wenn sich Berge von Hindernissen unserer Ver bindung entgegenstellen sollten. Mein bist du, mein bleibst du bis in die Ewigkeit!« Süß-selig erschauernd schmiegte sich Verena von Luma an den Geliebten. Auch ihr erschien es wie ein Wunder, daß ihr bisher unberührtes Herz innerhalb weniger Tage diesem Manne zugeflogen war. Als Fremder, im Aufträge der Elektrizitätssirma Bieleberg, war er in die alte, prachtvolle Burg Runenstein gekommen, weil Neuanlage plante. Der junge Ingenieur hatte das stolze alte Bau werk eingehend besichtigt, Auszeichnungen gemacht, und war bei dieser Gelegenheit zusällig mit Verena zusammcngetrossen. Er hatte sie ge sehen, und ihr liebliches Bild hatte sich losort in sein Herz geschlichen. Es wäre töricht, hier mit den Maßstäben hoher Kunst zu messen. Genügen wir uns mit der Feststellung, daß die Erfindung billig, der Ausdruck farblos und papkörn, die Sprache ohne Rhyth mus ist. Wer Sinn dafür hat, spürt es beim ersten Satz. Es kommt uns aber gar nicht darauf an, ob diese Szene nicht besser, d. h. ob sie geschickter, lebendiger, oder kunstvoller gestaltet werden könne. Wir verlangen nicht mehr, als daß man einmal mit wachen Sinnen versucht, diese Probe so zu erleben und zu empfinden, wie sie ihrer Natur nach beschaffen ist. Einem unverdorbenen Empfin den wird sie sofort als lächerlich erscheinen, nicht weil sie kunstlos ist, sondern weil sie durch und durch ünwahrhaftig ist. Hielt je ein Liebhaber die Geliebte in seinen Armen, der so unechte, phrasenhafte Gefühle und Beteuerungen aussprach. »Und wenn sich Berge von Hindernissen unserer Verbindung entgcgen- stellen sollten«, spricht ein junger Ingenieur ganz papicrn in einer zärtlichen Stunde und kommt danach mit dem pathetischen Aus ruf: »Mein bist du, mein bleibst du bis in die Ewigkeit.« Man kann sich kaum erklären, wie jemand dergleichen überhaupt ernst nimmt, oder man muß die Treuherzigkeit und Arglosigkeit des lesenden Menschen für so ungeheuerlich halten, daß er selbst die leersten Worte mit einer eigenen Empfindung zu füllen bereit ist. Wer nun etwa in unserer Probe die Lektüre des »kleinen Mannes- belächeln wollte, der mag aus der folgenden ersehen, wie weit es der gebildete Kitsch gebracht hat, der keineswegs weniger verbreitet ist als der ungebildete. Es handelt sich hier um ein junges Mädchen, das sich aus der französischen Provinz wegsehnt und in Paris Modekünstlerin werden will. Sie reist im Auto eines vornehmen, bereits verlobten jungen Engländers, dessen Be kanntschaft sie eben erst gemacht hat. Im fahlen Grau flimmerte die unabsehbare Fläche des Etang de Bcrrc. Salzige Lust feuchtete Madeleines Lippen. Sie kamen an Salinen vorüber. »Ob Gott dieses Land vergessen hat?« »Morgen werde ich Ihnen die Schönheiten dieser Gestade zeigen, Madeleine.« »Es ist alles so unerlöst schwer.« Er betrachtete sie von der Seite. »Es fehlt der sphärische Ton der sonstigen Küsten, aber auch hier klingt es.« Er hielt an. Sie standen mitten im Schweigen. Bachstelzen hüpften über die Steine eines Rinnsals; Lerchen hingen als singende Tropfen in der Luft, und die Wellen des Sees rhythmeten an die Ufer. »Doch schön«, meinte sie und sah in das Meer des Lichtes. Etwas Furcht lag in ihr, so bedrückte sie der herbe Ernst der Landschaft. Das Meer verschwand, sie kamen in einförmiges Land, dessen Leblosigkeit dunkle Zypressen zum Atmen brachten. Sleinwällc durch zogen den sandigen Boden. »Da . . . links Schafe«, sagte sie, »so viele Schafe.« Als lebe der graugelbe Boden, wandelten Tausende der Wollträger über die Erde und zupften die bescheidene Nahrung. Auch in diesem Falle sei nicht von der Unfähigkeit gesprochen, eine Landschaft mit großer Sprachkunst zu zeichnen. Man sehe aber genau zu, wie die zwei Liebenden unter dem Eindruck der Natur nichts anderes vermögen, als mit geschwollenen und gezier ten Redensarten Bildung und Empfindsamkeit zu mimen. Kein Wunder, daß solche Unnatur der Sprache geradezu schamlos Ge walt antut. »Es ist alles so unerlöst schwer.« Eine nichtssagende, aber wichtigtuende Phrase. Was stellen wir uns unter dem sphäri schen Ton der sonstigen Küsten vor? Was empfinden wir, wenn die Zypressen die Leblosigkeit des Landes znm Atmen bringen? Ach, es ist unvornehm, zu sagen, daß Schafe dürftiges Gras abrupfcn. Nein, Wollträger zupfen die bescheidene Nahrung. Und es ist wohl nicht ausgeschlossen, daß sie ein andermal ihre Kost sogar pflücken. Diese Unwahrhaftigkeit können wir schon nicht mehr gutmütig be lächeln, denn sie ist bereits zur -anspruchsvollen Widernatur geworden. Aber die Beispiele genügen, um zu bestimmen, was Kitsch seinem Wesen nach ist: Unwahrhaftige Gestaltung. Oder wenden wir ein Bild an. Kitsch gleicht einem Denkmal aus Pappe, 30S Nr. 77 Dienstag, den s. April ISS?
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