„Muttchen, seyen Sic sich mul hin. Ihnen bleibt ja die 'husic weg. Ich ncllc mich drüben an hie Schlange vor Schalter fünf, und wenn Sic dran sind, treten Sic für mich an." Muttchen verzieht die Runzeln zu dankbare» und mißtrauischen Gcsichtstcilen. „Sic sind doch der — der Professor, wo sich gmincr so komisch mit die armen Leute abrackcrt. Wenn ich so'n feiner Herr war', hält' ich waS Besseres zu tun, aber ich will ja nichts gesagt yabcn. Na, schönen Dank auch, und Sic sollten lieber nach Ihrem Nut suchen, der schwimmt woht irgendwo in der Pfütze." Sic setzt sich endlich nach den schnaufenden Stößen der langcn Rede etwas unbehaglich auf die Wartebank. Am anderen Sude des Augusiusptatzes, in der Säulenhalle der Universität, frösteln die einzelnen Studcntengrüppchcn, beim ersten Stchkonvcnt. „Da kommt der Gregory angctrabt." „Das Haar wie eine nasse Katze." „Jetzt bat er auch schon den /Baldachin' abgcscbafft." „Ach was, den Schirm, den bat er in der Straßenbahn vergessen." „Mensch,hast du'nc Ahnung. Der Gregory und Straßenbahn fahren! Der rennt bis Halle zu Fuß, wenn ibn einer dort anschnorrcn will." „Und den Schirm vergessen wie ein normaler Professor, das gibt's bei Gregory nicht. Der hat'» Gedächtnis wie 'ne Rechenmaschine. Verpumpt bat er ihn, weil's regnet." „Nächstens wird er noch das Hemd ausziehcn, wenn ein anderer scins aus Versehen vollgesch ... hat. Er kommt dann in Badehosen Kolleg halten." „Na laßt mal, er ist immerhin ein Kerl und mir zehnmal lieber als unser Litcraturaffc mit Lackknopfsiicfcln, lnrischcm Tenor und dem Troß von Kolleggänscn." Gregory, der seine» Schirnibaldachin den Weichenstellern auf dem Augustusplatz überlassen hatte, steht jetzt mit feuchtem Haar und trockener Ruhe auf dem Katheder. Während er die bctropftc Brille putzt, Irampclu die Hörer noch immer zur Begrüßung. An dicscr deutsch- akademischcn Hirldigungssittc beteiligen sich nicht nur ec; g - Tkeologiesemcstcr, die hier das Fachpensum bewältigen, sondern auch die fremden, würdevollen Gasthörer, die in de» Ländern ihrer vunge schon Lehrämter bekleiden und hierherkamen, uni Gregorys Studien auch für ihre Heimat fruchtbar zu machen. Denn er ist der Berühm teste seines Faches in der Welt. Er könnte jeden Tag in einen anderen Erdteil abwandern, um dort seine Berufsarbeit fortzusetzcu, man würde ihn überall mit offenen Armen empfangen; seine Forschungen würden jeder Hochschule das Ansehen und den Zulauf mehren. Warum wurde er, der Amerikaner französischer Abstammung, den vorher nichts mit Deutschland verbunden hatte, gerade hier seßhaft? „Das sind meine frohesten Stunden", hatte er einmal bekannt „wenn ich vergesse, daß ich nicht als Deutscher geboren bin, wenn ich von der neutralen Warte hcrunterrutsche und mitsinge und mit- strcite und mitlcide, als wäre ich einer aus dem Volke Luthers/'' An seiner Aussprache merkt man noch immer den Fremden, der erst als Jüngling das deutsche Wörterbuch aufschlug. Den angelsächsischen Akzent verleugnet er nie, und das R kann er nicht schnarren. Wenn er etwa „Körper" sagen will, so klingt es wie „Köhlper". Aber er ver mag sich dafür in mehr als zwanzig lebenden Sprachen geläufig auSzudrückcn, und er beherrscht alle die Denkmalssprachen der Ver gangenheit, die zwischen Island und Indien das Erbgut der Kultur bewahren. Er spricht auf Neugriechisch über Altgriechisch, auf Ara bisch über Sanskrit, er schreibt auf Lateinisch über persische m>d koptische Texte, er hält auf Russisch Vorträge über armenische Hand schriften. Die Riescnlast dieses internationalen Wissens drintü ihn Nicht, weil er sie aus de» Schwinget, seines Sprachgenies befördert" Aber seine ^eele braucht einen anderen Ankern....» ^ . - ' den . Gerhard Schnitze-Psaelzer-. „Ein Herz für uns". Preis drosch. ) M 20, in Ganzleinen 4 M 50