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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 27.08.1884
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1884-08-27
- Erscheinungsdatum
- 27.08.1884
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- Deutsch
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3878 Nichtamtlicher Theil. ^ 200, 27. August. im Auge der sogenannten patriotischen, eigentlich reactionären Partei des Herrn Katlow, und man wird wohl kaum sehlgreisen, wenn man diesen Spiritus roctvr des Grasen Tolstoj als den Ur heber des Verbotes der Otötscbestvennzya 8apisbi bezeichnet. Die Otötscbsstvonn^ja 8nxisü! erscheinen seit mindestens vier Jahrzehnten. Seit 25 Jahren (oder länger) ist ihr Besitzer der bekannte A. A. Krajewsky, ein Veteran der russischen Presse, welcher kaum erst vor Jahresfrist durch das Verbot des „6ülos" einen harten Schlag erhielt. Als Hauptredacteur dieses Journals sungirte, seit dem Tode des Dichters Nekrassow der bekannte Satiriker M. E. Ssaltykow, welcher unter dem Namen Schtschedrin vorüber 20Jahren mit den„Skizzen aus der Provinz" glänzend debutirte und seither eine Reihe von Bänden veröffentlicht hat, die alle ausnahmslos das Ziel ver folgen, aus die Korruption in den verschiedenen Sphären hinzu weisen, die Lächerlichkeiten, Schlechtigkeiten und faulen Zustände zu geißeln und sie dem allgemeinen Spott zu überliefern. Ssaltykow entstammt einer der ältesten, angesehensten Adcls- samilien des Reichs, zu der auch Fürsten gehören; er ist ein Mann in den Sechzigern, war früher Vicegouverneur von Twer und muß also mindestens im Range eines Staatsraths stehen. Krajewsky, gleichfalls Staatsrath, Stadtverordneter von St. Peters burg, Mitglied der städtischen Schulcommission u. s. w., ist ein hoher Siebziger, der über vierzig Jahre lang unter den schwierigsten Verhältnissen, von Nikolai I. bis Alexander III. an der Spitze von Zeitungen und Journalen gestanden. Und diese Männer, denen wohl Niemand Mangel an Patriotismus Vorwersen wird, die, aus ihre Weise an der Besserung der verrotteten und verfahrenen Zustände mit zu arbeiten suchten, die überall und jederzeit die Schäden, an denen das Reich krankte und noch krankt, ausdeckten, — diese Männer werden beschuldigt, einer dem Lande (soll wohl heißen der herrschenden Richtung) feindliche Propaganda in ihrem Journal Vorschuh geleistet zu hahen. Das klingt gerade, als ob das weitverbreitete Journal Otstsobostvsnn^jn Sapisüi ein geheimes, im Verborgenen wühlendes Revolutionsblättchen wäre, während es doch eine angesehene Revue ist, die seit Jahrzehnten offen und frei ihre Ansichten und Doctrinen propa- gandirt. Wenn Ssaltykow und Krajewsky sür die Richtung und den Inhalt dieses Journals verantwortlich sind, so sind es nicht minder auch der Gras Tolstoj, seine Vorgänger und Mitarbeiter, die Be amten der Oberpreßverwaltung, welche seit einer langen Reihe von Jahren von der Gefährlichkeit dieses Journals keine Ahnung ge habt zu haben scheinen, da sie es so lange unbehelligt ließen. Wenn man die heutigen Zustände Rußlands betrachtet, so muß man unwillkürlich an die Mett ernich'sche Aera in Oesterreich und Deutschland denken. Dort wurde und hier wird die ganze Staatsgewalt zur Unterdrückung „demagogischer Umtriebe" in Bewegung gesetzt, und „demagogische Umtriebe" ist alles, was nicht mit der herrschenden reactionären Richtung in Einklang gebracht werden kann, was gegen die Omnipotenz der Bureaukratie und Routine ankämpft, was nach Reformen in freiheitlichem Sinne strebt. Gras Tolstoj mag wohl auch, gleich Metternich, ausrufen: „Guter Gott, wie habe ich Recht und wie haben sie Unrecht!" .... Wir möchten die Parallele hier nicht weiter führen. Das Beklagenswertheste in den Zuständen des großen russi schen Kaiserreichs ist der Mangel an einer festen, bestimmten Richtung. Was bis gestern noch erlaubt oder wenigstens geduldet war, ist heute plötzlich gefährlich und verpönt. Dieses Hin- und Herschwanken in den Regierungsmaximen dauert seit Jahrzehnten. Niemand kann einen russischen Staatsmann namhaft machen, der in Bezug aus innere Politik sowohl den Charakter, wie auch die Macht gehabt hätte, jahrelang unentwegt einen sicheren, strengbe grenzten Pfad zu wandeln; der genau gewußt hätte: bis hierher und nicht weiter ist die freie Entwickelung des Gedankens und der Thätigkeit des Jndividiums wie der Gesellschaft möglich und ge stattet, — Alles, was darüber hinausgeht, ist vom llebel und muß eingedämmt werden. Man braucht durchaus nicht dafür eingenommen zu sein, daß die Gedanken- und Actionssphäre des Menschen durch einzelne, ab solutistisch angelegte Naturen normirt und begrenzt werden müsse, wenn man die Behauptung aufstellt, daß es für die ruhige und stetige Entwickelung eines Landes nützlich und nothwendig sein kann, längere Zeiträume hindurch nach festbestimmten, wenn auch etwas engherzigen Prinzipien zu regieren. Ein solches System ruht auf soliderer Basis als das sprungweise Wechseln zwischen Liberal und konservativ, als die ewige Unsicherheit, in der schließlich Niemand mehr weiß, was er thun und denken darf und was nicht. Selbst der Nikolaitische Despotismus hat dem Lande nicht soviel geschadet, als der Wirrwar, der Wankelmuth und die Korruption, die seit Jahren das materielle und geistige Gedeihen Rußlands untergraben. Namentlich aus dem Gebiete der Presse ist Unglaubliches ge sündigt worden. Von Gesetz und Regel ist auf diesem Felde schon lange keine Spur mehr vorhanden. Alles ist der bureaukratischen Willkür anheimgegeben. Katkow hat sich seiner Zeit gegen stricte Befehle des Ministers ausgelehnt, ist gemaßregelt worden, hat schließlich gesiegt, hat Minister ab- und eingesetzt, und gibt jetzt die Richtung an, nach welcher die innere Politik geleitet wird. Das Preßgesetz von 1865, welches eine Art von beschränkter Preßfreiheit einführte, ist in einer seiner wichtigsten Bestimmungen im Jahre 1872 abgeändert worden. Während bis dahin über Preßvergehen die Geschworenen zu entscheiden hatten, trat später die Polizeigewalt an deren Stelle. Die Tensoren konnten nie Aus kunft geben, was erlaubt und was verboten sei; denn die verschieden artigsten Instructionen überholten einander. Die wichtigsten Tages fragen wurden aus der Zeitungsdebatte verbannt, wenn sie den be treffenden Ministern unbequem zu werden anfingen. Diese Directiven wurden den Zeitungsredacteuren nicht immer recht zeitig mitgetheilt, und so bekam man häufig erst dann Kenntniß von einer neuen Verordnung, wenn man gleichzeitig auch eine offizielle Ver warnung, eine Suspension auf drei bis sechs Monate, das Verbot des Einzelverkaufs, oder die Entziehung des Rechtes, Inserate auf zunehmen, notificirt erhielt. Solche temporäre Instructionen, die meist nur für bestimmte Einzelfälle erlassen wurden, und gewöhnlich nach kürzerer oder längerer Frist ihre Existenzberechtigung verloren, blieben gewöhnlich unaufgehoben und geriethen nach und nach in Vergessenheit; konnten aber natürlich ganz nach Belieben wieder in Anwendung gebracht werden. Die Tensoren selbst waren nie ganz sicher, ob sie sich aus dem richtigen oder auf einem Irrwege befanden. Waren sie zu vexatorisch, so konnten sie sich vor Reclamationen und Klagen nicht retten; waren sie zu nachsichtig, so wurden sie von oben gemaßregelt. Von Gesetzen oder bestimmten Grundsätzen, nach denen der Censor hätte verfahren können, war nie die Rede; Alles hing von der Windrichtung ab, die gestern, heute oder morgen von oben her signalisirt wurde. Außer der allgemeinen Censur mußte aber noch auf eine Menge Specialcensuren Rücksicht genommen werden; denn säst jedes Ressort beanspruchte, daß man ihm diejenigen Artikel, welche die betreffende Specialität berührten, zur Begutachtung vorlege. So mußten z. B. eine Zeit lang alle Theaterkritiken der Censur ^ des Ministers des kaiserlichen Hofes unterbreitet werden, und jeder ' Tadel eines „Hof-Künstlers" wurde unnachsichtlich gestrichen, weil
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