Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 05.06.1937
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- 1937-06-05
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- 05.06.1937
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- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
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nahmeintellekt wurde in vieler Beziehung durch das photo graphische Bild selbst schärfer und größer, seine Auffassung schneller. Hinzu treten die weiteren Faktoren der neuen Zeit: Verkehr, Tempo, überhaupt Beweglichkeit, die Bevorzugung des Ungewöhn lichen und die Freude an der Sensation. Das Bizarre, Unver ständliche — dem gar nicht unbedingt ein wirklicher Sinn inne- zuwohncn braucht — wird hierbei zuweilen gern als rätselhaft hingenommen und zwar als verständliche Reaktion auf das vor dem allzu Alltägliche und Konventionelle. Diesen Weg der bildmäßigen Wiedergabe zu verfolgen haben wir noch immer Gelegenheit. Es wäre zu billig, sich hier über Ent gleisungen lustig zu machen. Tatsache ist, daß die Photographie sowie die starke Bildeinwirkung überhaupt und die neue Bild auffassung im besonderen zwar ein neues Sehen lehren, aber leider durch die Fülle des Ein drucks und durch dessen gewisse Wirrnis den Be schauer abstumpfen. Sie machen den Betrachter, der bei der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit notgedrungen flüchtig wird, noch oberflächlicher, zumal die Menge des Gebotenen bei der graphischen Wiedergabe oft an Güte verliert. In dieser Oberflächlichkeit und Flüchtigkeit liegt eine Gefahr, weil sie den Betrachter gleichgültig und der Verarbeitung der Eindrücke überdrüssig machen kann. Die schiefen Bildausschnitte und sonstigen wilden Photos verleiten den Beschauer, das Bild als Blickfang, als neuzeitliches Ornament hinzunehmen, zu überfliegen, aber nicht eigentlich zu betrach ten, nicht zu lesen. Der Beschauer liest die Unterschrift ge wissermaßen als kurze Gebrauchsanweisung des Gezeigten und wendet sich sofort dem nächsten Bilde zu, gedankenlos, ohne jede eigene Überlegung. In der Regel ist der Vorgang der, daß ein Bild flüchtig angesehen wird, wobei seine Details nicht beachtet werden, ja seine Darstellung oft nicht verstanden und auch gar nicht der Versuch seiner Erfassung, also seiner Aufnahme und geistigen Verarbeitung gemacht wird. Aus Bequemlichkeit gibt die Unterschrift die Lösung, womit dann die oberflächliche Anschauung beendet ist und beim folgenden Bilde ebenso fortgesahren wird. Das ra st lose Weiterhasten läßt nicht die Ruhe zum Betrachten, zum Lesen des Bildes. Leichtfertig, eilend und flüchtig wie die Brocken einer Wochenschau oder wie ein leichter Unterhaltungsfilm im Kino, werden größtenteils die Bilder ohne Muße und Teilnahme hingenommen. Und so wie dort Titel und Handlung beim Verlassen des Lichtspielhauses oft bereits vergessen sind, so wird das neugierig-lässig überflogene Bild beim Umblättern für den Leser gewissermaßen ebenso geistig verdeckt, wie es durch das neu aufgeschlagsne Blatt optisch dem Auge entschwindet. An alledem ist das Tempo einer übersättigten Zeit schuld, in der die Menschen durch die Mittel der soge nannten zivilisatorischen Erzeugnisse Physisch bedrückt werden. Das gilt nicht zuletzt, für die Photo- und Filmbildaufnahme durch das Auge. Wir haben das eigentliche Sehen ver lernt! Wer erinnert sich nicht noch der liebevollen Ausdeutung im Anschauungsunterricht der ersten Schulklassen? Dieses wirkliche Schauen und das daraus entspringende bleibende Wissen hat uns das Seh-Tempo des Kinos genommen und für die Nichtbesucher die Bilderfülle illustrierter Zeitschriften mit ihrer Verschwendung an Bildmaterial, das recht oft inhaltslos und offenkundig seiten süllend ist. Wenn aber die Bilder gut sind, wird derjenige, der nach einiger Zeit eine bereits vor längerer Zeit durchblätterte Zeitschrift oder ein stark bebildertes Buch geruhsam betrachtet, er kennen, daß er an vielem in den Bildern Anregendem und Be lehrendem vorübergegangen ist: daß er es vielleicht gesehen, aber nicht »gelesen- hat. Und das aus dem Grunde, weil wir die Bilder nicht richtig anschauen können und für das wirkliche Ansehen, das aufmerksame Lesen dieser neuen Bilder noch nicht das richtige Be- trachtungs-, Lern-, Aufnahme- und Auffafsungstempo gesunden haben, also die Fähigkeit, das für uns Wesentliche herauszuziehen. Hierin müßten wir jedoch ein besseres Auf fassungsvermögen entwickeln, da die Bilder nach dem Gesagten oft an die Stelle des Textes treten. Wir müssen dann zum »Bilder lesen- kommen und als Buchvertreibende und Buchhersteller die Bild- und Bildbuchempsänger dazu anleiten, sie durch Bildaus- wahl und -Wiedergabe dahin sichren. Wir müssen versuchen, aus solchen Feststellungen für uns etwas nutzbar zu machen in bezug auf das Buch und auf das Gute im Bilderlesen für uns selbst. Tatsache ist nun einmal, daß das anschauliche, wirklichkeitsnahe und ach so bequeme Bild domi niert, in jüngster Zeit mehr als je, da wir auf vielen Gebieten einen Zug ins Primitive bemerken, dem das Bild entgegengeht. Im graphischen Fach geschah die Bildbevor zugung zunächst auf Kosten der Zeitungen und nun, nachdem diese mehr oder minder illustriert werden, geschieht sie aufKostendes Buches. Viele haben nicht mehr Zeit zum Lesen eines Buches, noch mehr aber sind es, die da glauben, keine Zeit zu haben, obwohl sie praktisch viel lesen und meist das, was ihnen der Zufall zuführt und wofür nicht sonderliche Aufwendungen (auch der Kausentschluß ist, abgesehen von den Kosten, eine solche) nötig sind. Wieder andere sagen: ich komme leider nicht dazu. Sie leihen sich aber gern ein Buch aus, wenn man sie auf dieses oder jenes Besondere aufmerk sam macht. An dieser Stelle ist es müßig, über die Leser oder Nichtleser des Buches zu sprechen. Vielmehr wollen unsere Betrachtungen nach der kleinen Abschweifung über die Bildausfassung auf das Bild im Buche an sich kommen. Meine Betrachtungen wurden an geregt durch die beherzigenswerten Worte, die Martin Wül fing vor einiger Zeit ss. Börsenblatt 1936, Nr. 285: »Vom Sinn und Zweck unserer Arbeit-) an dieser Stelle an den gesamten Buchhandel richtete. Er sagte dort u. a., daß man die Bebilderung der Werke nicht mehr oder weniger dem Zufall beim Umbruch überlassen solle, sondern sie so vorzunehmen hätte, daß sie klar und übersichtlich gegliedert den Käufer keineswegs enttäuscht. Er weist damit aus etwas hin, was heute dem Buche oft noch abgeht. Viel mals wird verkannt, daß das Buchbild ganz anders und nach jeder Seite hin besser sein muß als das Zeitungs- und Zeitschristenbild. Also beim Photo in Aufnahme und Reproduktion. Denn das Buchbild ist nicht nur zum Lesen, sondern im guten alten Sinne für das Betrachten da! Von den meisten Verlegern werden die höheren Erwartungen nicht beachtet, die alle Buchkäufer gegenüber dem Buchbild heute haben, nachdem sie durch Bilderzeitschristen anspruchsvoller ge worden sind, soweit sie die gekennzeichnete Flüchtigkeit nicht daran hindert. Das viele Photographieren und die Bilderflut der ohne Schutzgebühr verteilten Reiseprospekte trägt ebenso dazu bei wie der Film. Und wenn auch der Filmeindruck gemäß der hastigen Bildsolge nicht haftet, hat er doch auf die Bildwirkung hingezielt, die nun überall so erwartet wird. Für die Bildanordnung und die Sorgfalt vielleicht notwendiger Beschriftungen gilt dasselbe. Darum ist es ebenso falsch, zu einem fertigen Buch Photos von einem Bildverlag zu beziehen und diese dann gewissermaßen in der Schnellküche der Herstellungsabteilung hineinzubrauen wie demgegenüber etwa in eine vorhandene Mldanhäufung notdürftig den Text hineinzustoppeln. Man sagt oft: Lieber gar kein Bild als ein schlechtes! Dazu könnte man variieren: Lieber kein Bild als ein bekanntes oder unpassendes! Das Photobild muß ergänzend und schmückend sein. Denn der Buchtext vermittelt dem Leser ein bestimmtes Erlebnis, das durch das Bild vertieft werden soll. Es muß also dem Text wirklich folgen. Anders ist es bei dem Bild als Graphik. Mag es sich um einen Holzschnitt, eine Zeichnung oder Radierung handeln. Hier kann es seine Reize haben, wenn das Bild zum Text nur mitklingt, ihn umschreibend und indirekt erläuternd, ihn dadurch gewissermaßen ausmalt. Eine Beziehung zum Buchinhalt muß sich natürlich immer ergeben. Stets wird beim Buch der Text vorgeord netsein. Ist es anders, dann sollte ein reines Bilderbuch oder eine Kunstmappe mit erläuterndem Text gestaltet werden. Ferner wird es stets Bücher geben, die sich kaum zur Bebilderung eignen. Vom Standpunkt des Druckfachmannes wird das photogra phische Einzel- oder Reihenbild dann weniger Mitbewerber und mehr Helfer sein, wenn es in höchstem Gütegrad zur Auswirkung kommt. Für die Photographie sind beste Bilder in reichlicher Menge vorhanden, und die Reproduktion wie die Drucktechnik find in der Lage, jedem Anspruch gerecht zu werden. Hönig. Nr. 126 Sonnabenö, den 5. Juni 1687 487
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