Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 10.04.1931
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- 1931-04-10
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- 10.04.1931
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auf die Straße. Kosole steht wieder auf. Mr anderen be sinnen uns ebenfalls und rücken verwirrt und verlegen unsere Koppel und Gewehrriemen zurecht — seit einigen Tagen wird ja nicht mehr gekämpft. Die Amerikaner stutzen, als sie uns sehen. Ihr Gespräch bricht ab. Sie nähern sich langsam. Wir ziehen uns gegen einen Schuppen zurück, um den Rücken gedeckt zu haben, und warten ab. Die Verwundeten nehmen wir in die Mitte. Nach einer Minute des Schweigens löst sich ein baum langer Amerikaner aus der Gruppe vor uns und winkt. „Hallo, Kamerad!" Adolf Bethke hebt ebenfalls die Hand. „Kamerad!" Die Spannung weicht. Die Amerikaner kommen heran. Einen Augenblick später sind wir von ihnen umringt. So nahe haben wir sie bisher nur gesehen, wenn sie gefangen oder tot waren. Es ist ein sonderbarer Moment. Schweigend blicken wir sie an. Sie stehen im Halbkreis um uns herum, lauter große, kräftige Leute, denen man gleich ansieht, daß sie immer satt zu essen gehabt haben. Alle sind jung; — nicht einer von ihnen ist annähernd so alt wie Adolf Bethke oder Ferdinand Kosole — und das sind doch noch längst nicht unsere Aeltesten. Aber auch keiner von ihnen ist so jung wie Albert Troßke oder Karl Bröger; — und das sind noch immer nicht unsere Jüngsten. Sie tragen neue Uniformen und neue Mäntel; ihre Schuhe sind wasserdicht und passen genau; ihre Waffen sind gut und ihre Taschen voller Munition. Alle sind frisch und unverbraucht. Gegen diese Leute sind wir die reine Räuberbande. Unsere Uniformen sind gebleicht vom Dreck der Jahre, vom Regen der Argonnen, vom Kalk der Champagne, vom Sumpfwasser in Flandern; — die Mäntel zerfetzt von Splittern und Schrapnells, geflickt mit groben Stichen, steif von Lehm und manchmal von Blut; — die Stiesel zerlatscht, die Waffen ausgeleiert, die Munition fast zu Ende; alle sind wir gleich dreckig, gleich verwildert, gleich müde. Der Krieg ist wie eine Dampfwalze über uns hinweggegangen. Immer mehr Truppen rücken heran. Der Platz ist jetzt voll von Neugierigen. Wir stehen immer noch in der Ecke, um unsere Ver wundeten gedrängt, — nicht weil wir Angst haben, sondern weil wir zusammengehören. Die Amerikaner stoßen sich an und zeigen auf unsere alten, verbrauchten Sachen. Einer bietet Breyer ein Stück weißes Brot an, aber der nimmt es nicht, obschon in seinen Augen der Hunger steht. Plötzlich deutet jemand mit einem unterdrückten Ausruf auf die Verbände unserer Verwundeten. Sie bestehen aus Krepp-Papier und sind mit Bindfäden umschnürt. Alle blicken hin; — dann treten sie zurück und flüstern mitein ander. Ihre freundlichen Gesichter wurden mitleidig, weil sie sehen, daß wir nicht einmal mehr Mullbinden haben. Der Mann, der uns vorhin angerufen hat, legt Bethke die Hand auf die Schulter. „Deutsche — gute Soldat —", sagt er, „brave Soldat —" Die andern nicken eifrig. Wir antworten nicht, denn wir können jetzt nicht ant worten. Die letzten Wochen haben uns mächtig mitgenommen. Wir mußten immer wieder ins Feuer und verloren unnütz Leute; aber wir haben nicht viel gefragt, sondern haben es getan, wie wir es all die Zeit getan haben, und zum Schluß hatte unsere Kompagnie noch zweiunddreißig Mann von zweihundert. So sind wir herausgekommen, ohne weiter nachzudenken und ohne mehr zu fühlen, als daß wir richtig gemacht hatten, was uns aufgetragen worden war. Jetzt aber, unter den mitleidigen Augen der Amerikaner, begreifen wir, wie sinnlos das alles zuletzt noch gewesen ist. Der Anblick ihrer endlosen, reichlich ausgerüsteten Kolonnen zeigt uns, gegen welch eine hoffnungslose Uebermacht an Menschen und Material wir standgehalten haben. Wir beißen uns auf die Lippen und sehen uns an. Bethke zieht die Schulter unter der Hand des Amerikaners fort, Kosole starrt vor sich hin, Ludwig Breyer richtet sich auf — wir fassen unsere Gewehre fester, unsere Knochen straffen sich, die Augen werden härter und senken sich nicht, wir scheu wieder die Landschaft entlang, aus der wir kommen, unsere Gesichter werden verschlossen vor Bewegung, und heiß geht es noch einmal durch uns hin: alles was wir getan, alles was wir gelitten, und alles was wir zurück- gelassen haben. Wir wissen nicht, was mit uns ist; aber wenn jetzt ein scharfes Wort hineinflöge, so würbe es uns zusammenreißen, ob wir wollten oder nicht, wir würden vorstllrzen und los brechen, wild und atemlos, verrückt und verloren, und kämpfen — trotz allem wieder kämpfen — Ein stämmiger Sergeant mit erhitztem Gesicht schiebt sich zu uns durch. Lr übersprudelt Kosole, der ihm am nächsten steht, mit einem Schwall deutscher Worte. Ferdinand zuckt zusammen, so überrascht ihn das. „Der spricht ja genau wie wir", sagt er verwundert zu Bethke, „was sagst du nun?" Der Mann spricht sogar besser und geläufiger als Kosole. Er erzählt, daß er vor dem Kriege in Dresden gewesen wäre und dort viele Freunde hätte. „In Dresden?" fragt Kosole immer verblüffter, „da war ich ja auch zwei Jahre —" Der Sergeant lächelt, als wäre das eine Auszeichnung. Er nennt die Straße, in der er gewohnt hat. „Keine fünf Minuten von mir", erklärt Ferdinand jetzt aufgeregt, „daß wir uns da nicht gesehen haben! Kennen Sie vielleicht die Witwe Pohl, Ecke Iohannisgasse? So ein? Dicke mit schwarzen Haaren? Meine Wirtin." Der Sergeant kennt sie zwar nicht, dafür aber den Rech nungsrat Zander, auf den sich wiederum Kosole nicht be sinnen kann. Aber beide erinnern sich an die Elbe und an das Schloß und strahlen sich deshalb an, als wären sie alte Freunde. Ferdinand haut dem Sergeanten auf den Ober arm: „Mensch, Mensch — quatscht deutsch wie ein Alter und ist in Dresden gewesen! Mann, wozu haben wir beide eigentlich Krieg geführt?" Der Sergeant lacht und weiß es auch nicht. Er holt ein Päckchen Zigaretten heraus und hält es Kosole hin. Der greift eilig zu, denn für eine gute Zigarette würde jeder von uns gern ein Stück seiner Seele hingeben. Unsere eigenen sind nur aus Buchenlaub und Heu, und das ist noch die bessere Sorte. Valentin Laher behauptet, die gewöhnlichen wären aus Seegras und getrocknetem Pferdemist, — und Valentin ist Kenner. Fortsetzung morgen!
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