Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 29.04.1931
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1931-04-29
- Erscheinungsdatum
- 29.04.1931
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19310429
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-193104294
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19310429
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1931
- Monat1931-04
- Tag1931-04-29
- Monat1931-04
- Jahr1931
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Erich Maria Remarque Der Weg zurück 17. Fortsetzung „Ernst", sagte sie leise, „ich wollte es dir schon immer einmal sagen: du hast dich sehr verändert. Du bist so un- ruhig geworden." Ja, denke ich bitter, ich habe mich verändert. Was weißt du denn noch von mir, Mutter? Es ist nur eine Erinnerung, nichts mehr als eine Erinnerung an einen schwärmerischen, stillen Jungen von früher- Nie, nie darfst du etwas erfahren von den letzten Jahren, nie darfst du ahnen, wie es wirklich gewesen ist und was aus mir geworden ist. Der hundertste Teil davon würde dir das Herz brechen, dir, die du schon zitterst und beschämt wirst durch ein einziges Wort, weil es dir bereits deine Vorstellung von mir erschüttert. „Es wird alles schon mal besser werden", sage ich ziemlich hilflos und versuche mich selbst damit zu beruhigen. Sie setzt sich zu mir und streicht mir über die Hände. Ich stecke sie weg. Sie sieht mich bekümmert an. „Manchmal bist du mir ganz fremd, Ernst, dann hast du ein Gesicht, das ich gar nicht an dir kenne." „Ich muß mich erst gewöhnen", sage ich, „ich fühle mich noch immer so, als wäre ich hier nur auf Besuch —" Die Dämmerung fällt ins Ummer. Vom Korridor kommt mein Hund herein und legt sich vor mir auf den Boden. Seine Augen schimmern, während er zu mir auf blickt. Er ist auch noch unruhig und hat sich noch nicht ge wöhnt. Meine Mutter lehnt sich zurück. „Daß du nur wieder gekommen bist, Ernst —" „Ja, das ist die Hauptsache", sage ich und stehe auf. Sie bleibt in ihrer Ecke sitzen, eine kleine Gestalt in der Dämmerung, und ich empfinde in einer sonderbaren Weich heit, wie plötzlich die Rollen vertauscht sind. Jetzt ist sie das Kind geworden. Ich liebe sie, ach, wann hätte ich sie mehr geliebt als jetzt, wo ich weiß: nie kann ich zu ihr kommen und bei ihr sein und ihr alles sagen und vielleicht ruhig werden. Habe ich sie nicht verloren? Mit einmal fühle ich, wie fremd und allein ich eigentlich bin. Sie hat die Augen geschlossen- „Ich ziehe mich jetzt an und gehe noch etwas aus", flüstere ich, um sie nicht zu stören. Sie nickt. „Ja, mein Junge", sagt sie — und nach einer Weile leise — „mein guter Junge." Es trifft mich wie ein Stich. Behutsam ziehe ich die Tür zu. * HI. Die Wiesen sind naß, und von den Wegen rinnt glucksend das Wasser. Ich trage ein kleines Einmacheglas in der Manteltasche und gehe den Pappelgraben entlang. Hier habe ich als Junge Fische und Schmetterlinge gefangen und unter den Bäumen gelegen und geträumt. tlop^rißkt 1931 b^ Ullstein O., Berlin Im Frühjahr hing der Graben voll Froschlaich und Algen. Helle, grüne Stauden von Wasserpest schwankten in den kleinen, klaren Wellen, langbeinige Schlittschuhläufer zickzackten zwischen den Stengeln der Schilfrohre, und Schwärme von Stichlingen warfen in der Sonne ihre eiligen, schmalen Schatten auf den goldgefleckten Sand. Es ist kalt und feucht. In langer Reihe stehen die Pappeln neben dem Graben. Ihre Aeste sind kahl, aber ein leichter, blauer Hauch hängt in ihnen. Eines Tages werden sie wieder grünen und rauschen, und die Sonne wird wieder warm und selig über diesem Stück Erde liegen, das so viele Erinnerungen meiner Jugend umfaßt. Ich stampfe auf die Uferböschung. Gin paar Fische huschen darunter hervor. Da kann ich mich nicht mehr be zähmen. Dort, wo der Graben schmäler wird, so daß ich mit gespreizten Beinen darüber stehen kann, lauere ich, bis ich mit der hohlen Han- zwei Stichlinge erwische. Ich schöpfe sie in mein Glas und betrachte sie. Sie schießen hin und her, zierlich und vollkommen, mit ihren drei Stacheln auf dem Rücken, dem schlanken, braunen Körper und den schwirrenden Brustflossen. Das Wasser ist klar wie Kristall. Die Reflexe des Glases spiegeln sich darin. Und auf einmal setzt mir der Atem aus, so stark empfinde ich, wie schön das ist, dieses Wasser im Glase mit den Lichtern und Reflexen. Behutsam nehme ich es in die Hand und wandere weiter, ich halte es vorsichtig und sehe manchmal hinein, klopfenden Herzens, als hätte ich meine Jugend darin gefangen und trüge sie nun mit mir nach Hause. Ich hocke mich an den Rand der Tümpel, auf denen dicke Schichten Wasserlinsen schwimmen, und sehe die blaumarmorierten Molche wie kleine Flatterminen hochpendeln, um Luft zu holen. Köcherfliegen larven kriechen langsam durch den Schlamm, ein Gelbrand käfer rudert träge über den Grund, und unter einer modernden Wurzel her blicken mich die erstaunten Augen eines un beweglichen Teichfrosches an- Ich sehe alles, und es ist mehr darin, als man sehen kann; — es ist noch Erinnerung, Sehn sucht und das Glück der Vergangenheit darin. Vorsichtig fasse ich mein Glas und gehe weiter, suchend, hoffend —. Der Wind weht, und blau liegen die Berge am Horizont. Aber plötzlich durchfährt mich ein rasender Schreck — runter, runter, Deckung, du stehst ja ganz frei im Blickfeld I — Ich zucke zusammen in wahnsinniger Angst, ich spreize die Hände, um nach vorn hinter einen Baum zu stürzen, ich zittere und keuche, dann atme ich auf, vorbei — und sehe mich scheu um — niemand hat mich gesehen. Es dauert eine Weile, bis ich mich beruhige. Dann bücke ich mich nach dem Glas, das mir aus der Hand gefallen ist. Das Wasser ist ver schüttet, doch die Fische zappeln noch darin- Ich beuge mich zum Graben hinunter und lasse frisches Wasser hineinlaufen.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder