Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 04.03.1937
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Berliner Sand hindurchläuft, solange wird sich nichts daran ändern, daß alles eigenartig Aufwachsende Zusehen mutz, wie es sich aus hartem Boden ohne Pflege und Teilnahme durch die Welt schlägt. Aber freilich: siud'S Rosen, werben sie auch blähen — und wenn sie verwelken muffen, ohne datz sich auch nur eine Menschenscele ihres Duftes er freut hätte». Ein« Fortsetzung findet der »Mchr-Goethe»-Kampf in der späteren Schrift: »VomDiesseltsunbJenseits« (erster Ti el: »Dies und das und anderes»). Wo Huch in »Mehr Goethe» übers Ziel hinausgeschossen hat, ist er ehrlich genug, das zuzugeben, und in dem neuen Buch die notwendigen, am Grundsätzlichen nichts ändernden Einschränkungen zu machen. Ins Ganze gesehen gibt Huch in dem Buch »Vom Diesseits und Jenseits« gleichsam den gedanklichen Extrakt seiner dichterischen Werke, wobei er alle Gebiete des bürgerlichen Lcbenszustaudes: Parteien, Politik, Literatur, Kunst, Religion einer unerbittlichen Kritik unterzieht. Der Reichtum des dichterischen Werkes Rudolf Huchs ist erstaunlich. Die Mehrzahl seiner erzählerischen Bücher sind Zeitromane, deren Gehalt bestimmt wind durch die erzieherischen Absichten, die in den soeben kurz gekennzeichneten kritischen Schriften schon deutlich hevauS- tretcn. So scharf und eindeutig Huch dort eigene Ansichten formuliert, so peinlich vermeidet er es in seinen dichterischen Werken, wandelnde, Mensch gewordene Programme austreten zu lassen. Die Problematik des Lebens, die ihn selbst ernst und hart ansaßte, liegt den Gestalten seiner Bücher nicht auf der Zunge, sondern verdichtet sich in ihren Schicksalen und Lebensläufen, da es entgegen den damals üblichen Gepflogenheiten der Dichter, ihre »Menschen zu Verkündern ihres Tiefsinnes« zu machen, stets Huchs Bemühen war, »Menschenleben und Menschenlose organisch auswachsen zu lassen». Wir wollen im folgenden den Versuch machen, die Fülle der er zählerischen Bücher Rudolf Huchs der besseren Übersichtlichkeit halber in bestimmte Gruppen zu ordnen. Über alle diese Gruppen sei, um nicht den Anschein des Schematismus zu erwecken, ein von dem Dichter selbst stammendes Wort geschrieben: »Es war mir immer nur um die Menschcnzutun» :^ein Wort, in dem das ganze »Pro gramm» des Dichters Huch, soweit man bei ihm von Programm überhaupt sprechen darf, enthalten ist: von der Moral des Tatsäch lichen zur Moral des Menschlichen zu slihrcn. »Wenn man woitz, und das mutz man eben wissen, ob jemand ein seiner Mensch ist ober nicht, dann bedeutet die Tatsache seines Lebens nicht mehr als der Rohstoff beim Kunstwerk«. Dieser Satz steht in dem Roman »Talion«, wohl einem der erschütterndsten Bücher aus der Zeit vor dem Krieg. In die »Talion--Gruppe gehören etwa der Roman: »Sp i el a m u ser« mit dem Heraklit-Wort: »Des Menschen Schicksal ist er selbst« als Motto, oder, anders gewendet: »Nehmt die Gottheit auf in eueren Willen, und sie steigt von ihrem Weltenthron«, wobei hier wie dort die Apostrophierung des Menschlichen sich als das Wesent lichste herausstellt. Für Huch ist erst in zweiter Linie wichtig eine Antwort aus die Frage nach der Freiheit oder Unfreiheit des mensch lichen Willens, weil Wert und Unwert des einzelnen an seiner Stel lung und seinem Schicksal sich entscheiden. »Mag dieses unser Dasein nur eine schnell vergehende Form einer unbekannten Weltseclc sein, mögen wir selbst uns ewig unbekannt bleiben, wir sind doch wir selbst, und unser Wille ist gewaltiger als die Sterne. Mein ne»es Leben soll die Tat sein, und es soll mich nicht beirren, daß ich nur im Engen wirken werbe. Gehe ich trotz alledem zugrunde, so geschieht es doch nicht in Unfreiheit. An dem Einen sind wir über Aischylos und Sophokles hinausgeschritten. Wir kämpfen gegen das Schicksal, das noch über dem Zeus waltete, mir kämpfen und ringen, auch wenn es schon zu dem Schlage ausholt, der uns zermalmen soll — und vertrauen landend oder scheiternd unseren Göttern!« (»Spiel am User-). Zur Talion-Gruppc wären außerdem etwa noch zu zählen: die »Geschichte einer Jugend«: »Max Gebhard«: man höre z. B. diesen Satz: »Eine vornehme Natur empfindet jede Überlegenheit, die außerhalb ihrer innersten Persönlichkeit liegt, als eine Sache, die ans Beschämende grenzt», und schließlich: »Das Lied der Parzen«, da auch hier weniger die »Moral des Tatsächlichen« als vielmehr die »Moral des Menschlichen« wichtig sind. Der eben genannte Roman: »Max Gebhard» wird gewöhnlich mit der Marke »Entwicklungsroman« versehen. Die darin geschilderte Ent wicklung allerdings vollzieht sich fast ausschließlich im Innern des Helden — selbstverständlich nicht autzerhalb des Strahlenkreises tat sächlicher Ereignisse, aber doch bei fast völliger Statik des Geschehens. Auch in der Form wird das angedeutet: Max Gebhard erzählt sein Leben in einem Tagebuch, das in Abschnitte von fünf zu fünf Jahren gegliedert ist, also nicht in ruhigem Weitcrslietzen, sondern gleichsam ruckweisem Vorwärtstrciben des Geschehens. Entwicklungsroman bei größerer Ausgeglichenheit der Form ist der Roman: »Hans der Träumer«. Das ist der Mensch, der, herauslretend aus der im verborgensten Innern seiner Seele ruhenden Traumwirklichkeit seiner Lebens, zerbricht an der roh und herzlos aus ihn cindringenden Alltags- Wirklichkeit seiner Umgebung. Die herauSsovdrrnde Gegenüberstellung der beiden »Moralen», des »Tatsächlichen« und »Menschlichen«, gestaltet Huch in einer anderen Gruppe seiner Werke, zu der etwa zu zählen wären: die »Lebens bilder«. »W as liegt denn dran?» und die zwei Novellen »Hohe Schule» und »Menschenschifflein« in dem Sammelbande »Hohe Schule«: dann der schmale Roman »Altmännersommer», ein von einem ganz echten, köstlichen Humor erslllltes Buch, das sich für mehrmaliges Lesen eignet, und endlich der Roman »Das un bekannte Land«, den eine düstere Schwermut crsüllt. Der Mensch als Glied der Familie, der kleinsten und wichtigsten Gemeinschastszelle eines Volkes, steht im Mittelpunkt der beiden Ro mane: »Die Familie Hellmann» und »Die beiden Ritterhel m«, wobei letztere sich mehr oder weniger auch der Gat tung des Entwicklungsromans nähern. Mit den Menschen als Gesell- schaflswesen befassen sich vornehmlich folgende Bücher Huchs: »Die R ll b e n st äd t e r«. Eine Kleinstadt- und Sommergeschichte: »Ko mödianten des Lebens»; »Der Frauen wunderlich Wesen«. Im weiteren Sinne gehören freilich alle Zeitromane Huchs In diese Gruppe: als Gesellschasts- und Zeitsatire lassen sich dazu- stcllen das Lustspiel »Der Kirchenbau«, der satirische Roman »Wilhelm Brlnkmeyers Abenteuer«, den namhafte Kritiker und genaue Kenner feiner Werke für die beste Dichtung Rudolf Huchs halten, und schließlich der Roman »Anno 1Ü22». Tie »N ll b e nst 8 d t e r- sind ein an des Lebens Oberfläche dahin plätscherndes Völkchen, das durch den erwarteten Besuch einer kleinen Durchlaucht etwas in Wallung gebracht wird. Rudolf Huch hat keine stärkeren künstlerischen Absichten mit diesem Buch als ein Helles Ge lächter über die rührende Aufgeblasenheit dieser an sich so harmlosen Kleinstädter. »Ich will nichts als in aller Behaglichkeit eine Geschichte erzählen«. In tiefere Bezirke stößt Huch dann wieder vor in den »Komödianten des Lebens« und in der »Frauen wunderlich Wesen». Die Unehrlichkeit, Verlogenheit, Leerheit und Plattheit des Lebens in der sogenannten »höheren Gesellschast- einer deutschen Kleinstadt, in der echte tiefe Vornehmheit in den Hintergrund gedrängt wird und kaum zur Geltung kommt, wenngleich sie am Schluß doch als die wirkliche Siegerin dastcht: dieser merk würdig tragikomische Lebenszustand hat in Huch hier einen meister lichen Darsteller gesunden. Tiefer noch schürft Huch in dem Roman: »Der Frauen wunderlich W e s e n«, der bei aller menschlichen Kleinheit, die auch hier gegeißelt wird, voll ist von echtem Schicksals- geflihl. Immer ist es eigenes Erleben, das den ernsten Hintergrund seiner Werke bildet: der Zusammenbruch des väterlichen Geschäftes, der Zwang zu einem ungeliebten Beruf, das zeitlebens in die Enge gepreßt sein, die Teilnahmslosigkeit der Mitwelt seiner künstlerischen Arbeit gegenüber. Halten wir dazu die oberflächliche Sattheit und Selbstzufriedenheit der überwiegenden Mehrzahl der Zeitgenossen, ihr breites Behagen au einem siir unverlierbar gehaltenen Lebensbesitz und ihre große Liebe zu jeder ungestörten Dahinlebensruhe, dann lernen wir die Menschen in ihrem Sosein verstehen, die Rudolf Huch vor uns hinstellt. Unter deren Gegenspielern finden wir prachtvolle Gestalten, die in scharfgeschlissenen Dialogen plastisch werden: Männer voll echten Aristokratentums, aufrichtig, ehrlich, unbeugsam, mit dem feinen Gefühl für alles Anständige und Vornehme: unvergeßliche Frauengestaltcn an ihrer Seite, still, zart, träumerisch, in sich ver sunken und andere voll wilder, ungebändigter Lust zum Leben. Dieses seine Gefühl siir alles Adlige in Menschentum und Lebensführung mach: den Dichter um so empfindlicher in dem fast hoffnungslosen Kampf der ihm zur Lebenslust geworbenen, ausrechten, männlichen, aristokratischen Haltung gegen den üb-rhandnehmenden Feminismus der Zeit. Je hoffnungsloser ihm aber ein ehrlicher Kampf erschienen sein mag, um so trotziger reckte sich sein Lebenswille aus gegen die drohende Vergewaltigung durch menschliche Niedrigkeiten und gegen das Spiel widriger Mächte, durch die er eine langsame und schmerz, liche Läuterung zum Glauben an den Sinn des Schicksals, an die tiefe »Ehrfurcht vor dem Unergründlichen» erfährt. »Werden und Ver gehen ist das Gesetz sür alles Lebendige. Die Frage ist, ob wir an etwas Dauerndes in dem ewigen Zerstäuben glauben wollen, oder ob wir diesen Glauben entbehren können, ohne an der Welt zu verzweifeln«. Das hier Gesagt« möge als eine gedrängte Bestandsaufnahme gewertet werden, die vielleicht imstande ist, einen ungefähren Ein druck zu vermitteln von dem unerhörten Reichtum des dichterischen Werkes Rudolf Huchs, dem im neuen Deutschland doch noch ein Strahl jenes »Abendsonnenglanzes» beschieden sein sollte, der einst auch — viel zu spät — auf seinen greisen Landsmann Wilhelm Raabe fiel. 1ÜS Nr. 52 Donnerstag, den 4. März 1937
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