VLir 1.^.0 0. SLkriLI-ZLIn oHULK81,0lt Leseprobe Ernst Zahn, Das Kreuz Martinas Zwingeisen schritt mit schüttelnden Tritten in den stuhlfreien Raum der Werkstatt vor, wo eine Art Kolzpodium, einige Stasseleien, Lolz- und Marmorblöcke und angefangene, verhüllte Arbeiten bunt durcheinander lagen und standen. Mit dem Fuß zog er einen Schemel hervor, riß von einem hohen, ungefügen Gegenstand das ihn bedeckende schwarze Tuch und enthüllte ein mächtiges Kruzifix, das für den Altarraum irgendeiner Kirche bestimmt schien. Dem setzte er sich gegenüber und starrte auf das düstere Kreuzholz, den Stamm- und den Querbalken, an die die Gestalt des Leilands noch nicht genagelt war. Der Meister sah dieses Kreuz seit einiger Zeit in Traum und Wachen. Es bestand aus schwerem, altem und altersdunklem Eichenholz. Zwei der Schüler vermochten es gemeinsam nicht zu heben. Zwing eisen hatte ihnen erklärt: „Das ist das rechte Sinnbild der Folter, schwer, gnadenlos hart wie die Sünde und die Anbarmherzigkeit der Welt. Ein Bild des Menschensohns muß darangeschlagen werden, das hundert Qualen wiedergibt, Schrecken über die Erbsünde, Leid um die Verlorenen, die eigene erdgebundene Angst vor dem Tod, das Zittern des gepeinigten Leibes und die Sorge, ob Tod Erlösung bringen werde. Das Leben muß darin aufrauschen wie das zurückgsdrängte Blut in den erstarrenden Adern. Wahr heit ist alles in der Kunst/' Er selbst hatte in seiner eigenen Seele seit Wochen nach dem Bilde gesucht. Lundertmal hatte er es aus seinem Innersten heraufgerissen und hundertmal sein Richterwille es verworfen, der gegen alles, was er schuf, wütete, so daß er nur selten Geschaffenes weitergab, sondern immer wieder mit zornigem Lämmer zerschlug, was ihn nicht befriedigte. Auch jetzt war er, ganz nur von den Gedanken an das Kruzifix erfüllt, in die Werkstatt getreten. Er hatte der Schüler nicht geachtet. Blindlings hatte er sich wieder vor das Marterholz gesetzt und starrte es an, sah gelbweiße Glieder daraus hervorwachsen, elend, Hunger- und qualzernagt, nagelzerrissene Lände und Füße, von denen Blut troff. Lände und Füße! Lei, die hatte er gefaßt! Die hielt er fest! Nur — nur der Kopf wollte ihm noch immer nicht lebendig werden: Wirres Laar, schwsißgebadet und in Strähnen über die gelbbleiche Stirn hingeschlagen, hinter der man die Ge schichte der Menschheit mußte lesen können, einen schmalen, zuckenden Mund, der tausend Schreie der Qual verwand, eingefallene Wangen und das Auge — diesen tiefen, geheimnisvollen Spiegel der Seele —, in dem das Grauen und der Zorn und die Geduld und die Barmherzigkeit, alle vier, zur gleichen Zeit flackern mußten! Die Wucht des menschlichen Leidens und der göttlichen Leidensüberwindung in die Züge eines Bildes festzubannen, das war eine Nissenaufgabe, die zu lösen vielleicht nur einem gelang, der selbst alle Qual der Welt erduldet und überwunden hatte! Cr, Martin Zwingeisen, glaubte das immer mehr zu er kennen, während er dem innersten Kern seines künftigen Werkes nachgrub. Gestern hatte er den Schülern die Aufgabe gestellt, eins Lsilandsfigur zu zeichnen, in der das, was er sagen wollte, wiedergegeben sei. Er erinnerte sich dieses Auftrages, während er jetzt vor dem Kreuze saß, und dieses Erinnern war wie ein Aufwachen. So kam er immer aus seinem Künstlertuin in seine Menschenweise zurück, aus weiten Einsam keiten der Phantasie in den Alltag. Dis Leute wußten nicht, wie das mit ihm war. Sie schalten ihn einen mürrischen, unleidlichen Sonderling, manchmal sogar einen hassenswerten Tyrannen. Aber Martinus Zwingeisen war nicht er selbst, wenn er mit andern verkehrte. Diese andern störten ihn, rissen ihn aus seinein Grllblertum, seinem ewigen Ringen mit sich selbst. Darum war er kalt oder unwirsch oder zornig je »ach Stiinmung. Nur eine hatte Macht über ihn, das war Britta, seine Tochter, die tiefer in sein eigentliches Menschentum hineinzublicken vermochte. Jetzt aber wandte er sich seinen Schülern zu. Diese Leseprobe steht als vierseitiger Prospekt kostenlos zur Verfügung.