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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 28.09.1937
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1937-09-28
- Erscheinungsdatum
- 28.09.1937
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
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- Digitalisat
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- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19370928
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- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
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Lischmarkt Eisig kalt pfeift der Nordost um die Danziger Türme, die weißvermummt im nacht dunklen Sylvestermorgen stehen, läßt die Wctterhähne krächzen, poltert an die verram melten Lucken der Glockenstuben, drückt amFenster des Türmerstübchens von St. Johann, von dem längst kein Wächter mehr nach Feuer und Feind ausspäht, zwei Scheiben ein, läuft zum Krantor zurück und rasselt mit der Hängekette, faucht über die Speicher am Dleihof und kreist ein paarmal um den dicken Schwanenturm am Fischmarkt, daß der Schnee in Wolken auffährt. Schließlich setzt er sich in die Wanten der hohen Kutter, schaukelt die schweren schwarzen Kähne durcheinander und bringt alles in Aufregung, obgleich St. Katharinen noch nicht die sechste Morgenstunde ausgesungen hat. Aber nicht allein derNordost findet keine Ruhe, auch die Menschen sind schon unterwegs, wenigstens die, die es irgendwie mit Fischen zu tun haben. Denn der Sylvester ist ein großer Fischtag. Wer es nur irgend schaffen kann, will heute nach altem Brauch seinen Karpfen in der Schüssel haben, einmal wegen seines Feingeschmacks und dann auch wegen der bedeutungsvollen Schuppen. Wer sie am letzten Tag des Jahres vom blanken Spiegelkarpfen löst, hat Geld das neue Jahr, wenn er sie immer bei sich trägt. RentnerKnappke aus der KleinenHosennähergasse lacht jedesmal über diesen blöden Aberwitz seiner Frau. Aber nach dem Mittagessen, wenn alles still ist im winkligen Hause, knarrt leise die dunkle Treppe, und durchs Brotbänkentor schleicht er heimlich die Lange brücke entlang zu den Kuttern. Vermißt seine Frau abends an den gönnerhaft im steif gefrorenen Netz ihr überreichten Fischen ein Paar der schönsten goldigen Schuppen, dann knurrt der Graukopf nur: „Ra wenn schon, für Deinen Aberglauben sind immer noch genug daran!" und heimlich tastet der behaglich in die blaue Wolljackentasche gehängte Zeigefinger nach einem gefältetenPapicrchen, in dem wohl einSchah verwahrtsein muß. Doch zu so früher Dämmerstunde wartet noch keine Hausfrau am Häker- und Tobiastor auf ihr Sylvestcrglück. Nur dick vermummte Fischer und Händler treiben da ihr Wesen, die unförmig mit Wollkleidern bepackten Fischfrauen und die Aufkäufer und Expedienten der Geschäfte. Noch hängt die Silbersichel der langen Winternacht am schwarzen Himmel, an dem dieSterne eben schlafen gehen, da klirren schon die Schlüsselbunde, schrammen rostige Türen in den bereiften Angeln und schleppen die Männer die braunen Weidenkiepen mit Karpfen und Dressen aus den Kähnen und Schuppen auf den Stand. Der alte Wolter drückt die eiserne Karre mit Bücklingen über die holprigen Klinkern, Eduard Block hebt zwei schwere grüne Bottiche mit Schleien übers Bollwerk, die er eben aus den Sicken geküschcrt hat, und vom „Brausenden Wasser" her stampfen in Transtiefeln zwei Neu- fährer Fischer heran, Simon Eroth, der Alte, und sein Sohn Heinrich, der mit Luckner auf dem „Seeadler" gefahren ist. Der junge Klatt rollt seiner Mutter die Heringstonnen an die breitspurige Dcrkaufsbank, Frau Nicklas legt die fettriefenden Pfundoale aus und schichtet die „Bündchen" daneben. Die Waage wird dazugestellt, die klebrigen Gewichte aus dem Holzkasten geklaubt und die Zeitungen zum Einwickeln mit frostklammen Fin gern halbiert. Durchs Buttertor schiebt sich behäbig Mutter Noetzel, das schwarze Wolltuch fest über Hut und Backen geknüpft, den Leib unter der gestreiften blauen Schürze vorgebuchtet, wie alle älteren Fischmarktfrauen tun. Sie ist noch gut zu Wege, die Neunundsiebzig- jährige, nur Treppensteigen fällt ihr schwer. Die blaugefrorenen Finger müssen sich in die morschen Wandziegeln krallen, als sie die wenigen Torstufen herabkvmmen will. „Na, Noctzelsche, bat jeiht hiet ower ok goarnich mehr!" lacht August Prohl und sortiert seine durcheinandergefallenen Sprotten in der grauen Schüssel. „Lot Du man de Lied' en Roh! Wellst woll, dat eck mi doalsett op dat Fs, wat?l" 14 587 Nun ist sie unten angelangt und rudert mit seitlich abgespreiztenArmenaufKielmann« überdeckten Kahn zu, Karpfen einzukaufen, ehe der Dampfer mit der frischen Räucher ware aus den Fischerdörfern der Nehrung die Tote Weichsel herunterkommt. Ein Drängen ist das im feuchtkalten Schiffsraum unter der rötlichen Kohlenfadcnlampe, daß sie kaum an das Seitentürchen kommt, das zu dem Boot mit den Sicken führt. Unten sucht Kielmanns Junge im schwarzen Wasser herum. „Twee Zäntner jemescht!... Säwentig Pond, ower keen' under säß Pond l... Beer von de ganz grote, egoal wat se weje ...", so schreit es durcheinander, und ungeduldige Mäuler saugen an der Morgenpfeife, klamme Hände wärmen sich reibend unter den Schürzen, bis die verlangte Menge klatschnaß und luftschnappend auf der Dezimalwaage liegt. Mit „frohes nieges Ioahr!" und „dankscheen, glickfalls!" gehen die Käufer davon. Zahlen kann man erst im Januar, nach dem Verkauf. MutterNoehel hat sich aufeine herumstehende Zanderkiste gehockt, neben derdiegroßen blauen Neunaugendosen und die Gestelle mit den Bratheringen gestapelt sind, denn das Stehen fällt ihr schwer. Endlich hatKielmann auch ihren Bedarf von der Waage indenWasscrbottichgeworfen. Der Alte dehnt sich langsam hintüber, um sich zu verpusten, denn er ist schon kreuzlahm von dem vielen Bücken heute früh. „So, fünfundzwanzig Pfundchen, alles lcbendfrischl" meint er dann, seine Ware be haglich anerkennend. Mutter Noetzel blinzelt von ihrer Kiste aus etwas schläfrig auf die Spiegel- und Schuppcnkarpfen, die im Kübel zu ihren Füßen zappeln und springen. Plötzlich bückt sie sich und hebt einenDreipfünder hinter denKiemcn hoch, der unbeweglich in ihrer rissigen Hand liegen bleibt und einen verlaufenen roten Fleck auf dem geblichen Bauche trägt: „Nee, Kielmann, den nicht" „Der is aber goldfrisch. Karl hat ihm wohl bloß gestoßen beim Auskippen!" „Wenn Se sich man nich jestote hewwe! Dotjefrore es del" Und sie wippt ihn in den Wiegekorb zurück. „Nee, sowas aber auch I" meint Kielmann und schmeißt einen anderen, der mindestens seine vier Pfund hat, aus dem triefenden Käscher ungewogen in den grünen Bottich: „Auf gut Ieschäft im neicn Jahr!" Ec greift das beim langen Verwiegen erloschene Pfeifchen vom braunen Deckenbalken, und, während er das Streichholzfeuer einzieht und die ersten Wölkchen ausftößt, kommt es anerkennend zwischen den tabakbraunen Zähnen hervor: „Ja, ja,... wenn einer so ... seine fuffzig Jährchens ... auf'm Fisch markt steht..." „Eencnsästigl" bemerkt Noetzelsche trocken und hebt sich schwerfällig hoch. „Wat, so lang' all? Ne scheene Zeit!" „go, on emmer noch leifig, blot dat Riete en de Föt! Ower rast' eck, dänn rost' eckl" Bon draußen summt ein langgezogenes Tuten durch die Bretterwände. „Hurrjes, Kiel mann, de Damper kcmmtl" So schnell die bleischweren, geschwollenen Füße wollen, klettert sie über die schrägab laufende Brücke vom Kahn und läuft am Bollwerk längs zum Häkertor, daß die Klotzkorken poltern. An allen Kähnen geht ein Hasten entlang. Die Türe von Mutter Scngers Kneipe wird aufgcrissen, und die Räucherfischhändler, die Expedienten springen die Steinstusen hinab auf die Langebrücke. Dom Tobiastvr her klappert die alte Hinkel auf Holzschlorren heran, durchs Häkertor laufen die Weiber, die an der „Iüd'schen Langgasse" ihren Stand haben, zur Mottlau hinunter. Nur heute nicht den Dampfer versäumen, sonst ist das Ge schäft hin! Die Anlegestelle am Bollwerk unten ist schwarz von wartenden Menschen. Oben auf der Langenbrücke rücken Wolter und der alte Putthenner, der immer nur „Puttchen" ge nannt wird, die Karren zurecht und die Handwagen. IS f.». Dciiychkn »EanSki, ,g<. Jahrgang, ^ Di°n«gg,»c„2s,Ee»,cm«eru>S7
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