Montag, den 14. April 1913. Umschlag zu ^ 84. Die Dichtung von 1813! Aus einem Feuilleton der „Täglichen Rundschau . DerRufdesLebens (Ein Roman aus der Zeit der Freiheitskriege. Von Julius Lavemann.) Die Literatur über das Jahr 1813 nimmt in diesem Jahre beängstigenden Amsang an. Wieder einmal, wie nun schon bei allen größeren Gedenkfesten, wird es dem einfachen Leser unmöglich sein, in dem Wust das wirk lich Wertvolle herauszufinden. Die Vermittler zwischen der großen Masse der erscheinenden Bücher und dem Leserkreise haben die Pflicht, nur das in höherem Sinne Dauernde herauszuheben, nur auf das in jeder Hinsicht Werthaltende,Wertbringende nachdrücklichst hinzuweisen. And mir ist die Freude geworden, heute dieser Pflicht Nachkommen zu können. Es handelt sich um den großen Roman: „Der Ruf des Lebens", Roman aus der Zeit der Freiheitskriege von Julius Havemann. (Leipzig l9l3, Verlag von Gideon Karl Sarasin. Zwei Bände zu 392 und 412 Seiten. Preis geheftet 8 M., gebunden 10 M-) Ich sage nicht zu viel, wenn ich dies Werk die Dichtung jener erhabenen Epoche nenne; ich stelle es unbedenklich über Fontanes „Vor dem Sturm", mit dem es hier und da einige Verwandtschaft hat. Sofort bei Beginn der Lektüre fühlt man, daß dieser Roman nicht aus das Jubiläumsjahr hm angelegt ist, daß das Jahr 1913 nicht dies Buch aus 1813 hervor- gerufen hat. Julius Havemann, der allmählich durch seine Novellen- bücher „Perücke und Zopf" und „Eigene Leute" be kannt wird, ist ein Dichter der Menschenseele im tiefsten Sinne des Wortes. Er will das geheime Erleben geben, das in jedem Individuum seine Fäden zu einem weiten Netze spannt, in dem sich der Zeitgeist verfängt. Nicht durch das Antiquarische, durch den anekdotischen Klein kram, nicht durch die Vielheit stofflicher Einzelheit und auch nicht durch die Häufung von historischen Gescheh nisse ersteht bei Havemann die Vergangenheit, sondern gleichsam von innen heraus, indem die geschilderten Menschen sie ausatmen und ausstrahlen, so eine At mosphäre bilden, in der allein nur sie denkbar sind, zu sein vermögen. Darum haben alle in die Geschichte verlegten Werke dieses aus Lübeck stammenden Dichters eine überwältigende Deutlichkeit in dem Nacherleben des Vergangenen: es ist uns, den Lesern in der Gegen wart, als seien wir an dem „Einst" persönlich beteiligt, mit dem „Einst" unlöslich verbunden. So unmittelbar dichterisch packt uns Julius Havemann, weil er den großen Überblick hat. Er ist in seiner Weltanschauung der große Philosoph des Heraklischen ,,-ra^r« im ewigen Flusse der Dinge sieht er nur ein Bleibendes, und das ist das Größte: des Menschen Herz; dem ist seine Kunst gewidmet, dem gelten seine Werke, gilt auch „Der Ruf des Lebens". Schwerer Melancholie voll ist das Werk, und doch zugleich getragen von so männlicher Ruhe, Sicherheit und Kraft, daß es wie eine große Reinigung, Befreiung von allem Schlackenhaften des Daseins wirkt, allein darauf gerichtet, das Größte des Daseins als das Schönste zu erweisen, empfinden zu lassen: Liebe und Tod. Denn an den erst ist der Ruf des Lebens voll ergangen, der auch den Ruf der Liebe und des Todes darin vernommen hat. Nie war dieser Gegen satz — im Leben stets vorhanden — mehr weltgeschicht licher Ausdruck geworden als 1813: Liebe und Tod; hier die Jugend, die dem Rufe der Liebe folgt, und dort das Schlachtfeld, auf dem Tod herrscht, wohin die Jugend freudig stürmt. (Folgt Inhaltsangabe.) Anbeschreibbar ist die Bedeutung des Nomanes, seine vielfältige Schönheit wird dem Leser auf jeder Seite offenbar, der die Geduld gehabt hat, die ersten hundert Seiten abwartend aufzunehmen. Dann lebt er mit den wundervollen Menschen des Buches: dem Schneider Taupin, der „Tschossefin", mit all den ernsten, würdigen, treuen, aufrechten Männern und Frauen, in denen der deutsche Charakter herrscht und mächtig ist. Dann erlebt der Leser den Überfall von Kitzen mit, grandios geschildert, nnd die Schlacht bei Leipzig, durch deren Gestaltung Havemann sich neben den Kriegsdichter Tolstoi und den Waterlooschilderer Stendhal stellt. Aber genug der Wortei Nur eine Mahnung an das deutsche Volk bleibt: es vergesse diesen Dichter nicht; was er schuf, hat er für alle geschaffen, und zu allen muß dieser Roman dringen; dafür Sorge zu tragen, ist nationale Pflicht! ?en^Roman^ „Der Nuf des Lebens" von Julius Havemann! Weißer Zettel anbei. VerlagvonGideonKarlSarasininLeipzig,Seeburgstr.100.