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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 18.01.1938
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- 1938-01-18
- Erscheinungsdatum
- 18.01.1938
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Bekenntnis zum deutschen Buch Von Dr. P. Skawran, Professor an der Universität Pretoria, Südafrika Der Wert des Buches und die Bedeutung, die es für jeden einzelnen von uns besitzt, wird uns meist erst klar, wenn wir das Buch einmal für längere Zeit entbehren müssen. Das weiß vielleicht niemand besser als gerade wir Aus ländsdeutschen. Und wir wissen es besonders dann, wenn wir in einer sehr artfremden Umgebung wohnen oder gar in einer Ein samkeit, in die kein Freund oder Landesgenosse eindringt. In solchen Fällen ist das Buch, die Zeitschrift, die Zeitung die einzige direkte Verbindung mit der Heimat. Es wird unser ein ziger Freund und Vertrauter, mit dem wir in unserer eigenen Zunge reden können. Der uns versteht und der uns tröstet. Der uns über die bitteren Stunden der Einsamkeit, des Abgetrennt seins von der Heimat hinweghilft. Ich entsinne mich da an den Brief eines Freundes aus Zentralamerika. Er saß mutterseelenallein mitten im Busch auf seiner Bienenfarm. Meilenweit entfernt vom nächsten Ort. Tag aus, tagein kein anderes Gesicht als das der braunen Indios. Kein andres Wort als das eigenartige Gemisch von Spanisch und Portugiesisch, das man in Costa Rica spricht. Dazu war es Weihnachten. Durch einen Fehler beim nächsten Postamt hatte er ein halbes Jahr lang keine Post erhalten. — Plötzlich kom men die verspäteten Briefe und Drucksachen — »An dem Tag«, schreibt der Freund, »habe ich nur gelesen. Briefe, Zeitungen, Bücher. Von vorn bis hinten und wieder zurück. Sämtliche An zeigen habe ich mitgelesen. Sämtliche Rätsel gelöst! — Mein Gott, war das schön.« In diesem Brief erleben wir etwas von der Freude der Menschen, die — tausend Jahre zurück, als es noch keine Bücher gab — einen Brief, etwas Geschriebenes erhielten. Man kann sich gut vorstellcn, mit welcher Hingebung und Andacht so ein Brief oder ein Gesang, eine Pergamentrolle durchstudiert wurde. Es ist Wohl kaum übertrieben, wenn man Gutenberg den für die menschliche Kultur bedeutendsten Erfinder nennt. Denn was wäre unsere heutige Kultur ohne das Buch? Was wäre unsere Wissenschaft, unsere Technik, unsere Kunst? Wir können uns unsere Kultur ohne das Buch gar nicht denken. Und wir können stolz darauf sein, daß es ein Deutscher war, der diesen gewaltigen Fortschritt im Kulturleben der ganzen Welt möglich gemacht hat. Was kann uns modernen Menschen nun das Buch sein? Uns, die wir mit Büchern, Zeitungen und Zeitschriften übcr- häust werden? Welchen Sinn hat es, in seiner freien Zeit ein mal nach einem schönen Buch zu greifen? Die Bedeutung des Buches für den einzelnen Menschen ist wohl zu jeder Zeit eine andere gewesen. Bor tausend Jahren war der Genuß des Buches nur wenigen besonders vom Glück Begünstigten Vorbehalten. Für sie war das Buch, d. h. das ge schriebene Buch, ein Unterhaltungsmittel, mit dem man leere Stunden angenehm füllte. Für den Priester war es ein Mittel der Erbauung und Belehrung. Die Bibelübersetzung durch Mar tin Luther machte dann zum erstenmal das Buch auch den weniger Gebildeten zugänglich. Goethe sagte 1832 zu Eckcr- mann: »Wir wissen gar nicht, was wir Luther und der Refor mation alles zu danken haben. Wir sind frei geworden von den Fesseln geistiger Borniertheit, wir sind infolge unserer fortwach- scnden Kultur fähig geworden, zur Quelle zurückzukchren und das Christentum in seiner Reinheit zu fassen. Wir haben wieder den Mut, mit festen Füßen auf Gottes Erde zu stehen und uns in unserer gottbegnadeten Menschennatur zu fühlen.» In dem geruhsamen Zeitalter dann, das der Erfindung der Maschine vorausging, hat das Buch dazu beigctragen, das still dahinflicßende Leben des biederen Bürgers zu verschönen und zu bereichern. Und dann kommt unsere Zeit. Die Zeit des Hetzens und Jagens. Die Maschine zwingt zur Arbeitsteilung. Keiner lebt mehr ein volles Leben, jeder wird irgendwie vergewaltigt, in seinem Beruf und in seinem Privatleben. Da drängt es mehr denn je nach einer Loslösung vom Wirklichen. Nach Ergänzung und Erfüllung dessen, was unterdrückt und verdrängt ist. Und da unsere Wünsche in der Wirklichkeit so schwer zu erfüllen sind, nehmen wir unsere Zuflucht zum Buch, in dem von großen Taten, innigem Liebesglück, verehrungswürdigen Menschen er zählt wird. Wir haben die Zeit des Mittelalters und der Reformation, in der die Bibel fast das einzige Buch war, auf das das allge meine Interesse gerichtet war, weit hinter uns gelassen. Die Produktion an Büchern ist ins Nngemessene gestiegen. Es gibt kaum ein Gebiet, über das nichts geschrieben wäre. Jeder kann etwas finden, was ihn interessiert. Es ist heute schon so weit gekommen, daß es selbst für Fachleute unmöglich ist, sich völlig — d. h. auf jedem Gebiet ihres Faches — auf der Höhe ihrer eigenen Fachliteratur zu halten. Die Spezialisierung schreitet in erschreckender Weise immer weiter fort. Man hat mitunter den Eindruck, als lebten wir wieder in den Zeiten des Turmbaus zu Babel. Jeder redet in einer anderen Sprache. Oder — wie man das heute nennt: jeder hat seine eigene Terminologie. Bis in die einfachsten Berufe geht die Verwirrung der Begriffe. Das Buch, das zum großen Teil für dieses Wirrsal der Ge fühle mit verantwortlich ist, läßt uns auch wieder aus ihm herausfinden. Es gibt uns unser seelisches Gleichgewicht, unsere gemeinsame Sprache wieder. Unser »Tag des Buches« hat wohl vor allem die Pflege des Buches in diesem letzten Sinne des Wortes im Auge. Er will uns daran erinnern, daß wir noch ganze Menschen sind. Nicht nur mechanisierte Apparate, die auf Grund ihrer Intelligenz mit größerer Präzision arbeiten als die beste Maschine. Der »Tag des Buches« will uns daran er innern, daß wir fühlende Menschen sind. Menschen, die zu einer Gemeinschaft gehören, die ein gemeinsames Ziel haben, auf das sie gemeinschaftlich hinstreben. Menschen, die in ein und dem selben Lande groß geworden sind, oder deren Vorfahren diesem Lande entstammen, und die ihr Vaterland darum lieben und werthalten, seine Landschaft und seine Menschen. Das bringt uns zurück zu dem Ausgangspunkt unserer Plauderei. Denn einen Wunsch haben wir Ausländsdeutschen alle. Und das ist, in Verbindung mit unserer Heimat zu bleiben. — Ost gehen Jahre und Jahrzehnte ins Land, bevor wir die Heimat einmal Wiedersehen können. Wie sollen wir da wissen, was zu Hause vor sich geht? — Wie sollen wir es verstehen und beurteilen können? Wir greifen zum Buch. — Und was erst verworren und undeutlich, wird auf einmal klar und verständlich. — Die deut schen Menschen, die doch nun einmal so anders sind als die Menschen, mit denen wir täglich umgehen, leben vor uns auf Die Landschaft, in der sie wirken und schaffen, mit ihren Buchen- und Fichtenwäldern, mit den blühenden Juniwiesen und den dampfenden Märzäckern, mit ihren Industriezentren und Stät ten der Wissenschaft, ersteht um uns. Wir sehen, riechen und fühlen sie wieder. So erleben wir im Buch auch die geschichtlichen Ereignisse, die unser Volk formen und kneten. Sie erst fügen uns ganz in die große Gemeinschaft des deutschen Volkes ein. Sie erst lassen uns den Geist des neuen Deutschlands atmen. Aber der »Tag des Buches» soll uns auch daran erinnern, daß wir Menschen sind, die über das eigene Ich, über das Verständnis des Eigenvölkischen zum Verständnis anderer Völker vorzudrin gen suchen. Die am anderen Volk das achten, was uns an unserem eigenen so lieb ist, — seine Seele, seine Wesensart. Und die über das Trennende hinaus die Würde des Menschen schlechthin er streben. In diesem Sinne ruft das Buch jedem einzelnen von uns zu: Komm und lies mich! Komm und erbaue dich an mir! Nr. 14 Dienstag, den 18. Januar 1938 53
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