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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 20.03.1928
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- 1928-03-20
- Erscheinungsdatum
- 20.03.1928
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^ 68, 20. März 1928. Redaktioneller Teil. Börsenblatts, d. Dtlchn. Buchhandel. einmal vorüber waren — mit dem natürlichen Empfinden, das dem Volksganzen innewohnt, die nötigen Heilmittel suchte. Den in ihrer Not Suchenden entstanden die rechten und verantwor tungsbewußten Führer, und ihr Feldgeschrei lautete: Körperliche Ertüchtigung durch Sport jeder Art! Sie verhieß, was uns vor allen Dingen frommte: den gesunden Geist im gesunden Körper. Mit Recht hat man den Sport den Arzt am Krankenbett des deutschen Volkes genannt. Wie jede neue und bedeutungsvolle Bewegung griff sie mit starkem Antrieb über das Ziel hinaus. Was dem Volkswohl dienen sollte, fing fast an zu h e r r s ch e n. Diese Bestrebun gen, aus klugen Anschauungen geboren, erklärlich aus der gewalt sam zurückgedrängten und von Fremden gemeisterten Kraft, mußten nach aller menschlichen Erfahrung diesen Weg gehen. Mußten auch dazu führen, daß das Geistige über Gebühr ins Hintertreffen geriet, ja vernachlässigt wurde, überdies zogen andere, langentbehrte Vergnügungen und Betätigungen von der Beschaulichkeit des Lebens und von der Erbauung durch das Lesen ab. Diese Dinge sind zu bekannt, als daß hier näher darauf eingegangen zu werden brauchte. Worauf wir aber zu achten haben, ist, daß die geistigen Notwendigkeiten nicht hinter den körperlichen Zurückbleiben. Beide gehören zusammen. Immer noch galt es und wird es gelten: Es ist der Geist, der sich den Körper baut. Kunst, Literatur und Buch müssen wieder stärker zur Geltung kommen. Die wundervolle Eigenart der Deutschen, der Individualismus, das Persönliche, dem so viele Großtaten und Fortschritte in allen Kreisen und auf vielen Gebieten zu danken sind, leidet sonst Gefahr, sich abzuplatten, von der Typisie rung erdrückt zu werden und durch sie zu versinken. Hiergegen kann am ehesten das Buch, das gedruckte Wort wirken. Nicht einmal der Vortrag, nicht einmal die beste Rede kann das geben, was das gedruckte Wort gibt. Wenn Sie, meine Zuhörer, etwas besonders schätzen von dem, was Sie hier so häufig von Rednern hören, so wird es gewiß auch später noch nachwirken. Aber — wie lange? Die Rede verrauscht, und wenn Sie selbst den Wunsch haben, einiges des Gesagten zu bewahren, weil es sich mit Ihren Anschauungen und Wünschen deckte, oder weil Sie darin Anregungen fanden, denen Sie gerne folgen möch ten, — der Ton ist verflogen, und keine Möglichkeit ist da, ihn wieder einzufangen. Anders, ganz anders beim Buch. Das ist der dauernde Freund von unerschütterlicher Treue, zu dem man in heiteren wie bedrängten Stunden immer zurückkehren kann, der — hat man ihn einmal als wertvollen Berater erkannt und geprüft — in nie versagender Bereitwilligkeit und Opferfreudig keit uns liebreich aufrichtet, tröstet, stärkt und erhebt. Der junge Mensch, der ins Leben tritt, und der in all den verwirrenden Ein drücken dessen, was sich in breiter Ausdehnung ganz neu vor ihm austut, nicht aus noch ein weiß, den Scheu und Schüchternheit, den die Empfindsamkeit der Gesinnung manchmal hindern, sich selbst den Nächsten, seien es Eltern, Lehrer, Berater, Freunde oder Genossen, zu offenbaren — in seiner Kammer kann er stille Zwiesprache mit seinen Büchern halten, sie sprechen zu ihm wie gute, liebe Freunde und geben ihm Rat. Mag das praktische Leben auch das Wesentliche sein, mag die kleinste tatsächliche Er fahrung auch über dem Buchwissen stehen, so ist das eine doch un trennbar mit dem anderen verknüpft. Das Buch, mit anderen Worten: — die Theorie — bildet die Grundlage für das Er leben, mit anderen Worten: — die Praxis. Das Buch ist die Vorbereitung für das Leben, es ist ein Führer für alle ohne Unterschied des Alters. Wie oft hört man nicht die Bemerkung: Mein Beruf nimmt mich so sehr in Anspruch, daß ich keine Zeit zum Lesen finde, und wenn ich nach der Tagesarbeit heimkehre, dann will ich mich er holen, dann bin ich zu abgespannt, um zu lesen. Als ob Lesen nicht eine Erholung, nicht eine der schönsten Erholungen wäre! Man betrachte nur einmal die Menschen, die in der Bahn auf ihren Wegen zur Arbeit oder von der Arbeit sich in ein Buch ver senken. Diese Lesefreunde finden Entspannung vom täglichen Dienst und Erholung. Sie finden Kraft und Ansporn zum neuen Schaffen, weil zwischen ihre Sorgen und ihre Arbeit ein gütiger Helfer tritt, der sie dem grauen Alltag entreißt, der zu ihren Herzen spricht als Befreier: das Buch! 310 Entsinnen wir uns einmal recht, wie wir als Kinder still zurückgezogen, den heißen Kopf auf die Hand gestützt, in unsere Bücher vergraben, lasen, — lasen — und lasen. Da rief erst gütig mahnend die Mutter, dann ernsthafter der Vater zur Arbeit; da hieß es: kommt doch, kommt zum Essen, was dauert es denn so lange! Wißt Jhr's noch, wie schwer es uns fiel, von dem schönen Traum uns zurückzufinden zur erdnahen Wirklichkeit, und wie alles, was die gute Mutter vorsorgend zum Essen be reitet hatte, nicht recht schmecken wollte? Wie unsere Herzen pochten, weil wir nur daran dachten, wie die Geschichte aus ging, die wir gerade lasen; weil wir noch im Banne waren der Märchen der Brüder Grimm, Andersens und Bechsteins; im Bann von Robinson Crusoe, von Lederstrumpf, von Wildtöter, von Münchhausen, dem lustigen Aufschneider, von Gulliver und Don Quichotte, und wie all die phantastischen Gesellen, die aben teuerlichen Reisenden, die verwegenen Freibeuter, Pfadfinder und Seeräuber hießen? Wir folgten ihnen, ohne auf unser Essen zu achten, durch Sturm und Regen, über Länder und Meere in Eises Einsamkeit und glühende Wüsten, ins Reich der Inkas, Az teken und des Silbernen Löwen. Wir zogen mit Jules Verne um die Erde und fuhren mit ihm im Unterseeboot, lange bevor es Wirklichkeit ward. Da strahlte hell Aladins Wunderlampe, Ali Baba und "die vierzig Räuber hatten's uns angetan, und dann stolzierten Wilhelm Büschs lustige Knaben, Max und Moritz, heran. Das waren ein paar Kerle. Lümmels, die man zum Fressen lieb hatte, und denen man nacheifern mußte. Wie jubelte unser Herz bei dem Freiheitsdrang, der Vaterlandsliebe, dem Stolz und Mannesmut des Wilhelm Tell! Und plötzlich war da die Puppe Wunderhold, jenes süße Wesen mit den seelenvollen blauen Augen und den blonden Haaren auf dem verlockenden Pappdeckel. Ja, so hießen die Bücher meiner Jugendzeit. Heute liest man zum Teil andere Bücher, andere Titel, anderen Inhalt. Denn damals kannte man keine Luftschiffe, kein Radio, kein Ver gnügen des Wochenendes; keine elektrische Bahn und kein Auto war in Berlin zu sehen. So hat sich heute manches geändert. Aber nur das äußere Gewand ist ein anderes geworden. Das Innere: die Seele hat sich nicht gewandelt. Da schreiten heute ganz wie zu unserer Zeit die Kinder dank ihren Büchern aus dem engen Heim, aus der begrenzten Umgebung hinaus in die weite, weite, schöne Welt, in die blühenden Gärten der Phantasie. Da fliegt ihr Sinn mit den Märchen in die Wolken, und da fliegen sie mit dem Luftschiff durch die Wirklichkeit über die Wolken. Und in den Steppen Afrikas werden sie zu Helden, durchforschen unbekannte Lande, ganz wie zu unserer Jugendzeit. Sie hissen die Fahne an einsamer unentdeckter Stelle, sie dringen zum Nord pol, zum Südpol vor, sie graben Gold, suchen Diamanten und kämpfen gegen wilde Tiere. Die großen Erfinder und die Er folgreichen wecken ihren Ehrgeiz. Die Puppe Wunderhold — mag sie heute auch anders heißen — liegt im Bettchen und berich tet von ihren Puppenträumen. . . -. Nein, darin hat sich nichts geändert. Die Kinderseele weiß, was ihr frommt. Losgelöst sein von den Sorgen — das will unsere Jugend. Denn die Sorgen lasten auf ihrem Leben genau wie auf dem Leben der Erwachsenen. Bewußt oder unbewußt strebt ihr Geist nach Ab lenkung, Belehrung, Erfahrung, Vorbild. Und Du Erwachsener, Du Einsamer, Vergrämter, und Ihr Alten, Mann oder Frau, deren Leben dem Ende näher ist als dem Beginn, Du vorzeitig Gealteter, Du auf entlegener Scholle Weilender, Du Kranker und Du Greis — was war es denn, das Euch häufig erhob über die Erdenschwere, über die Sorgen des Alltags? Wohin flüchtetet Ihr oft, wenn es bleischwer auf Euch lag wie Alpdruck, daß Ihr meintet, Ihr könntet Euch nicht er heben? Zum geschriebenen Wort, zum Buch flüchtetet Ihr, ob es Euch nun Heiterkeit, Freude oder erhebenden heiligen Ernst bot. Und da stieget Ihr auf, da schrittet Ihr empor, da warft Ihr den Felsblock, der auf Euch lag, stark zur Seite, und als wahrhaft Freie gingt Ihr mutig entgegen dem neuen Kampf, den frischen Sorgen, und Ihr ertrüget Eure Leiden mit dem Empfinden, mit dem ein freier Mensch Leiden erträgt: Es muß doch Frühling werden!
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