IO8^ / Oie purpurne 8iacZr ^^lse Langner ist ihrer landschaftlichen Verbundenheit nach Schlesierin; ihr Bildungsgang hat sie in der Jugend das Reich der Antike erleben lassen, und eine große Welt- und Studienreise hat sie die Gegenwart erleben lassen aus weiter Blickschau über das Tatsächliche im Leben der Völker und das Gegensätzliche im Leben der Völker untereinander; an diese vier Enden scheinen sich die Fäden zu knüpfen, aus deren Verflechtung sich Richtung und Haltung ihres dichterischen Schaffens ergibt. Dies schlesisch mystische Schauen, Fühlen und Denken wirkt auch in Ilse Langner. Wer ihren Chinaroman „Die Purpurne Stadt" liest, ist erstaunt über die Fülle von Einzelwahrnehmungen, die sie mit sinnenfroher Aufgeschlossenheit in sich aus genommen hat und die sie mit genießerischer Freude am Dargestellten und am Darstellen lebendig werden läßt: die Natur in den mannigfaltigen Reizen ihrer Eigenart, die Städte in ihren trunkenen Schönheiten und häßlichen Verwahrlosungen, die Menschen in der Buntheit ihrer Erscheinungen und Charaktere. Aber das alles ist dieser Schlesierin nur der Vorder grund, auf dem sie ihre Kulissen aufbaut und ihre Figuren an den Fäden führt, um das Stück sich abspielen zu lassen, das die tieferen, im Schatten sich haltenden Hintergründe durchleuchtet. Aus diesen Hintergründen wird ein Stück Zeitgeschichte aus dem Weltgeschehen der Gegenwart lebendig, so wie die Dichterin als Europäerin und als europäische Frau sie erlebt. Sie erfühlt die Tragik, die aus diesem Sichberühren und Sichüberschneiden des europäischen und asiatischen Kulturkreises sich ergeben muß. Nicht nur für den Ostasiaten. Zur Hauptsache wird ihr der europäische Mensch. Mit der Heldin ihres Romans, der Gloria Raschfal, fühlt sie sich als die Sendbotin, die den Kolonisten dort drüben ein Stück Heimat bringt, und die Heimatsehnsucht wieder in ihnen wach macht. Wie ein Schicksal taucht diese Frau auf in dem von Schicksalen zerrissenen und täglich neue Schicksale heraufbeschwörenden unglücklichen China. Den einen der drei Männer, in deren Leben sie tritt, muß sie dort lassen, ihren eigenen Oheim: er stirbt, nachdem er ein langes Leben dort als Arzt gewirkt, ein Helfer der Armen, ein Europäer, dessen Herz dem Westen blieb und dessen Hilfe er den Hilfsbedürftigen des Ostens schenkte. Den anderen, an den sie ihr Herz und ihre Liebe verlor, muß sie aufgeben, weil er sich selbst aufgegeben hat: den Abenteurer, der sich in den politischen und wirtschaftlichen Netzen des fremden Landes verstrickte, das er selbst knüpfen half und aus dem er sich nicht mehr lösen kann. Den dritten rettet sie für die Heimat zurück: den mächtigen Kaufmann aus Singapore, dem die Wertlosigkeit der errafften Werte zur Einsicht wird, nachdem er aus der europäischen Frau die Un- sinnigkeit des Opfers seiner Selbstaufgabe erkannt hat, das er fremden Göttern dargebracht. „Fremde Götter bleiben - fremde Götter." Der Europäer kann im fremden Lande nur Gast sein; reißt er die Heimat aus dem Herzen, wirft er alles, was sein Selbst und seinen Wert ausmachen, von sich weg und muß zugrundegehen. — Es ist staunenswert, aus welch vornehmem Abstand die Künstlerin und Weltreisende Ilse Langner das China zu sehen vermag. Das Neue tut sich ihr in allen seinen Reizen auf; sie sieht es und sie schildert es mit seinen tausendfältigen Reizen; sie schildert es mit aller Liebe, die der Gegenstand verdient; aber ihre Liebe wird nicht zum Verliebtsein. Hinter allem bleibt eine Kühle der Be obachtung und der Überlegung, die durch die Dinge und Erscheinungen hindurchsieht und aus dem Spiel im Vordergründe die treibenden seelischen Kräfte im Hintergründigen erschaut. Darum ist „Die Purpurne Stadt" kein Chinaroman im landläufigen Sinne; es ist der Roman des Europäertums in China, erkannt von einer Europäerin, erlebt von einer Frau und erfühlt aus der Mission, die der Frau in diesen Zusammenhängen erwächst . (Waldemar Weber i. d. Geraer Itg.) De/- Ao//ra/r e/-§c/rre/r soeöe/r. 6e/re/te^ 6.—, /ca/-tonre/-t 7.—, Der/re/r F.— /s/p/ 8.I?I86HLKVNKH - LkHN Nr. 261 Mittwoch, den 10. November 1987 SSS5