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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 07.02.1923
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- 1923-02-07
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- 07.02.1923
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1078 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Fertige Bücher. 32, 7. Februar 1923. OeutjchlanS und Frankreich Von vr. KarlHoeber Ein ungeheures Geschehen hat in Len letzten Tagen sich vollzogen. Was von seiten des westlichen Nachbars langst geplant und erwogen war, ist harre Wirklichkeit gewvröen. Er sucht das auszuführen, was der französische Gelehrte O. Necius schon zu Beginn des Krieges in einer weit verbreiteten Flugschrift gefordert hatte und rvas das End ziel der ganzen westlichen Politik in der Nachkriegszeit umschlicht: Tie Zerstörung des Werkes Bismarcks, die Auseinanderreißung Deutsch lands und seine dauernde Ohnmacht nach dem Beispiel Österreichs. Darum galt es für ihn, unter dem Borwanü einer Strafmaßregel für Verfehlungen gegen den Versailler Vertrag im geeigneten Augenblicke — der Winter schien besonders günstig — dem Gegner an die Gurgel zu springen und zugleich den Dolch in die Herzgegend zu bohren. Das westliche Deutschland blickt auf eine zweitausendjährige Ge schichte mit reicher, stetig sich erneuernder Kulturentfaltung zurück. Hier lag der Schwerpunkt des Kaisertums im Mittelalter, aus den Stamme» in West und Süd kamen die deutschen Könige und Kaiser, in Frankfurt empfingen die meisten von ihnen die Krone, die »Pfaffcn- straße« entlang lagen die uralten Bistümer und Abteien, und der Rhein war nach Görres' schönem Wort allzeit die hochschlagende Puls ader des Reiches. Durch den Ausgang des Krieges ist der im 18. und 19. Jahrhundert mehr nach dem Osten verschobene Schwerpunkt Deutschlands abermals nach dem Westen zurückgekehrt, was allein schon durch folgende Fest stellung sich kenntlich macht. Das alte und ehrwürdige Wien hat seinen Vorrang und Glanz, seine Stellung und sein europäisches Ansehen als Haupt- und Residenzstadt an der Donau eingebllßt. Es ist nur noch ein llmschlagplatz nach dem Balkan hin und wird seinen kulturellen Einfluß als das Herz Deutschlands mehr und mehr verlieren. Berlin, die neuere Hauptstadt und der Kopf Deutschlands, ist gleichfalls schwer beeinträchtigt, weil durch den Verlust der an Pole» gekommenen Pro vinzteile seine Lage als Kapitale des Ganzen viel ungünstiger geworden und es zu nahe an die Ostgrenze geraten ist. Ilm so mehr steigt die Bedeutung der westlichen Metropolen Köln und Frankfurt. Der willkürliche und willkürübende Bruch des Friedens und die militärische Besetzung weiter deutscher Gebiete durch die Franzosen er öffnet nun vollends für die Zukunft Perspektiven, die uns die dunkle Stunde ahnen lassen, durch die die Völker des Abendlandes gegen wärtig gehen. Die Folgen werden in politischer, kirchlicher und wirt schaftlicher Hinsicht sich mit solcher Wucht und Zwangsläufigkeit nach und »ach cinstellen, daß niemand und nichts davon unberührt bleiben wird. Äußerlich gesehen, stehen die Mächte mit vorwiegend katholischer Bevölkerung Frankreich, Belgien, Italien, und im Hintergründe Polen in Ausfallstcllung, verbündet gegen das vorwiegend prottstnntische Deutschland, das jetzt schon immer mehr die moralische und auch die finanzielle Unterstützung des protestantischen Nordens findet, worauf sich — das ist eine Gefahr, die man im Katholizismus überall beachte» sollte — eine Solidarität des religiösen Bekenntnisses gründen könnte, wie seit dem 17. Jahrhundert nicht mehr. Frankreich, Polen und Ru mänien, bas ist die Zusammenstellung, die man in französischen Organen immer wieder findet und worauf ihre Hoffnungen und Berechnungen snßcn. 00 Millionen Deutsche und 160 Millionen Russen, das ist das Gespenst, das sie am Horizont zu sehen wähnen. So kann nur jemand denken und reden, dem das Wort Friede nichts anderes war und ist als Schall und Rauch. Ob freilich der böse Geist des Fricdensbruches, der nach so fürchterlichen Jahren des Krieges aufs neue mit Kanonen und Maschinengewehren operiert und alles auf die Spitze der Bajonette stellen möchte, nicht andere und neue Kombinationen schafft, von denen russische Blätter bereits offen sprechen, das wird im Verlauf der Dinge sich ergeben. Bisher lag Deutschland zwischen Frankreich und Ruß land. Die Besetzung gerade derjenigen Provinzen durch die französi schen Truppen, die die wirtschaftliche Niickcnsäule Preußens und des Reiches bilden — im Frieden brachte die Nheinprovinz mehr als ein Drittel der direkten Steuern der ganzen preußischen Monarchie auf — soll den kulturell hochstehenden Westen in die Machtsphäre Frankreichs zwingen, wobei nicht bedacht wird, daß dann um so mehr die östlichen Provinzen unter den Einfluß der Russen geraten — in Berlin wohne» schon mehr als 300 000 — und Deutschland wird künftig der Exerzier platz oder gar, was Gott verbitten wolle, das Schlachtfeld zwischen Ost- und Westeuropa. Das wäre allerdings der Untergang des Abendlandes! In Frankreich vergleicht man in der Presse und in Parlaments- rcöen die gegenwärtige Lage Deutschlands oft mit der der Franzosen nach dem Kriege 1870/71 und zieht aus ihrem damaligen Verhalten Folgerungen für uns. Dies ist völlig verkehrt, soweit cs sich um die wirtschaftliche und finanzielle Seite handelt. Was indes die politische Seite betrifft, so bat das damalige Deutsche Reich und sein leitender! Staatsmann die geschlagene Nation soviel als möglich geschont und ihre kolonialpolitische Entfaltung sogar gefördert. In all diesen Beziehun gen ist die Lage Deutschlands nach dem Weltkriege ganz anders und viel, viel schlimmer als die der Franzosen vor 60 Jahren. Wobl aber ist eine Vergleichung in verfassungspolitischer, in reli giös-sittlicher und in soziologischer Hinsicht zwischen beiden Ländern! möglich und bietet eine Menge von Parallelen, die für uns in der gegenwärtigen Zeit anregend nnb lehrreich sind. Prof. De. Hermann Platz in Bonn, in weiteren Kreisen bekannt durch seine ernst und tief- durchdachten Veröffentlichungen über Las neuzeitliche französische Gei stesleben, hat ein neues Werk, die Frucht sechzehnjähriger Arbeit, unter ! dein Titel G e > st e s k ä m p s e im moöer » en Frankreich (Ver- ^ lag Josef Kösel L Frieörich Pustet, K.-G. München, Verlagsabt. l Kempten) herausgegeben. Er hat es Lenen gewidmet, die trotz allem an Deutschlands Zukunft glauben. Mehrere Aufsätze, die, vielfach umgestaltet und auf den heutigen Stand der Wissenschaft gebracht, in dem rund 700 Seiten zählenden Bande mit ausgenommen sind, sind teils vor dein Krieg, teils während desselben im Hochland erschienen und haben damals Lurch ihre Sachlichkeit und zeitgemäße Einstellung und Betrachtung des Stoffes allgemeines Interesse und Anerkennung gefunden. Ter erste Teil des Buches schildert die Kämpfe um die einheitliche nationale Idee in Frankreich. Ausgehend von der ideengeschicht- lichen Voraussetzung der politischen Erneuerung Frankreichs im Sinne des Nationalismus, wofür die politischen Schriftsteller von Montes quieu und de Maistre bis auf E. Renan und Melchior de Vogus in Betracht gezogen werden, hat der moderne französische Nationalismus seine eigenartigste Verkörperung in Hippolyte Lame gefunden, der mit seinen Freunden von der weols ttdrs ctss seisrwso poutiguss die Wen dung des vaterländischen Gedankens in weitesten Kreisen des französi schen Volkes bewirkte. Auf ihm fußen die jüngeren Vertreter des politischen wie des literarischen Nationalismus »ui all seinen Ver zweigungen und Übertreibungen. Die durch mehr als vier Jahrzehnte »ach allen Richtungen hin geklärte und gestählte nationale Idee in Frankreich bestand ihre Feuerprobe im Kriege und griff nach dessen AuSgang auch auf die französische Außenpolitik in dem Sinne über, daß diese auch mit militärischen Zwangsmitteln der abendländischen Kultur überhaupt Inhalt, Richtung und Ziel zu geben habe, weil Frankreich nun einmal die ursprüngliche und hervorragendste Schöpfe rin der europäischen Kultursubjtanz sei. In diesem Sinne ist das Wort Paul Bourgets, eines Schülers Lames, zu verstehen: 11 Imports au moncks gus In brancs rssle 8ur ls Lüin la vigilants ssntinslls eüargös cl'smpsokrsr l'sxoss sn Lurops. So versucht Frankreich, zunächst seinen östlichen Nachbar, dann auch das übrige Europa seinem Kulturimperia lismus zu unterwerfen, der ihm neben dem militärischen Degen auf dem Kontinent auch die geistige und wirtschaftliche Vorherrschaft schaffen soll. Erste und durchschlagendste Vorbedingung hierfür ist der alleinige Besitz der Erzeugung und Verwertung der Urprodukte Kohlen und Eisen. Daß es den Franzosen und nicht minder den Belgiern manchmal angst und bange wird vor solch wasserkopfartiger Ausdehnung ihrer nationalen Bestrebungen, zumal bei stetig fortschreitendem Rückgang der Geburtenziffer in Frankreich, liegt auf der Hand. Vorsichtige Po litiker erörtern daher dort auch die Möglichkeit einer mittleren Linie beim Versuch der Errichtung einer so maßlosen Despotie. Im zweiten Teile seines Werkes behandelt Platz die Kämpfe der Franzosen um die r e l i g i ö s e I d e e. Bei uns war man früher viel leicht allzusehr gewohnt, vom »dekadenten« Frankreich zu sprechen, und man übersah dabei den Ernst und die Nachhaltigkeit, womit führende Persönlichkeiten, weite französische Schichten auch um die religiöse Er neuerung ihres Volkes gerungen haben; übersah auch die großen und bedeutsamen Erfolge, die auf diesem Felde in religiös-sozialer und in philosophischer Hinsicht und dann in der Hinwendung auf die allgemei nen Ziele des ganzen französischen Volkes erzielt wurden. Or. Platz urteilt hier auf Grund genauester Kenntnis der in Betracht kommenden Literatur und ist ein zuverlässiger Führer durch das Labyrinth der Meinungen und Bestrebungen, die hier seit hundert Jahren auf- und abwogten, sowie der praktischen und organisatorischen Versuche, die in den letzten Jahrzehnten besonders von Sillon und seinen Anhängern gemacht wurde». Im Kampfe um die religiöse Idee spielt in der neuen Verbindung und Durchdringung von Demokratie und Religion, wozu E. Boutroux, Bcrgson, Corel und Pascal die gedanklichen Vor aussetzungen geschaffen haben, Charels Psguy wohl die wichtigste Nolle. ! Am meisten spitzten die geistigen Kämpfe auf dem Gebiete der Schule sich zu. Die verweltlichte Schule mit ihrem dünnblütigen Moral unterricht wurde der eigentliche Zankapfel und Spielball der streitenden Parteien und die Ergebnisse der weltlichen Moralerziehung jeweils zum Prüfstein ihres Wertes gemacht. Auch in diesen Fragen, die gegen wärtig in Deutschland durch den Kampf um die Bekenntnisschule und die bekenntnis- bzw. religionsfreie Schule hochaktuell geworden sind, geben die Ausführungen in dem Werke von Platz sehr viel Stoff zur Vergleichung und Kritik. Das Nämliche gilt von den Versuchen, auch bei »ns eine völlige Trennung von Staat und Kirche durchzuführcn, ei» Versuch, den Frankreich in den letzten Jahrzehnten bis zu den äußersten Konsequenzen durchgeführt hat, um dabei zu erkennen, daß der Staat allein ohne die unverwüstliche Lebenskraft der katholischen Kirche dem Einzelnen niemals soviel idealen Schwung und Jmvuls bätte geben können, wie er cs im Krieg nach der Wiederherstellung dieser Ver bindung mit der Kirche und den Vertretern der religiösen Volks- und Jligenderneuerung in Wirklichkeit zu tun vermochte. Äußerst interessant und fesselnd ist im Schlußkapitck der Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland im Kampfe um die religiöse Idee, wobei die prinzipiellen Nerschiedcnbeiten zwischen dem deutschen, in seinem Wesen antikatholischcn Kulturkampf einerseits und dem franzö sischen, im tiefsten Grunde antichristlichcn und antireligiösen Kultur kampf anderseits vielseitig und scharf beleuchtet werden. Hier konnten fürs erste mrr einige Schlaglichter auf das bedeut same Buch geworfen werden, das eine Zierde unvoreingenommener, leidenschaftsloser und streng objektiver Gelehrten- und Forscherarbett ist. Es verdient nicht bloß in Deutschland, sondern auch im Ausland, besonders in Frankreich und den ehemals neutralen Ländern, z. B.
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