Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 01.02.1923
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ft 74 kMjenblat! s. d. Dychn. Buchhandel. Fertige und Künftig erscheinende Bücher. 27, 1. Februar 1923. .V° 27, 1. Februar 1923. Fertige und Künftig erscheinende Bücher. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel 878 Thomas Mann in deiKrankfurter Zeitung Thomas Mann: Über Adolf von Hatzfeld Unter einigen guten Dingen, dic ich kürzlich las, gedenke ich der Bücher Adolf von Hatzsclds bcsondcrs dankbar. Der lungc wcsftallschc Dichter lenkte dic Aufmerksamkeit der Litcratursrcundc vor Jahr und Taa durch seinen Erstlingsroman »Franziskus« aus sich, eine Jünglings-Autobiographie, deren zarte Tragik, deren nobler und cmp- snndcncr Vortrag niivergesscu sind. l?inc »enc Auslage wird eben ausgegcbcn, zusammen mit neue» A-erke,, dc-'-selbe» Verfassers, der sich unterdessen auch als Lyriker >,»d selb,', als gern gehörter Rezitator seiner Verse eine» Namen gc- liiacht hat. , „ , lli» Band »G edicht c« lieg, vor, dazu ein zweiter Noma», »D i c L e in m i n g e«, endlich eine Sammlung »A ussätz e« über geistige ü»d soziale Gegenstände, deren Vielfalt Zeugnis ablcgt sür dic kluge Umsicht und sittliche Lcbeiisantcilnahmc eines Dichters, der seit dem iranische» Abschlnsi schwerer Jugendwirren in ewigem Dunkel lebt. Ich las »D ie Le m m i n g c« mit gröhtcm Anteil. Das dichte rische Geheim,,iS des Buches ist beschlossen in anderthalb Seiten, die „nch räumlich in seiner Mitte stehen und zugleich die Erklärung seines sonderbare» Titels neben. Vs ist da dic Rede von einer Tierart des nördlichen Schwede», kleinen Ranctiercn, Wühlmäusen, dic einer mcrk- würdinen Masscnspychosc untcrlicncn, einem fanatischen Wandertriebe ins Verderben. Aus den Höhen der Berge brechen sie ohne erkenn baren Grund zu Tausenden aus, wimmeln in iinaushaltsaincm Zuge, ge trieben von cincin unbezähmbare» Drang, zur Ebene, zur Küste hinab, stürzen sich kopsübcr ins Meer und sindc» so in den Wellen den Tod. Von dieser Erscheinung erzählt Iwan Wagner, der Held des Nomons, und er sägt hinzu: »Vs gibt auch Menschen, Fräulein Alt- mann, die Lemminge sind. Darin liegt der Grund, dah alle, dic einen solchen Menschen umgeben, sich von ihm angezogen fühle». Sic ahnen ganz tics sei» Schicksal, vr ist ei» Wirbel, der sich um seine Achse dreht, abgeschlossen und in sich kreisrund vollendet. Er dreht sich und zieht immer in seiner Mitte in die Tiefe, abgeschlossen, sertig, ohne Hilsc, ruhevoll in seiner unheimlichen Drchkrast, dic kaum eine kleine Unruhe der Fläche bemerken läht. Er ist unveränderlich wie Stein und Eisen In ihm ist nichts mehr fliegend Alles ist zur Todcsruhe gekommen, in Ihm selbst sertig, nach ausien abgeschlossen, unabänderlich durch alle Beiten Eigentlich könnte er auch ohne Augen leben. Sein Gehirn braucht keine nenen Eindrucksbilücr zu empfangen. Er erbte einen ganzen fertigen Bilderknstcn: seine Wcltvorstcllungcn«. Das Buch wird bedeutend durch diesen Helden, den eine Frau, die sich verzweifelt »och dagegen wehrt, »in seiner Mitte in dic Tiefe ge zogen zu werden«, so sicht: nordisch, eckig, mit herbgcschnittcucn Ge- sichtszllgcii, sein Haar glatt, blond und streng um eine selten schön ge formte Stirn gelegt, eine scharfe Stirn dies . . »Wo mochte der Ursprung seines Wesens sein, das aus den Tiefen des Bösen und des Herrlichen quoll? Wer war dieser Mann, der die Hässlichkeiten »nd Geincinheiten eines bösen Geistes mit erhabenen Gedanken paarte?« Ja, wer ist er? Ein Dichter inutmahlich, ein romantischer Held, eitel, als wäre er von Lcrmontosf, lyrisch geheimnisvoll wie Hamsuns Nagel und Glahn, und leicht objektiviert durch die Ein schaltung eines »Schreibers dieser Zeilen« und »Geschichtenerzählers«, der uns bittet, »es ihm nicht als Indiskretion anzurcchncn, wenn er Ereignisse, die erst in süngstcr Zeit . . .« Man kennt das. Solche Kunstscherze gehen sozusagen aus dem eingeborenen Objektivismus des Epos hervor, dessen Vortrag ja niemals ein Neben des Autors ist, des »mnnsiviii«, Uber den Fl ändert sich lustig macht, sondern eine Selbstaussnge der Dinge durch das Medium des Dichters, mit dessen Subjektivität- sic ihre Objektivität zu einem Ergebnis vermischen, daS dic Ästhetik als »Stil« bezeichnet. Darum ist das Erzählen etwas voll ständig anderes als das Schreiben, und zwar unterscheidet sich jenes von diesem durch seine Jndirektheit, dic sogar am feinsten und ver schlagensten sein kann, wenn dic innere Objektivität des Werkes durch eine humoristisch-scheinbare Direktheit verschleiert wird, wenn also dennoch ei» »Monsieur« sich meldet lind peroricrt, der aber keineswegs identisch mit dem epische» Autor, sonder» ei» fingierter und schatten hafter Beobachter ist, der etwa mit der Nachricht beginnt, in »unserer Stadt« hätten sich kürzlich einige sonderbare, die öffentliche Meinung beunruhigende und nicht restlos aufgeklärte Ereignisse zngctragcn, deren Hergang er nun, so gut cs ihm gegeben sei und soweit seine Einsicht reiche, entwickeln wolle. In dieser Technik schwatzhaft kommcnticrcndcr Schcindirckthclt hat Dostojewskis ganze Welten komponiert, — ohne cs überall und ans dic Dauer sehr streng damit zu vchmcn. Denn mehr als ein mal wird das ursprünglich zugrundcgclegtc formale Prinzip durch höhere Gewalt gesprengt, der »mvnsiour« an dic Wand gedrückt — und durch das reine Medium des epischen Dichters, der kein »Schreiber dieses«, sondern ein Sänger ist, treten die Dinge, die Menschen, die Leidenschaften in mächtiger Objektivität hervor. Bei Hatzfeld, der das Prinzip von Dostojewskis über nimmt, ist cs nicht anders — kein schwererer Vorwurf angesichts eines solchen Präzedenzfalles, aber Anlaß eben doch zu einer stilkritischcn Be merkung. »Einen der letzte» Frühlingc verbrachte Iwan Wagner in einer kleinen Stadt jenes hügeligen Geländes, das sich in leichten und heiteren Schwingungen zu de» Vorbcrgcn hinzicht, welche dic Verbindung mit den höheren und gewaltigeren Gebirgszügen des Allgäu bilden«. Das ist reine Parodie. Es ist, wie wenn heute einer anfingc: »Der Nhcingn» . . . jener begünstigte Landstrich, welcher, gelinde und ohne Schroffheit sowohl in Hinsicht ans dic Witterungsverhältnisse, wie ans dic Bodcnbcschasfcnhcit, reich mit Städten und Ortschaften besetzt und fröhlich bevölkert, wohl zu den lieblichsten der bewohnten Erde gehört«. Es ist Spaß, Spiel und Fiktion: dic Stimme des zweiten, cingcscho- denen Autors, des »Schreibers dieser Zeilen«, der sich in höchst schrift stellerischen Wendungen crgchft gewinnend, altmodisch und naiv bis zur Drolligkeit. Wenn cs aber Ernst wird, wenn die Dinge durch das Medium des epischen Dichters sich selbst aussingen, so klingt cs so: »Dann durchraste ein Auto die Nacht. Blond, der plötzlich aufschwcbte, versank, Plätze bogen aus. Wälder sprangen es an wie geile Hunde und sielen zurück Bläuliche gläserne Stille Iwan Wagner floh, floh vor Leonie« Das ist was anderes. Es ist die Stimme des wirklichen und unverstellten Autors, neueste Erzählung mit einem starken Einschlag dessen, was man Expressionismus nennt. Keine Spur mehr von dem angenehmen Beobachter mit den wohlgesügten Relativsätzen und den »heiteren Schwingungen«. Aber wo ist er geblieben? Wo das formale Prinzip? Ich hasse, der Dichter wird es mir »nicht als Indiskretion auslcgen«, wenn ich aus den Stilbruch aufmerksam mache, der, mehr oder weniger deutlich, durch sein ganzes Werk läuft. Es handelt sich mehr um die Feststellung von etwas kaum Vermeidlichem, als um wirt liche Beanstandung. Iwan Wagner, der Held der Dichtung, hat Auge» zu sehen. Sein Gehirn empfängt Eindrncksbilder in bedrängender Fülle. Er empfängt, wie es von ihm heißt, »in sich das Bild der ewigen Schöpfung«. Es erfüllt ihn »der unermeßliche Reichtum der Welt und der dumpfe Rausch seines Blutes«. Eine Lichtslut, vielfach farbig gebrochen, walte« in dem Buch, eine Andacht und dankbare Inbrunst des Naturschaucus, die ergreift! »Die Berge begrenzten in strahlendem Weiß das Blau des Horizontes, die Sonne vergoldete die Straßen »nd spiegelte sich in de» glitzernden Gewässer» der Acker. Um das Schloß flog cs leuchtend aus in dunklem Braun. Die Menschen zeigten lachende Gesichter, und geheimnisvolle Schatte» trieben sich in allen Ecken umher«. Strahlen, Spiegeln, Leuchten, Lachen und Schattenspiel — unersättlich. »Es war ein Leuchten in der Lust, und der kleine Fluß sing cs spiegelnd aus, und über die Gewässer schossen herrliche Strahlen hin und her, und um dic Mittagszeit geschah es, daß braune Wolken den Himmel bcsuhrcn. Es mar ein ewiges Glitzern im grünen Sommer. Die kleine Fahne flatterte rot aus dem Schloß. Dic Sonne ging in kristallenem Morgen auf ihren steile» Weg, und die Vollmondnächte erfüllten und bezauber ten das Land mit betörendem Dust«. Das ist ja deutsche Raturromantik. Es könnte in Eichcndorsss Taugenichts stehen und ist ein Beispiel dafür, wie in dem Dichter Licbcnsivert-Ubcrliesertcs sich mit neuesten Stilergcbnisscn mischt. Es ist sehr schön, absolut genommen, und ich weiß wohl, daß Kunstwerke absolut und ohne Voraussetzungen ge nommen werden müsse». Und doch soll niemand mir die menschliche Rührung verwehren, mit der ich diese selige Dankbarkeit innere» Gesichts doppelt als Dich tung empsindc. Dic Lichtvision — wird sic auch niemals verblassen? Es ist viel von der Inbrunst des »Verlaß mich nicht!« in der seelischen Natur- nmarmnng des Dichters oder seines Helden, in diesem tastenden, lau schcndcn SIch-anschmicgen des ganzen Körpers au dic Brust der Erde . . . »In der Ferne stürzte dic Wollust der Berge lawincu donnernd zu Tal. Er vernahm »m sich das leise Sickern des Wassers, das in die Wurzeln der Gräser und Bäume drang. Die Samen schwell ten und trieben Blätter und Blüten in das Licht und das Glänzen des Tages. Die unendlichen Quellen flössen von den Bergen und den Hügeln und erfüllten das schimmernde Tal mit der Fröhlichkeit der Wcidcnblüteu. Ungeheure Freude brach aus der Erde in erhabener Feier der Auferstehung. "Die Kruste der Erde sprang, die Rinden der Bäume dufteten von Harz, und alles drängte in tausend Schwellungen zum Leben . . .« Man verzeihe die Anführungen, die Beispiele, aber ich lasse das Buch so gern erklingen, und mich ergreift dic säst angstvolle Innig keit, mit der hier erlebt wird, dies Für-einandcr-eintreten der begie rige» Sinne, bei dem das heimliche Sickern des Wassers zu de» Wur zeln sich zuerst in dic noch dunkle Vision des Samenschwellcns und dann in dic Lichtvision der in den Tag getriebenen Blüten verwan delt. »Das Sonnenlicht roch. Iwan Wagner roch das Sonnenlicht. Er sagte zu Herrn König: Riechen Sie das Sonnenlicht »nd sehen Sie, wie der Dust sichtbar wird?« Das Kapital-Kapitel des Romans, die oedu« i> kairo, ist eine Lichtassärc: sie spielt während einer Sonnensinsternis und gehört iv ihrer stillen Kühnheit zum Merkwürdigsten, was gegenwärtige Erzäh lung geschaffen. Ich sage nichts weiter darüber. Ich unterlasse es dic Handlung des Buches zu analysieren, dic innerlich, schwierig und bitter ist, denn es geht darin um Liebe »nd Einsamkeit. Es geht um den Gram, der dic Liebe zum Lebendigen i» Haß verkehrt, und Ich habe dabei die andere stärkste Szene im Sinne: die am Weiher mit dem Froschlaich, wo der Mann, der »seinen Samen hätte wcgwersen können, so einsam war er«, die einsame Frau belauscht, wie sie in traurigster Bosheit dic schleimigen Kaulgnoppenbeutel mit dem Stock zersticht. Das alte Münster, dic Gcbnrtsstadt des Helden und seines Poeten, spielt mit seiner Architektur, seiner Geschichte, seiner Landschaft in den Roman hinein, wie denn eine aristokratische Scimatliebe und Erdvcr- bundcnhcit zu seinem Grundgcsühl gehört. Dann sind da noch dic »Gedichte«, ein schmaler Band, in dem ich Einiges ausrichtig liebe Aber ich bin kritisch zu unersnhreu, um mir Rat zu wisse», wie man Gedichte bespreche», charakterisieren soll. Ich möchte anführcn und aujzcigen, was meinem inneren Ohre wohl- gctan, aber ich weiß wohl, daß das eine wenn auch gerade, so doch stümperhafte und vor allem Platz raubende Methode ist. WaS ist die Tonika, der Orgelpunkt? »Natur, Natur, gewiegt an deiner Brust«. Das Schlußwort eines der Lieder enthält ihn. Das ist nicht sehr groß städtisch-fortgeschritten, aber es hat etwas Ewiges, was des Fort schrittes cntratcn mag, und das Glücklichste, was sich über diese Ge dichte sagen läßt, ist eben dies, daß sic Lyrik sind in einem ewigen, reinen und unvcrwirrtcn Sinn. Auch hier dic Inbrunst des LichteS: »Lodernd, wild, in Nebelmcercn ringend, blitzcschlcuderud, finsternisbczwingcnd, reißt dic Sonne sich zum Äther los. Sonne, deine Kraft ist grenzenlos!« Auch hier der romantische Laut: »Horch, die Tiere rufen sich zu Paaren Aufgewühlter ist des Nachts das Blut, und von tragischen Gefahren kündet mir des Mondes rote Glut«. Auch hier Einsamkeit, deren küsselosen Mund der Haß schließt. Auch hier der Frieden der Liebe: »Ruhig in dem Licht der Abcndstcrnc sind' ich deiner Augen heitre Lust . . .« Die Heimat auch hier, die zu heidnischem Rausch ausloht in der »Westfalenballadc«. Und auch hier, wie gegen Ende des Romans das tiefe Gefühl der wüsten und herrenlosen Zeit: ». . . Der Wahnsinn wirst im Bogen von Pol zu Pol sein Nicscnnetz. Propheten haben uns um Gott betrogen, und sinnlos war ihr eitclcs Geschwätz. Wann wird der steigen aus dem Himmclsbogc», der, welcher Moses ist, dic Tafel, das Gesetz!« — Kurz denn, hier ist in Prosa und Vers rin Dichtertum, das nobel, innig und echt hervorsticht aus einer Menge krasser und dreister Wind beutelei unserer Tage Bücher von Adolf von Hatzfeld: Oie Lemminge / Sin Roman 1.—5. Tsd. / broschiert 3.50, geb. 5.- (soeben erschienen) Franziskus / Sin Roman Mit einer ilmschlaazelckinung von Ernst Varlach 4.—10. Tsd. / brosch. ca. 3.50, geb. ca 5 — (im Druck) Aufsätze 1. -3. Tsd. / brosch. ca *3 50, geb ca. 5 — (im Druck) Gedichte 2. -3. Tsd. / broschiert 3.—, geb. 4.— (soeben erschienen) Ich liefere 11/10 mit 40 »/>/Einzeln mit 35°/»/Schlüsselzahldes V.-V./Aus- lieferung durch/E. Fr. Fleischer,Leipzig. / Paul Steegemann,V»rlag,.Hannover. A über Adolf von Hatzfeld, den blinden Dichter
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