Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.11.1857
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1857-11-23
- Erscheinungsdatum
- 23.11.1857
- Sprache
- Deutsch
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144, 23. November. Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 2.305 den, aber um so wichtiger, je mehr eine solche Literatur noch in den Kinderschuhen steckt, zu erfahren, was sie producirt und welcher Art ihre geistigen Bedürfnisse sind, wie sie von Jahr zu Jahr zunehmen oder sich gleichbleiben; eine literaturhistorische Uebersicht, zu der man bei diesem willkürlich ausgeleerten Sack bibliographischer Data gar nicht gelangt. Hier hilft die Einthcilung nach wissenschaftlichen Fächern nicht, denn der abstracteste Gelehrte wurzelt mit seinen Bestrebungen nicht exclusiv in einem allgemeinen Fach, sondern in i erster Linie in seiner nationalen Gesammtliteratur, und darüber! hinaus erst in den entsprechenden Fachern anderer Literaturen, aber auch hierin nur in denen größerer und vorgeschrittenerer Culturvolker, > nicht in den neben oder hinter ihm stehenden kleinern Nationalitäten. Hier fallt also auch der letzte Zweck bloß fachlichen Schematistrens weg, der in gemcinsamern größern Literaturen da sein mag. In Deutschland z. B. wär' es thöricht, die Jahreskataloge nach den Sprachen einzutheilcn, wo neunzig Hundertstel der Buchproduction deutsch sind, und auch die nichtdeutschen Bücher nicht fremden Na tionalgeist in den Ideen wiederspiegeln, sondern bloß die fremde Sprache als Medium für allgemeine Zwecke benützen. Aber bei den einzelnen Nationalliteraturen Oesterreichs ist die Sprache organisches Bedingniß des Denkens, und zudem halten sich die Quantitäten der Production bei den einzelnen Stämme» so ziemlich die Stange, keine der kleinern Nationalliteraturen ist überwiegend productiver, oder geistiger Führer der andern, noch überhaupt sind sie unter sich in irgend einem wesentlichem geistigen Zusammenhang, als daß z. B. juridische Anordnungen der Regierung in alle andern Sprachen übersetzt werden. Die geschäftliche Erfahrung hätte allein schon diesen Mißgriff Herausstellen sollen, denn es ist Thatsache, daß von Seite der Re gierung großmüthigst beträchtliche Opfer gebracht wurden, um so wohl die wöchentliche, wie die jährliche Bibliographie entsprechend erscheinen lassen zu können, und ein Privatunternehmer wäre durch aus außer Stand gewesen, diese Prüfung auszuhalten, aber trotz alledem, daß solche Bibliographien eines der nothwendigsten Bedürf nisse sind, und gerade in Oesterreich ein großes Publicum für diesel ben da wäre, haben die genannten Unternehmungen keine ihrer Be deutsamkeit auch nur annähernd entsprechende Verbreitung gefun den, und nicht einmal bei den Fachleuten sind sie populär geworden. Und natürlich. Der wirksamste Betreiber solcher Veröffentlichung, in dessen eigenstem Interesse eine möglichst große Verbreitung der selben läge, der Buchhändler, blieb ganz außer aller Berechnung. Der österreichische Gesammtstaat besitzt an vierhundert Buchhändler, und bekanntlich ist Oesterreich einer der besten Büchermärkte, also könnte von einer gut organistrten und redigirten Bibliographie eine Auflage von mindestens 4000 Exemplaren durch die Buchhändler selbst gedeckt werden; beziehen sie doch in nochmals so großer An zahl alljährlich von Leipzig her das Hinrichs'sche Verzeichniß, anderer Monat - und Halbjahrskataloge zu geschweige», welche zu Tausen den von den Sortimentern bezahlt und gratis an ihre Kunden ver theilt werden. Für solchen Erfolg müßte aber ein in mehrerer Beziehung praktischer und zugleich wissenschaftlicher cingcleitctes Unternehmen vorhanden sein, als es die genannten sind. Die bibliographische Beilage zur Wiener Zeitung ist für den praktischen Verkehr gar nicht, für wissenschaftliche Benutzung kaum zu gebrauchen, denn nicht nur daß sie kunterbunt alle Sprachen und Literaturen unrcr- einanderwirft und auch mit der Einthcilung in Fächer in jeder Num mer wechselt, daß man nie weiß, in welchem Felde man sich jählings befindet, so leidet sie auch an dem Fehler, daß sie die Journalistik mit den Büchern vermengt, von den Zeitschriften nicht bloß die Titel fertiger Jahrgänge gibt, sondern continuirlich das Jnhalts- verzeichniß aller einzelnen Blätter, was sehr dankbar anzunehmen ist; nur müßte dann diese Abtheilung als „Repertorium der Jour nalistik" oder ähnliches für sich selbstständig erscheinen, und nicht wochenweise vermischt mit der „Bibliographie", wodurch der Raum derart überfüllt und die literaturhistorische Bedeutsamkeit jedes Wer kes derart schwankend gemacht wird, daß die Jnhaltsgabe eines obscu- ren Provinzialblattes von 6 Nummern vier ganze Spalten ein- nimmk, während der Titel eines hochwichtigen, 100 Druckbogen starken Werkes, wo der Inhalt nicht im Detail anzugeben ist, nur vier Zeilen cinnimmt, also alle Verhältnisse verschoben sind. Zugleich auch wird dadurch der Stoff so unnöthig aufgebauscht, daß z- B. in der Hälfte des nächsten Jahres noch immer die Bibliographie des vorhergegangenen Jahres nicht einmal zur Hälfte abgehaspelt ist, also die meisten Mittheilungen viel zu verspätet kommen. Diese bibliographische Beilage zur k. k. Wiener Zeitung gibt bei den ein zelnen Titeln außer den Druckorten, Jahreszahlen und Verleger auch noch gewissenhaft das wichtigste eines bibliographischen Nach weises, nämlich die Seitenzahlen an; dafür wird sie aber für den praktischen Verkehr doppelt unbrauchbar durch Weglassung der Ver kaufspreise — ein Uebelstand, dem das „Eentcalorgan" abhelfen will. (Schluß in Nr- 145.) Miscellen. Aus Mailand, 27- Oct-, berichtet die Allg. Ztg.: Hier läuft ein Circular der rühmlichst bekannten Florentiner Buchhandlung Le Monnier um, unterzeichnet von den HH. Ferrai und Prof. Müller in Pavia. Freunde der deutschen Wissenschaft werden dasselbe mit Freude begrüßen, denn es enthält die Ankündigung der Uebersetzung- en einer Reihe deutscher Werke auf dem Gebiete der klassischen Alterthumskunde in's Italienische. In der kürzesten Zeit wird dem nach in dieser Verlagshandlung eine Ucbersetzung der Geschichte der griechischen Literatur von Karl Otfried Müller erscheinen; ihr wer den folgen Ucbcrsetzungcn der griechischen Mythologie von Ludwig Preller in Weimar, der römischen Geschichte von Theodor Mommsen, und einer Reihe von deutschen Abhandlungen aus dem Gebiete der klassischen Alterthumskunde und Literatur. Diese Anerkennung deutscher Forschung auf italienischem Boden ist sicher eine sehr er freuliche Erscheinung, da sie nicht vereinzelt dasteht, und nicht mit frivolen, sondern mit ernsten Tendenzen in der Literatur zusammen- hangt. Es wird Ihnen ohne Zweifel von Turin aus schon gemeldet worden sein, mit welcher Freude die dort erscheinende Uebersehung von Savigny's Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter in ganz Italien ausgenommen wurde, und wie auch dort gegenwärtig — was die eben angekündigte Ucbersetzung von der Geschichte der italienischen Städtevcrfassung zeigt — die Verpflanzung der Früchte deutscher Wissenschaft aus italienischen Boden tiefes Bedürfniß ist. Briefwechsel. Herrn G.v.C. in St. — Nachdem Sic sich als den Verfasser von der in Nr. 139 d. Bl. von uns abgcfertigtcn Frankfurter Korre spondenz erklärten, so bemerken wir auf Ihren Wunsch, daß die Beschuldigungen jenes Artikels, nur der Egoismus der Verleger und Unkenntnis stimmen da und dort gegen die Verträge mit Frankreich, uns zu der geschehenen Abweisung veranlaßt haben. Denn wie be kannt, besteht diese Gegenpartei, welche solche Verträge mit ihrem bisherigen Modus bekämpft, aus dem Bdrsenverein der Deutschen Buchhändler. Die Kränkung von diesem mußten wir rügen, und den Maaßstab dafür hatte die bezügliche Denkschrift des Vereins vom 23. Jan. 1855 zu bilden. Wo es aber den Aus druck sittlicher Entrüstung gilt, hat man keinen Glimpf zu suchen, wenn wir gleich gegenüber von jenen Verunglimpfungen uns des möglichsten Maaßcs beflissen haben. Ihren ,, weiteren Schritte»-' sehen wir mit Ruhe entgegen. Unter den Vermischten Anzeigen (sub 16933) befindet sich heute ein Inserat mit der Aufschrift „Für den evangelischen Friedhof in Gratz", das wir der Beachtung unserer Leser besonders empfehlen möchten.
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